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„Freedom on the Net“-ReportDas Internet wird immer unfreier

Der Kampf um Informations­freiheit wird international härter. Das stellt der diesjährige „Freedom on the Net“-Report fest.

Das Internet wird weltweit immer unfreier. Hier im Bild der neue „Internetknoten“ in Leipzig Foto: Jan Woitas/dpa

„Jeder Mensch hat das Recht (…) Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ So steht es im Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Doch weltweit ist dieses Recht für die meisten Menschen pure Theorie.

Zu diesem Schluss kommt der jährliche „Freedom on the Net“-Report der US-amerikanischen NGO Freedom House, der die Freiheit des Internets weltweit analysiert. Untersucht wurden dieses Jahr 70 Länder und damit 89 Prozent der Internetnutzer*innen.

Die Au­to­r*in­nen der Untersuchung haben eine Skala entwickelt, auf der ein Land mit absolut freiem Internet 100 Punkte erhalten würde. Abzug gibt es für drei Arten von Freiheitsverletzungen: Zugangshürden, Beschränkung der Inhalte und die Verletzung von Nutzerrechten.

Und global geht es abwärts. Das ist bedenklich, wenn auch nicht überraschend: Seit zwölf Jahren gibt es die Erhebung, bisher wurde jedes Jahr eine Verschlechterung der Situation festgestellt. Nur knapp ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt laut dem Bericht in einem Land mit freiem Internet, darunter sind etwa die USA, Argentinien und die meisten europäischen Länder. Angeführt wird die Rangliste von Island, das 95 Punkte erreicht.

China belegt zum achten Mal in Folge den letzten Platz

Ein Drittel der Nut­ze­r*in­nen weltweit haben Zugang zu einem nur teilweise freien Internet, in Europa etwa Menschen in Ungarn und der Ukraine, aber auch Mexiko oder Singapur. 37 Prozent der Länder verfügen über kein freies Internet. Das Schlusslicht ist seit acht Jahren in Folge China mit 10 von 100 Punkten. Der stärkste Rückgang der Internetfreiheit wurde in Russland festgestellt, das gerade noch 23 Punkte erreicht – sieben weniger als vergangenes Jahr. Deutschland erreicht 77 Punkte und belegt damit den achten Platz. Abzug gab es für blockierte Websites sowie neue Zensur- und Überwachungsgesetze.

Einen Schwerpunkt legt der Bericht auf die zunehmende Fragmentierung des Internets. Die Au­to­r*in­nen schreiben von einer Entwicklung weg von einem globalen Internet hin zu kontrollierbaren Onlineräumen. In mehr als zwei Dritteln der untersuchten Länder hätten die Behörden ihre juristische und gesetzgeberische Macht genutzt, um den Zugang zu ausländischen Informationsquellen zu beschränken.

Bekannte Beispiele sind die große Firewall von China, oder Russland, das nach dem Überfall auf die Ukraine etwa Facebook und Twitter gesperrt hat. Es gibt unzählige weitere. So sind in Indien über einhundert chinesische Plattformen gesperrt.

Doch diese Fragmentierung auf nationaler Ebene ist nur ein Teil eines globalen Kampfes um die Kontrolle des Internets. Angeführt von Moskau und Peking, hätten Diplomaten autoritärer Länder ihr Modell von Cybersouveränität bei multilateralen Institutionen vorangetrieben. Sie fordern das Recht der Länder, ihr „nationales Segment des Internets“ zu kon­trollieren.

Maßnahmen können politisch missbraucht werden

Noch stoßen sie damit bei den Mitgliedern der Internationalen Fernmeldeunion auf Widerstand, doch sie intensivieren ihre Bemühungen. Deshalb sei eine verstärkte Koordination der Demokratien essenziell für die Verteidigung eines freien und offenen Internets. Entsprechend positiv bewerten die Autorinnen des Berichts Initiativen wie den „Copenhagen Pledge on Tech and Democracy“, die Regierungen, internationale Regulierungsbehörden, die Zivilgesellschaft und die Privaten zusammen bringen, um Menschenrechte im digitalen Zeitalter zu verteidigen.

Auch der Digital Service Act (DSA), ein umfassendes Gesetzesvorhaben der EU, sei eine vielversprechende Alternative zu Regulierungen, die auf Zensur basieren.

Jedoch beinhalte der DSA auch problematische „notice and action“-Maßnahmen, um Unternehmen dazu zu zwingen, Meinungsäußerungen, die in der EU oder den Mitgliedstaaten illegal sind, zu entfernen. Diese Instrumente könnten politisch missbraucht werden.

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8 Kommentare

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  • Etwas kürzer ausgedrückt geht es bei genauem Hinschauen unter Berücksichtung der stetigen Flut begründender Dummsprüche eher um die "Rettung der Demokratie" mittels Privatisierung derselben.

    • @wxyz:

      Weil man ausgerechnet mit Privatisierung irgendwas retten kann?

  • Das Internet war vielleicht in den 90ern frei. Aber heute? Solange Zeitungen ihren Content hinter Paywalls verstecken und solange Webseiten dumme Cookie-Banner platzieren, weil es ja das Gesetz sei, solange wird das Internet niemals frei sein. Das gilt auch für Island.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Cookies gab es auch schon in den 90ern, allerdings wurden sie damals halt einach gesetzt ohne die User darüber zu informieren. War das ein Mehr an Freiheit? Und journalistische Angebote wurden lange Jahre als werbefinanziertes Zuschussgeschäft betrieben, das von den Redaktionen über den Print-Verkauf quersubventioniert wurde. Die Werbung war nicht gewollt, schon gar nicht in personalisierter Form und die Print-Auflagen gingen stetig zurück. Was also wäre ihr Alternativvorschlag zur Paywall? Zumal das Preisschild an einer Zeitung mit Freiheit ungfähr so viel zu tun hat wie Freibier.

      • @Ingo Bernable:

        Alternative: Freie Zeitungen. Sowohl wie in Freibier als auch in freier Verfügbarkeit.

        Und natürlich gab es Cookies schon in den 90ern. Doch diese Sache mit dem "ohne zu informieren" sind nun zwei Dinge ineinander vermischt. Was heute gefragt wird, ob deine Daten benutzt werden durften, hieß damals Spyware. Spyware belastete älteren Computer damals Unmengen an RAM/Arbeitsspeicher, weswegen die viel langsamer liefer als üblich. Die heutigen PCs können damit locker umgehen, bei den älteren PCs hast du aufpassen müssen, welche Seiten du besuchen wolltest.

        Und diejenigen, die ich gerne besucht habe, kannten keine Spyware und aufgeblähter Content im Hintergrund mit 100MB alleine nur damit die Website läuft.

        Einfacher Trick: Youtube unter E- oder G-Netz aufrufen. Und dann netzpolitik.org. Die Website, die schneller ist, hat weitaus weniger Schadsoftware. Galt damals und gilt bis heute.

  • "Einen Schwerpunkt legt der Bericht auf die zunehmende Fragmentierung des Internets. Die Au­to­r*in­nen schreiben von einer Entwicklung weg von einem globalen Internet hin zu kontrollierbaren Onlineräumen."

    Sie meinen sicher sowas wie Facebook, Google, Apple, Amazon ... und alles, was jeweils dazugehört? Haben Sie schon mal versucht, ein Posting bei Facebook, Instagram o.ä. mit der Suchmaschine ihrer Wahl zu finden? Andersherum: Wieviel Aufwand betreiben Sie, um ihre Inhalte für den Meta-Konzern optimal bereitzustellen?

    Das Internet ist zu großen Teilen mittlerweile unter staatlicher und privatwirtschaftlicher Kontrolle ("Plattformen"). In den autoritären Staaten unter staatlicher und in den weniger autoritären marktkonformen Staaten beides.

    Es wurde zwar der Buchdruck erfunden, aber um lesen zu können, muss eine Gebühr beim jeweiligen Fürsten entrichtet werden, Häufig noch bei mehreren.

    • @uvw:

      Man sollte aber schon auch berücksichtigen, dass die Dominanz der Konzerne vor Allem einer fatalen Kombination von Bequemlichkeit und Netzwerkeffekten entspringt, während alle Standards auf denen das Netz aufbaut offen sind, so dass es durchaus möglich ist, sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Anwendung, einen großen Bogen um die Big Five zu machen.

  • Das Internet wird nicht nur unfreier sondern auch immer kaputter.

    Suchen sie mal nach Fantasiebegriffen und wundern sie sich was es da (angeblich) alles gibt ...

    Klicken sie sich mal erfolgreich durch alle Cookiebanner ...

    Versuchen sie mal nachzuvollziehen welche Webseiten sie mit dem letzten Klick wirklich besucht haben ...

    Wundern sie sich über diese treffenden Suchwortergänzungen - und seien sie sich bewusst das jeder Mausschubs und jeder Tastendruck irgendwo registriert wird.

    Und glauben sie nicht dass mit diesen Daten eh niemand was anfangen kann. Denn dann würde man ja nicht Abermilliarden für die Datensammelei investieren.

    Es mag ja Tools geben, die einen beim Selbstschutz unterstützen, aber wissen sie was diese Tools noch zusätzlich so alles speichern und rumposaunen ?