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Scholz' Prag-Rede zur EuropapolitikKeine Antwort auf die Krise

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Bundeskanzler Olaf Scholz hat lediglich sattsam bekannte Probleme der EU angesprochen. Fragen zu stellen ist gut, aber gesucht werden Lösungen.

Kanzler Olaf Scholz während seiner Rede an der Karls-Universität in Prag Foto: Kay Nietfeld/dpa

E uropäische Antworten auf die Zeitenwende: Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Grundsatzrede an der Prager Karls-Universität gefordert. Leider ist der SPD-Politiker diese Antworten selbst schuldig geblieben. Scholz hat zwar viel Richtiges gesagt. Ja, die EU muss unabhängiger werden – nicht nur von Gas aus Russland, sondern auch von Waffen aus den USA. Ja, wir brauchen Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik. Ja, das Vetorecht ist ein Anachronismus.

Doch wie er diese Ziele erreichen will, hat Scholz nicht verraten. Über die Abschaffung des Vetorechts diskutiert Brüssel schon seit Jahren. Bisher hat niemand eine Lösung gefunden – denn gegen die Abschaffung können die EU-Staaten selbst ein Veto einlegen. Das ist kafkaesk – und ruft nach neuen, kreativen Ideen. Diese Ideen sucht man bei Scholz vergebens. Er wiederholt sattsam bekannte Wünsche zur EU-Reform, die schon den deutschen Ratsvorsitz 2020 beschäftigt haben, zeigt jedoch keine Lösungen auf.

Unklar bleibt auch, was die Zeitenwende für Europa bedeuten soll. Der Kanzler sicherte der Ukraine zwar dauerhafte Hilfe zu. Er erklärte sich auch bereit, „besondere Verantwortung beim Aufbau der ukrainischen Artillerie“ zu übernehmen. Doch angesichts der bisherigen Zögerlichkeit ist dieser Vorschlag wenig überzeugend. Aus der Defensive kommt Scholz damit nicht. Und die Bürger von seiner Europapolitik überzeugen kann er so auch nicht.

Die Menschen in der EU haben ganz andere Sorgen. Sie wollen nicht wissen, wie die EU in 10 oder 20 Jahren mit 30 oder 36 Mitgliedern funktionieren kann. Sie wollen stattdessen Antworten auf die Frage, wann der Krieg in Europa endlich endet – und was die EU tut, damit wir einigermaßen heil durch den Winter kommen.

Scholz ist nicht der Einzige, der sich schwertut

Wie verhindern wir, dass sich der Krieg auf andere Länder ausweitet? Wie stellen wir sicher, dass Europa am Ende nicht zu den Verlierern zählt? Was tun Deutschland und die EU, um die Energiekrise zu bewältigen und die Gefahr einer Rezession abzuwenden?

Das sind die Fragen, vor denen die Europapolitik heute steht. Aber dazu hat Scholz wenig gesagt. Sein Vortrag wirkte wie eine reichlich verspätete Antwort auf die berühmte Sorbonne-Rede von Emmanuel Macron aus dem Jahre 2017 – nur ohne die visionäre Kraft des französischen Präsidenten.

Scholz ist allerdings nicht der Einzige, der sich schwertut. In Brüssel tut man so, als könne die EU weitermachen wie vor dem Krieg, nur mit mehr Waffen und härteren Sanktionen. Das ist ein großer Irrtum. Die Friedensunion EU ist in einer existenziellen Krise; Scholz und die meisten EU-Politiker haben es nur noch nicht gemerkt.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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8 Kommentare

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  • ...warum sollte sich die aus Putins Sicht notwendige Mission in der Ukraine ausweiten ? Die USA sind ja geographisch gesehen etwas ab vom " Schuss "... ich bin wirklich sehr froh , daß wir eine , zwar etwas chaotisch anmutende Ampel , an der Regierung haben , aber dennoch empfinde ich Diplomatie und möglichst Zurückhaltung walten zu lassen - wie Olaf Scholz es handhabt recht vernünftig. Meine Familie und die meisten unserer Freunde sehen es ähnlich. Man kann aber den Eindruck bekommen, diese täglichen zum Teil widersprüchlichen Nachrichten, bringen mehr Unruhe in die Bevölkerung , als das sie informativ einen Wert darstellen.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Putin sieht Russland im Krieg mit dem gesamten “kollektiven Westen” (O-Ton Putin) und Russland agiert ja auch schon seit Jahren nur destruktiv und aggressiv gegen uns. Es wird Zeit, dass das endlich auch der letzte hier kapiert. Putin ist unser Feind, weil er es sein will.

      • @Suryo:

        ...verstehe ich Sie richtig , Sie meinen " wo ein Wille , auch ein Weg " ?

        • @Alex_der_Wunderer:

          Ich meine, dass Sie langsam mal begreifen sollten, dass Putin auch Sie bedroht.

  • Seit Schmidt Schnauze und Herbert Wehner, die schon mal eloquent rumpolterten, aber auch Lösungen fanden, hat die SPD verschiedentlich ein gespaltenes Verhältnis zu komplexen Themen. Visionen gehört dazu:



    //



    taz.de/Wieder-mal-...-kriegen/!5457428/



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    Willy Brandt hatte mit "mehr Demokratie wagen" auch eine ideale Formulierung zur Vorlage gebracht. Repräsentative Demokratie auf (!)allen Ebenen wäre ein hohes Ziel. Schließlich wundern wir uns doch auch darüber, dass eine Minderheit jemanden mit gefährlichen Absichten zum POTUS wählen kann. Über die Kosten der Brüsseler Bürokratie und die Effizienz der Behörden wäre auch kritisch zu reflektieren, insbesondere wegen riesiger Subventionen und massiver Eingriffe in Märkte.

  • Ok, Scholz hat nicht gesagt, wie er diese europäischen Ziele erreichen will. Mindestens genauso wichtig fände ich aber eine Aussage dazu, was Europa dann sein soll.

    Die letzten Jahrzehnte galt Europa als Metapher für eine überwindung des Nationalstaats und eine multilaterale, regelbasierte Ordnung, die die ganze Welt und alle Menschen umfasst.

    Jetzt klingt es mehr nach einem europäischen Nationalstaat gegen den Rest der Welt - und als Hauptmotivation eher, dass die alten Nationalstaaten zu klein geworden sind und nichts mehr ausrichten können auf globale Skala. Also eher nationale Machtmotive.

    Beides kann ja ok sein, aber ich hätte von Scholz gerne mehr Klarheit welchem Bild er folgt.

  • "In Brüssel tut man so, als könne die EU weitermachen wie vor dem Krieg, nur mit mehr Waffen und härteren Sanktionen...Scholz und die meisten EU-Politiker haben es nur noch nicht gemerkt." Kleiner Hinweis an Herrn Bonse: vor dem Krieg gab es weder Sanktionen noch Waffen. Deshalb "tut man in Brüssel nicht nur so", sondern macht tatsächlich eine grundsätzlich andere Politik als vor dem Krieg. Nur der Herr Bonse hat es anscheinend nur noch nicht gemerkt.

    • @Michael Myers:

      Ihr Kommentar ist bedenkeswert!