Grundsatzrede von Bundeskanzler Scholz: Kandidatenländer sollen in die EU

Olaf Scholz erklärt, wie sich die „Zeitenwende“ auf die EU auswirkt. Angesichts des Kriegs in der Ukraine fordert er weitgehende Reformen.

Olaf Scholz steht im Anzug an einem Rednerpult

Möchte, dass die EU schneller agieren kann: Bundeskanzler Olaf Scholz in der Karls-Universität in Prag Foto: Petr David Josek/ap

Prag/Berlin rtr/dpa/taz | Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sich für radikale Reformen in der EU aus, um neue Staaten aufzunehmen. In einer europapolitischen Grundsatzrede in Prag schlug Scholz am Montag dabei Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Steuerpolitik und eine Neuordnung im Europäischen Parlament vor. Er unterstützte zudem die Idee für eine neue europäische politische Gemeinschaft, die einen engeren Austausch mit Partnern außerhalb der EU ermöglichen soll.

Die EU könne schneller reagieren, wenn sie nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden würde, argumentierte er. Die aktuelle Lage in der Ukraine mache deutlich, dass dies nötig sei. Wählerstimmen sollten in etwa das gleiche Gewicht haben. Eine Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit sei wichtig, auch wenn dies Auswirkungen auf Deutschland habe und gerade bei den kleineren EU-Staaten zu Besorgnis führe.

Scholz sprach sich ausdrücklich für eine Erweiterung der EU aus, die mache aber weitere Reformen nötig: „Eine Europäische Union mit 30 oder 36 Staaten aber wird anders aussehen als unsere heutige Union.“ Am Prinzip, dass jeder Staat ei­ne*n EU-Kommissar*in bestimmt, wolle er dabei nicht rütteln. Als Kompromiss schlug er vor, dass zwei Kommissionsmitglieder gemeinsam für eine Generaldirektion zuständig sind.

„Die Ukraine, die Republik Moldau, perspektivisch auch Georgien und natürlich die sechs Staaten des westlichen Balkans gehören zu uns“, betonte Scholz. Dabei verwies er auch auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, als EU stärker zusammenzuarbeiten. „Ihr EU-Beitritt liegt in unserem Interesse.“

Wiederaufbau der Ukraine

Zugleich plädierte der SPD-Politiker für eine stärkere Verteidigungszusammenarbeit, forderte ein voll funktionsfähiges EU-Hauptquartier und bot eine zentrale deutsche Rolle bei der Organisation der Luftverteidigung in Nord- und Osteuropa an.

Er sicherte der von Russland angegriffenen Ukraine dabei dauerhafte Hilfe zu. „Wir werden diese Unterstützung aufrechterhalten, verlässlich und so lange wie nötig“, sagte Scholz. Eine internationale Expertenkonferenz soll am 25. Oktober in Berlin über den Wiederaufbau der Ukraine beraten. „Das gilt für den Wiederaufbau des zerstörten Landes, der eine Kraftanstrengung von Generationen wird.“

Als weiteren Punkt ging Olaf Scholz in der rund einstündigen Rede auch auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit der EU ein: „Dort, wo Europa verglichen mit dem Silicon Valley, Shenzhen, Singapur oder Tokio zurückliegt, werden wir uns an die Spitze zurückkämpfen.“ Dabei sei auch die von der EU angestrebte Klimaneutralität bis 2050 weiterhin ein wichtiges Ziel.

Mit Blick auf die Rechtsstaatskonflikte mit Polen und Ungarn betonte der Kanzler, dass die EU keine Kompromisse bei dem Wertefundament der EU machen dürfe. „Sinnvoll scheint mir auch, Zahlungen konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen“, sagte er.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand, Scholz hätte vorgeschlagen, dass sich zwei Länder eine Kommission teilen sollten. Das trifft nicht zu und wurde entsprechend geändert.

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