Antisemitismus bei der Documenta: Schweinerei auf Bildern
Ein Gemälde wird in Kassel wegen antisemitischer Motive abgebaut. Kritiker sind entsetzt darüber, dass es das Werk überhaupt auf die Schau schaffte.
Das Werk namens „People’s Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi zeigte im Gewimmel eines metergroßen Protestbanners einen Zigarre rauchenden Geschäftsmann. Er hat Wolfszähne und blutunterlaufene Augen, Hakennase, Brille und Schläfenlocken. Auf seinem Melonenhut ist das Doppelrunen-Zeichen der SS erkennbar. Mag das Werk auch zwanzig Jahre alt sein und mit seiner agitatorischen, karikaturenhaften Bildsprache im gerade von Diktator Suharto befreiten Indonesien die freie Meinungsäußerung einer lang unterdrückten Gesellschaft bekunden: Es bedient antisemitische Motive, vom Verschwörungsnarrativ des Juden als Strippenzieher und Finanzjongleur hinter der Macht.
Ihr Werk stehe „in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung“, erklärte hingegen Taring Padi am Montagabend. „Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck.“
Doch „People’s Justice“ bedient noch weitere antisemitische Codes: Hinter dem Rauchenden mit SS-Hut drängt aus einer uniformierten Hundertschaft ein Schwein mit Rüssel hervor, „Mossad“ steht auf seinem Helm, ein Davidstern auf seinem roten Halstuch.
Wie konnte es soweit kommen?
Nach scharfer Kritik von der Bundesregierung, der hessischen Landesregierung und dem Zentralrat der Juden sollte das Werk, nachdem es am Montag erst verhüllt wurde, am Dienstag abgebaut werden. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die hessische Kunstministerin Angela Dorn (beide Grüne) warfen dem Künstlerkollektiv Taring Padi eine „antisemitische Bildsprache“ vor.
Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Schon vor einem halben Jahr kamen Bedenken auf, ob nicht auf dieser Documenta mit über 50 geladenen Künstlerkollektiven auch die Gefahr antisemitischer Äußerungen bestehen könnte, dass hier vielleicht die Kontrolle darüber verloren werden könnte, aus welchem politischen Kontext einige Gruppen in ihren lokalen, außerhalb von Europa liegenden Wirkungsorten kommen. Selten hat eine Documenta im Vorfeld eine so heftige Debatte hervorgerufen wie diese. Die indonesische Kurator:innengruppe Ruangrupa und die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, hatten aber Zweifel stets abgewehrt.
Im Fokus stand zuletzt die palästinensische Künstlergruppe The Question of Funding. Ihr Beitrag zur Documenta sorgte für Kritik: Er zeigt unter anderem Fotocollagen mit Anspielungen auf Pablo Picassos weltbekanntes Werk Guernica. Israelische Soldaten greifen darauf palästinensische Bauern an. Auch hier wird bildlich die Parallele zwischen dem nationalsozialistischen und dem israelischem Staat aufgemacht.
Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs
Von dem Protestbanner der Gruppe Taring Padi war jedoch bis dahin keine Rede. Denn „People’s Justice“ war bei dem Presserundgang auf dem Friedrichsplatz noch gar nicht zu sehen. Erst am Freitag wurde es aufgebaut, „nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt wurden“, heißt es in einer Stellungnahme von Schormann. In Kassel sei es „die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext“ gewesen.
Doch trotz der Kritik im Vorfeld wurde offensichtlich nicht verstärkt darauf geachtet, was für Bilder auf der Documenta 15 gezeigt werden sollten, welche Botschaften auf der internationalen Kunstschau verbreitet werden. Schormanns Reaktion blieb zunächst mager: „Die Geschäftsführung der Documenta ist keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein.“
Mit der Verhüllung hofften Taring Padi, eine Debatte in Gang zu bringen. „Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“, hatte das Kollektiv noch erklärt. Doch in welche Richtung sich diese Diskussion nun nach dem Abbau des Werks entwickelt, ist unklar – ebenso, welche Rolle die Verantwortlichen bei der Documenta darin spielen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“