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Weniger Pro-Kopf-VerbrauchWachsende Milchskepsis

Laut einer aktuellen Statistik verbrauchen die Menschen in Deutschland so wenig Milch wie zuletzt 1991. Auch die Milch-Produktion wird weniger.

Landwirt Ludger Strotdrees aus Harsewinkel melkt eine Kuh. Am 1. Juni ist der Weltmilchtag Foto: dpa

Wiesbaden dpa | Nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL) ging der Pro-Kopf-Verbrauch von sogenannter Konsummilch im vergangenen Jahr in Deutschland auf durchschnittlich nur noch 47,8 Kilogramm zurück (minus 2,2 Kilogramm). Das ist der niedrigste Milchverbrauch seit Beginn der gesamtdeutschen Statistik im Jahr 1991.

Im Jahr 1995 lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Konsummilch (was Vollmilch, entrahmte, teilentrahmte sowie Vorzugsmilch umfasst) noch bei knapp 62 Kilogramm. Vor zehn Jahren waren es dann schon nur noch 52 Kilogramm.

Als möglicher Grund für den Abwärtstrend wird der verstärkte Konsum pflanzlicher Alternativprodukte genannt. Sprich: von Hafer-, Soja-, Mandel-, Cashew-, Erbsen-, Kokosnuss- oder Pistazien-Drinks. Allein 2021 wurden 296 Millionen Liter Milchersatzgetränke nach Deutschland importiert, 42 Prozent mehr als im Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag berichtete. „Gegenüber 2017 haben sich die Importe mehr als verdreifacht.“

Der größte Teil der importierten Pflanzendrinks (35,4 Prozent) kommt demnach aus Belgien. Wichtige Lieferanten sind auch, Italien, Österreich und Frankreich. Milchersatz darf in der EU übrigens nicht mit der Bezeichnung „Milch“ in Verkehr gebracht werden, weshalb dann meist „Drink“ auf der Packung steht, aber eigentlich alle trotzdem „Milch“ sagen.

Pflanzliche Milchalternativen sind kein Nischenprodukt mehr

Vor allem Sojamilch galt vielen Leuten lange Zeit als verrückte Eigenheit von Veganern. Doch Produkte wie Hafermilch und Mandelmilch sind längst keine Nischenartikel mehr für Hardcore-Veganer oder Menschen mit Allergien oder Unverträglichkeiten.

„Kritik an der Milch ist mit Blick auf die Menschheitsgeschichte der letzten sieben- bis zehntausend Jahre ein sehr neues Phänomen“, sagt der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder. Die Skepsis gegenüber Milch, die jahrtausendelang für Reichtum, gutes Leben und Gesundheit gestanden habe, gebe es verstärkt seit gut 30 Jahren und heute in erster Linie in der jüngeren Generation und in bestimmten Milieus, die oft fernab vom Land lebten, erläutert der Professor von der Uni Regensburg, der neben Geschichte auch Agrarwissenschaft studiert hat.

„Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde das Leitnarrativ bei vielen weg vom Rechts-/Links-Schema auf die Ernährung übertragen“, sagt Hirschfelder. „Essen und Trinken haben eine Stellvertreterfunktion übernommen – mit dem groben Schema „Müsli ist Weltrettung“ und „Steak steht für Selbstoptimierung“.“ Die Milch nehme dabei eine besondere Stellung ein und werde extrem aufgeladen. „Weiß sieht sie unschuldig aus, ist aber in den Augen vieler Leute schuldig. Milchviehbetriebe gelten manchen als reine Tierqualanstalten.“

Aus diesem Schuldkreislauf lasse sich dann aber recht bequem aussteigen. „Pfanzliche Milchalternativen tun nicht weh, lassen sich fast genauso wie Milch verwenden, sind hip und cool. Das Motto lautet dann oft „Ich verbessere die Welt und mich selber“.“

Milch war wichtiger Schritt in Zivilisationsgeschichte

Historisch gehörten Ackerbau, Viehhaltung und auch Milchproduktion zur Sesshaftwerdung und seien eine wichtige Entwicklung der Zivilisationsgeschichte, betont Hirschfelder. „Unsere Sprache ist voll von positiven Bildern über Milch, man denke etwa an die Metapher vom „Land, in dem Milch und Honig fließen“.“ Bis ins 19. Jahrhundert hatten die meisten Menschen auch in unseren Breiten viel Kontakt mit Vieh und Nutztieren, sahen das Melken, waren von klein auf Experten.

Die heutige Milchskepsis gebe es in anderen Teilen der Welt wie China oder in den arabischen Ländern weniger, sagt der Professor. Aus Historikersicht sei sie eine Modeerscheinung und global gesehen noch kein Massenphänomen. Und ökologisch und ökonomisch sei auch Skepsis gegenüber hochverarbeiteten industriellen Nahrungsmitteln wie Hafer- und Mandelmilch angebracht. „Ist heimische Milch mit einem Butterbrot nicht vielleicht sogar besser als der Handel etwa mit Sojaprodukten?“

Käse ist schlechter zu ersetzen

Eine besondere Beobachtung hat Hirschfelder bei einem wichtigen Milchprodukt gemacht. „Käse ist schlechter zu ersetzen als Milch. Dessen Fett, Protein, Geschmack und Eigenheit ist mit Tofuwürfelchen überm Salat oder auch bei Pizza und Auflauf kaum kopierbar.“

Die Statistik zeigt denn auch: Auch wenn es Imitate gibt (Stichwort: Analogkäse), echter Käse ist populärer geworden in den letzten Jahren. In den 80er Jahren lag der Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr nur um die 14 Kilogramm, im Jahr 2000 bei rund 21 Kilogramm. Im letzten Jahr blieb der Käsekonsum konstant bei mehr als 25 Kilogramm.

Auch die Produktion sinkt

Die Produktion von Trinkmilch tierischen Ursprungs ist in Deutschland auch 2021 zurückgegangen. Im vergangenen Jahr wurden 7,6 Milliarden Liter Trinkmilch zum Absatz erzeugt, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Das war der niedrigste Wert seit 2002. Allein gegenüber dem Vorjahr sank die zum Absatz bestimmte Produktion um 7,1 Prozent (von 8,2 Milliarden Litern). 2003 wurden noch 8,9 Milliarden Liter hergestellt.

Nach Angaben einer Sprecherin der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn, einer beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angesiedelten Behörde, nahm 1970 in der alten Bundesrepublik durchschnittlich jede und jeder noch mehr als 80 Kilogramm Trinkmilch im Jahr zu sich. „Daten aus der ehemaligen DDR liegen uns nicht vor.“

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16 Kommentare

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  • Mit der frischen Vollmilch ist es wie mit den alten Obstsorten. Über Jahrhunderte bewährt, plötzlich lauter schlechte Eigenschaften. Sind sie erstmal durch Plantagenanbau ersetzt ("länger haltbare" Dauermilch, Soja Big Business, in weiten Teilen der Welt mit Gentechnik) sind die alten Sorten für immer aus dem Handel verschwunden und die Kleinbauern haben ihre Höfe verkauft.

    Ich trinke weiter frische Vollmilch! Bio oder von den wenigen konventionellen Betrieben wie z. B. Hemme. -> Die mit dem Geschmack (und den guten Blutwerten)!

    • @Rosmarin:

      So isset. Reminiszenz - lang her -

      Die Kühe - größer als ich & diese Massen - von der Koppel über den Sommerweg den Kluckerdamm (war so wie er hieß) & dann dampften sie im Kuhstall zweireihig in ihren Buchten - bis auf die üblichen 3 - 4 Verdächtigen - die auf der falschen Seite in der falschen Bucht - scheißenocheins - Gemuhe Schwänze um die Ohren klatsch klatsch - geschafft!



      Ach nee - “ANKETTEN!“;)( schwitzt! - 🤣



      & Käti - ? - (slavischer Einschlach;))



      Meine Lieblingstante & erste große Liebe (ja ja - die zum schallenden Gelächter unserer alten Dame - großen Bruderherz Lederhose full of Kohshit Gewaschen hatte;)) - unlängst mit 93 zu Grabe getrage => un ik nu de Öllerste!



      Verkündete dann doch zuvor denn mal:



      “Nee Nee - dat geit ja wohl nu doch to wiid! Nu gah ik nich mehr den morgens innen Koahststall - tonn Melken!“



      Liggers - Mit 89! Natalje un nu komms du!

      So geht das

      unterm——-



      Ern Söhn fährt die Vollhufe (55 ha + Pachtland (neuerdings) singelhanded!



      Aber seine Kühe verbistern sich die ein oder andere noch immer in den Buchten



      Nur der Junge - is davon & der lecker Milch 🥛 treu geblieben! Wo süs! - 😎 -



      Leide ja nicht - Gaahrp - unter Geschmacksverirrungen! Newahr.



      Nö. Normal nich •

      Na prost 🥛

  • Nach 1 1/2 Jahren die Brust (mein 6 Jahre älterer Bruder hätte sonst nur Magermilch(pulver) bekommen - ab da Milch 🥛 bis hück - bis zum Abwinken & zudem bis 6 (raus aus der DDR;) zusätzlich Milch von Liese - lecker - einer Südtiroler Sahneziege 🐐 schlohweiß - Ist mir hier



    alles recht: Hauptsache - es bleibt mir genug 🥛übrig. Gellewelle&Wollnichwoll •

  • Dieser dpa-Artikel ist ja reichlich tendenziös. Da hat die Agrarlobby mal wieder ganze Arbeit geleistet. Statt eines „Weltmilchtages“ wünschte ich mir einen „Welt-Kuhtag“. Die Aussage von Gunter Hirschfelder „… Milchviehbetriebe gelten manchen als reine Tierqualanstalten“ lässt aufhorchen, suggeriert sie doch, dass dem gar nicht so sei. Ich wusste übrigens nicht, dass man Milch kritisieren kann („du böse, böse Milch!“) und dass Massentierhaltung, ach nein, es heißt ja neuerdings euphemistisch „Intensivtierhaltung“, auf Wellnessfarmen für gestresste Schweine und Rindviecher betrieben wird. Aber ich wohne ja auch in der Stadt und kann das womöglich gar nicht beurteilen. Gehören diese tierischen Wachse-oder-Weiche-Wohlfühl-Farmen inzwischen eigentlich auch zur wichtigen Entwicklung unserer „Zivilisations“-Geschichte?

    „Ist heimische Milch mit einem Butterbrot nicht vielleicht sogar besser als der Handel etwa mit Sojaprodukten?“ lockt uns Herr Hirschfelder am Weltmilchtag. Ja, weiß denn der studierte Herr Agrar-Wissenschaftler nicht, dass Soja ein zentraler Bestandteil des Futters der ehemals Gehörnten ist? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Übrigens ist unsere Sprache voll von positiven Bildern über Hörner: „sich die Hörner abstoßen“, „jemandem Hörner aufsetzen“, „ins gleiche Horn blasen“. Aus emphatischer Sicht hoffe ich jedenfalls, dass das Herausbrennen der Hörner eine vorübergehende Modeerscheinung ist. Dem müsste ein Mensch namens Hirschfelder doch eigentlich zustimmen können, oder?

    In diesem Sinne auf zum nächsten historischen Schritt: lasst uns der Käse-Skepsis frönen!

  • Ich brauche für nichts Milch

  • Ich finde immer ein bisschen schade dass das untergeht in der Debatte, dass es einen Unterscheid macht, woher die Milch kommt und welche Kuhrasse die Milch produziert hat.

    Es gibt halt einen Unterschied zwischen der Norddeutschen Turbomilchkuh und z.B. dem Allgäuer oder Schweizer Braunvieh. Käseproduzenten wissen das: Mit der Milch aus der Norddeutschen Turbokuh ist nicht gut Käse machen.

    Auch was das Tierwohl betrifft (Lebensdauer, Gesundheitszustand) und in der Regel auch was die Haltungsformen betrifft gibt es große Unterschiede. (Was nicht heißt, dass im Süden alles cool ist.)

    • @Hanno Homie:

      ..die Milch kommt immer von einer ausgebeuteten Kuh, der man das Kalb wegnimmt und die dauernd schwanger gehalten wird und die vorzeitig im Schlachthof endet.

  • Simpel.

    Wer die leeren Weiden sieht, weiß sofort, dass alle fast alle Kühe im Stall stehen.

    Etwa 90 Prozent der armen Viecher sehen niemals in ihrem kurzen, traurigen Leben eine Weide. Sind die Hörner ab, weiß man sofort, dass in den überfüllten Ställen alles sehr, sehr eng zugeht.

    Es ist leicht Vegetarier zu werden. Veganer dagegen nicht so einfach. Also Bio-Milch und -Käse oder Butter.

    Und selbstverständlich nur aus Weidehaltung.

  • "... aber eigentlich alle trotzdem „Milch“ sagen."



    Falsch. Nicht alle. Ist halt unkorrekt, weil es keine Milch ist. Deswegen vermeiden ich und andere z.B. Sojamilch zu sagen, sondern Sojadrink. Manchmal brauchen wir menschen etwas länger um uns an eine richtige Ausdrucksweise zu gewöhnen.

    Kenn irgendjemand vielleicht noch eine bessere Formulierung als -drink?

    • @bonus bonus:

      Hast du auch solche Probleme mit Leberkäse oder geht da die Astroturfabteilung der Milchbauervereinigung einfach nicht so steil?

    • @bonus bonus:

      Es geht doch nichts über eine gute Scheuermilch zum Frühstück.

    • @bonus bonus:

      SojaWasser wäre der korrekte Begriff, weil es genau das ist: etwas Soja und viel Wasser....oder dann doch eher WasserSoja?

      • @Eberhard Schrempf:

        Der Wasseranteil bei Kuhmilch ist ähnlich wie bei Sojamilch. (90%) Heisst sie deswegen Kuhwasser?

        • @Geronymo:

          Die Milchkühe wurden schon immer ausgebeutet.



          Die heutige Landwirtschaft ist derart intensiviert, dass kein Spielraum für eine artgerechte Haltung besteht.

          Die Milchkuh wird ständig geschwängert, wird mehrfach Mutter, aber darf es nie sein. Das Kalb wird nach der Geburt sofort von der Mutter entfernt und kommt in eine Isolationsbox, wo es mit Milchersatz gefüttert wird. Die Milch der Mutterkuh wird abgesogen und billig verscherbelt.

          Wenn die Kuh nichts mehr leistet, wird sie auf den LKW getrieben und wenn das Tier Glück hat, wird es zu einem nahegelegenen Schlachthof und nicht in den Nahen Osten gefahren, wo ihr "shackle and hoist" droht. Wenn es in der hiesigen Schlachtfabrik Glück hat, wird es schnell mit einem sicheren Bolzenschuss von seinem irdischen Dasein erlöst, andernfalls muss es lange Anstehen und bekommt einen fehlgesetzten Schuss in den Schädel.

          Also in Anbetracht der Tierhaltung begrüße ich es sehr, dass der Milchkonsum gesunken ist.

          Wenn man dann noch die ökologischen Folgekosten durch den Flächenverbrauch (Futtermittel) einbezieht, so ist die Entscheidung noch einfacher. Das gilt für die konventionelle Milchwirtschaft besonders Es gilt aber auch für den Großteil der biologischen Landwirtschaft.

        • @Geronymo:

          Milch ist Säugeleisten-Wasser.

      • @Eberhard Schrempf:

        Mir ist „SojaWasser" oder „WasserSoja" (auch wenn beides Unsinn ist) seit mehr als ein Jahrzehnt WEITAUS lieber, als: „Milch* ist ein Hormoncocktail**" - Professor Dr. Melnik (Dermatologie, Allergologie, Ernährungswirtschaft, Milchforschung)

        *artfremde Säuglingsnahrung



        **Östrogen, Progesteron, IGF-1, weitere Hormone