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Ökosozialer UmbauAmpel hat Angst vor der Wende

Ute Scheub
Gastkommentar von Ute Scheub und Annette Jensen

Die Regierungskoalition ist dabei, eine historische Chance zum ökosozialen Umbau zu verpassen. Die Gesellschaft würde viele harte Maßnahmen mittragen.

Erster autofreier Sonntag der Bundesrepublik am 25.11.1973 Foto: Heinz-Jürgen Göttest/picture alliance

M an möchte in die Tischkante beißen. Schon wieder ist die Regierung dabei, eine historische Chance zum ökosozialen Umbau zu verpassen – wie schon in der Coronakrise. Die wurde nicht genutzt, um die Billigfliegerei einzudämmen und die Profitorientierung im Gesundheitssystem zu beenden. Nun rächt sich das. Mit den Affenpocken droht die nächste Epidemie und der gleiche Fehler.

Auch den Krieg in der Ukraine könnte die Ampelkoalition viel stärker für die notwendige Transformation nutzen. Die Regierung macht mit ihrem Ausstieg aus Putins fossilen Energien zwar vieles richtig, aber auch vieles falsch. Der Neubau von elf extrem klimaschädlichen Flüssiggas-Terminals, der im Eiltempo durchgedrückt wurde, ist ein katastrophales Beispiel. Weitere sind die schwachsinnige Subvention des Benzinpreises und der Unwille, mit ambitionierten Energiesparmaßnahmen putin- und fossilfreie Zonen zu schaffen. Selbst die Internationale Energieagentur hat schon im März ausgerechnet, dass sich durch zehn Einzelmaßnahmen täglich rund 2,7 Millionen Barrel Öl einsparen ließen – so viel wie der Benzinverbrauch aller Autos in China. Dazu zählen Tempolimit, Streichung der Inlandsflüge, mehr Homeoffice und autofreie Sonntage.

Warum wird so gut wie nichts davon verwirklicht? Wovor hat die Regierung Angst? Vor Gelbwesten-Protesten? Oder dem kleinen Koalitionspartner FDP? Rechtspopulistische Proteste sind zwar nie völlig auszuschließen, lassen sich aber durch kluges, transparentes Vorgehen einschränken.

Die Akzeptanz für Doppelstrategien gegen Putin und die Klimakrise ist in der Gesellschaft so breit wie nie zuvor – und das muss nicht Verzicht bedeuten, sondern kann mehr Lebensqualität bringen. Beispiel autofreie Sonntage: Wer sie in der Ölkrise 1973/74 erlebt hat, weiß, wie zauberhaft sie waren: Sonnenuntergänge mit Nachtigallgesang an Autobahnen und in Innenstädten. Beispiel Tempolimits: Schon lange zeichnen sich hierfür Mehrheiten in der Bevölkerung ab. Warum dies nicht lustvoll zelebrieren als langsame Massen-Events?

Annette Jensen

Annette Jensen

ist freie Journalistin, Buchautorin und eine der Spre­che­r*in­nen des Berliner Ernährungsrats.

Sie leitete die Redaktion für das 2021 erschienene Buch: „Berlin isst anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“.

Gratis-Download unter: https://ernaehrungsrat-berlin.de/berlin-isst-anders/

Wer sich nicht traut, solche Maßnahmen bundesweit auszurufen, könnte sie zumindest als Regionalexperimente in einigen Bundesländern oder Städten zulassen, begleitet und ausgewertet von repräsentativ ausgelosten Bürgerräten. Überhaupt könnte viel mehr ausprobiert werden. Welche Stadt oder Gemeinde wird zur ersten vollständig „putinfreien Zone“? Dafür könnte es einen Wettbewerbspreis geben, überreicht von der Bundesumweltministerin.

Ein Skandal ist die Tatsache, dass immer noch rund 60 Prozent des deutschen Getreides in Tiertrögen und Tanks landet – in einer Zeit, in der in Ostafrika und Nahost Millionen von Hungertoten zu befürchten sind. Die zuständigen Ministerien wollen diesen Anteil zwar verringern, aber im Schneckentempo. Warum nicht sofort? Statt mit Getreide und Gensoja aus abgeholztem Amazonasgebiet dürften Nutztiere nur noch mit hof­eigenem Futter gefüttert werden. Mehr Fleisch und Milch gibt es dann einfach nicht.

Ute Scheub

ist Mitbegründerin der taz und deren Ökoressort. Als freie Publizistin hat sie inzwischen 23 Bücher veröffentlicht, darunter 2017 zusammen mit Stefan Schwar­zer „Die Humus­revo­lution“.

Heute verursachen hochverarbeitete Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz Übergewicht und Allergien; beides breitet sich weltweit rasant aus. Das bedeutet Leid für die Betroffenen und hohe Kosten für die Sozialversicherungen. Zugleich reicht Hartz IV nicht aus, um sich gesundheitsförderlich zu ernähren. Für das Klima ist unser Ernährungssystem ebenfalls fatal: Wenn alles von der Kunstdüngerproduktion bis zur Lebensmittelverschwendung einberechnet wird, sind mindestens ein Drittel aller Treibhausgase darauf zurückzuführen.

Probiert es wenigstens mit Experimenten aus!

Es ginge auch anders. Die „Eat-Lancet-Kommission“ um den Klimaforscher Johan Rockström hat bereits 2018 einen „Speiseplan für Mensch und Erde“ veröffentlicht. Damit könnte die bis 2050 wachsende Weltbevölkerung auf Bio-Niveau gesund ernährt werden, ohne dass das den Planeten weiter ruiniert. Menschen könnten durchschnittlich 13 Jahre länger leben, die Massentierhaltung würde extrem zurückgehen, die planetaren Ökosysteme könnten sich regenerieren. Das Geheimnis hierfür ist geradezu schlicht: wesentlich mehr pflanzenbasierte Kost, mehr Hülsenfrüchte, mehr Nüsse, dafür wesentlich weniger Fleisch und Milchprodukte. Warum wird das nicht in deutschen Kantinen, Krankenhäusern und Kitas jetzt schon eingeführt?

Auch hier sollte gelten: Probiert es wenigstens mit Experimenten aus! Ein Forschungsteam der Uni Würzburg hat herausgefunden, dass Studienteilnehmende in Restaurants häufiger Gemüse- statt Fleischburger auswählten, wenn Erstere als Standard auf der Speisekarte aufgeführt wurden. Farblich gestaltete Klimalabels – Rot für viel Treibhausgas, Grün für wenig – führten dazu, dass sie eher Gerichte mit niedrigen CO2-Emissionen bevorzugten. Eine Masterarbeit im Rahmen des „Grünen Journalismus“ der Uni Darmstadt zeigte, dass die Bundeskantinen zu viel Fleisch und kaum Öko anbieten. Hier könnten Bundestag und Behörden mit gutem Beispiel vorangehen und Klimafood servieren.

Und schließlich zeigten der querliegende Tanker im Suezkanal und die coronabedingte Blockade des Hafens von Shanghai, wie leicht globale Lieferketten reißen. Da wäre es sinnvoll, wenn sich Waschmaschinen, Mixer und Föhne leicht reparieren ließen. Heute konstruieren Hersteller Alltagsgegenstände so, dass sie schnell kaputtgehen. Oft sind Schrauben oder Bauteile verschweißt – Reparatur ausgeschlossen. Bei Handys und Computern zwingt immer aufwendigere Software die Kundschaft zum häufigen Neukauf. All das ist eine riesige Ressourcenverschwendung, die viele Menschen ärgert. Auch hier kann die Regierung handeln: mit Gesetzen, die Reparierbarkeit und schlanke Software für Konsumgüter vorschreiben.

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14 Kommentare

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  • Die Autorinnen glauben offenbar, dass die Ampelparteien gern das Autofahren an Sonntagen verbieten wollten. Ich sehe nicht, worauf sich diese Annahme stützt. Keine der Regierungsparteien hat in den letzten Jahrzehnten autofreie Sonntage gefordert. Die einzige Koalitionspartei, von der ich mir eine solche Forderung theoretisch vorstellen könnte, sind die Grünen. Und auch die werden sich hüten, sowas zu fordern, solange es in diesem Land Wahlen gibt.

    • @Budzylein:

      Langeweile macht krank und fett, soll alles so bleiben, wie es ist mit kranken, unzufriedenen Alten, die sich von den Profitjägern mästen liessen und jetzt der Jugend verbrannte Erde zurücklassen, in der Erwartung, dass diese die Schulden tilgen. Was sie nicht können, weil der kapitalistische Markt implodiert, weil die gierigen Großen kein Futter mehr finden. Blinde Kuh is out !

      • @Dietmar Rauter:

        Nun raten Sie mal, welche Altersgruppe die größten Konsumenten an Verbrauchsgütern darstellt. Na? Die Alten sind es schon mal nicht. Kleiner Tip: *...lando, *...zon, etc.

  • In dieser vom Konsumwahn getriebenen Gesellschaft..in der jeden Tag eine ganze Industrie (Werbung) dafür sorgt, daß wir unzufrieden werden, sollten wir nicht auch dieses oder jenes Produkt kaufen...

    ...sollte sich ein:e jede:r wieder auf das Wesentliche besinnen.

    Verzicht ist dabei oft gar nicht so wichtig. Wer beispielsweise in der Stadt lebt und sein/ihr Auto abschafft zugunsten eines guten Fahrrads, könnte eine interessante Erfahrung machen: denn Fahrrad fahren ist nicht nur kostengünstig, umweltschonend und gesund..es macht einen zu einem gewissen Grad auch viel freier...und ja: glücklich.!!

    Soweit ein simples Beispiel wie ein (nur vordergründiger) Verzicht sich in einen großen Gewinn verwandeln kann..

    ...und Möglichkeiten sein/ihr Leben dahin gehend zu verändern gibt es zuhauf...da ist für jede:n was dabei..

    - Versprochen..!!

  • taz: "Heute konstruieren Hersteller Alltagsgegenstände so, dass sie schnell kaputtgehen. Oft sind Schrauben oder Bauteile verschweißt – Reparatur ausgeschlossen."

    "Geplante Obsoleszenz (geplanter Verschleiß, Produktvergreisung) ist eine Marketingstrategie, bei der das Veralten eines Produktes vom Hersteller geplant und konzeptionell vorgesehen ist." [Wikipedia] - So funktioniert nun einmal Wirtschaftswachstum. Ständiges Wachstum ist ohne geplante Obsoleszenz nicht möglich. Soziale Gerechtigkeit, Klima- und Naturschutz müsste eigentlich auf der Agenda aller Politiker stehen. Aber Politiker kennen anscheinend nur das Wort "Wirtschaftswachstum", und das obwohl die CO2-Konzentration in der Atmosphäre schon auf 420 ppm angestiegen ist.

    ***Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre - Umweltbundesamt*** www.umweltbundesam...in-der-atmosphaere

  • Viele Punkte sind zwar richtig, aber es ist ein Sammelsurium, so dass man auf die einzelnen kaum eingehen kann. Jedenfalls wird der Hauptpunkt "Die Gesellschaft würde viele harte Maßnahmen mittragen." in keiner Weise erläutert. Dann wird Alarmstimmung verbreiett "Mit den Affenpocken droht die nächste Epidemie " - ohne Grundlage. Und mit "putin-freie Zonen" weitere Schlagworte eingestreut, anstelle beispielhaft in die Tiefe zu gehen.



    ZB bei der Reparierbarkeit von Waschmaschinen. Das ist nicht nur Gewinnstreben, sondern auch ganz stark Kaufverhalten. Wenn die Trommel mit Plastik aufgehängt ist, ist die Maschine viel billiger im Moment und wird entsprechend gekauft. Die teure Maschine mit der Stahlaufhängung bleibt dann stehen. Soviel dazu, dass der weise Verbraucher alles mögliche mittragen würde.

    • @fly:

      "Das ist nicht nur Gewinnstreben, sondern auch ganz stark Kaufverhalten."



      Ja, ja, ja, die Käufer (also wir alle) sind schuld.



      Leider können wir nur das beurteilen, was wir von außen sehen. Zu Ihrem Waschmaschinenbeispiel: Woher soll ich wissen, wie das Ding innen aussieht? Habe ich das (Fach)Wissen, die Dauerhaftigkeit der Konstruktion zu beurteilen?



      Waschmaschinen haben ja heute (anders als früher) überwiegend Kollektormotoren, und die sind prinzipbedingt Verschleißteile. Haben sie schon in irgendeiner Produktinformation gelesen, ob das Ding z.B. die Kohlen bei Erreichen der Verschleißgrenze abhebt (oder anderswie abschaltet), bevor der Kollektor verschmurgelt und damit der ganze Motor zu Schrott wird? Fragen Sie mal einen Verkäufer nach sowas...

  • "Die Gesellschaft würde viele harte Maßnahmen mittragen." Das möchte ich doch ernsthaft bezweifeln. Lieferdienste (Essen, Waren etc.), Mobilgeräte, billige Kleidung aus Asien zu jedem Trend und Wetter in Massen, billiges Fleisch, billige Flüge zum Ballermann u.s.w. einzuschränken, würde dem Großteil der Bevölkerung schwerfallen, ja sogar missfallen. Reglementierungen sind eine Notwendigkeit. Der reine Verbrauch weil Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stehen und angeboten werden, immer mehr, immer billiger auf Kosten der Umwelt und der sozialen Lage anderer Menschen muß ein Ende haben. Aber wie durchsetzen? Und wer?



    Unser Energiebedarf durch Mobilgeräte, elektrisch hier da und dort wächst überproportional. Jeder Click, jedes Like, jedes Video, jeder Post bei sonstwo braucht Strom. Wo soll all das in Zukunft herkommen, wenn auch die Herstellung von PV-Anlagen u.ä. Strom und Ressourcen verbraucht? Schlußendlich verbrauchen wir alle zu viel, weil wir zu viel wollen und es verfügbar gemacht wird (noch), nicht weil es zum Leben nötig ist. Überall zu viel Goldrand und Zierleisten, wie meine Mutter zu sagen pflegte.

  • Dann möchte ich aber auch, dass die Herstellung von Ersatzprodukten eingeschränkt wird, verwenden sie doch viele Ersatzstoffe. Darüber hinaus muss auch nicht jede*r ein eigenes Telefon, Tablet oder einen PC für sich besitzen. Kleidung kann selbst genäht oder gestrickt werden.



    Südfrüchte sowie Avocados werden nicht mehr importiert, es wird rein das zur Verfügung gestellt, was zur jeweiligen Jahreszeit beim regionalen Bauernhof geerntet und verkauft wird.

  • "Mehr Fleisch und Milch gibt es dann einfach nicht." - Genau das ist der Knackpunkt. Weltrettung par orde du Mufti funktioniert nicht. Was hingegen augenscheinlich funktioniert, ist ein Rückgang des Fleichverbrauchs oder des Butterverbrauchs durch die derzeitige Inflation. Was bedeutet, dass der Preis der einzig wirksame Hebel ist, auch wenn man das in marktwirtschaftsfernen Kreisen nicht hören mag. Das superbillige Schweinefleisch ist bald Geschichte, sobald die derzeitigen Bestände verbraucht (d.h. geschlachtet) sind, und mit der Milchwirtschaft wird's, wenn auch erheblich langsamer, ähnlich gehen. Nur dass dabei die ärmeren drei Viertel der Bevölkerung bitter leiden müssen, denen die Inflation alle Kaufkraft wegfrisst. Mit Vernunft allein hat sich noch nie eine Wende zum besseren durchgesetzt, das ist leider so.

    • @Bernhard Schulz:

      Es ist umgekehrt wie Sie schreiben : BIO, hochpreisige Lebensmittel sind die Verlierer der jetzigen Situation. Im Gegensatz zu allen Anforderungen der Verbraucher an die Erzeugung wird im Laden immer das billigste gekauft. Das Essen ist in Deutschland über Jahrzehnte zu billig gewesen, das ändern man nicht so schnell ....

      • @Günter Witte:

        "... immer das billigste gekauft ..."



        was würd' ich so nicht stehen lassen.

        Richtig wäre wohl eher "... immer das billigste verkauft ..." - aber nicht zum billigsten Preis.

        Oder haben sie eine Erklärung dafür, warum Biolegehennen bis zu dreimal soviel Eier legen wie Legehennen in konventioneller Haltung ?

        Also warum mehr bezahlen wenn kein Mehrwert dahinter steckt ?

        • @Bolzkopf:

          Was die Preise in den Geschäften im Bezug zu den Erzeugerpreisen angeht haben Sie vollkommen recht. Nur ist der Lebensmitteleinzelhandel ( LEH ), und hier vor allem die großen Vier, in Deutschland außerhalb jeglicher Regulierung. Der LEH gehört momentan bei stark fallenden Erzeugerpreisen ( Fleisch ) die nicht weitergeben werden, genauso zu den Krisengewinnern wie die Ölkonzerne.



          Ihre These das Landwirte bei der Stückzahl der Bio-Eier betrügen halte ich für sehr gewagt, weil man in Deutschland von jedem Landwirt genau weis wie viele Tiere er hat. Und nach ihrer Rechnung müsste dann jedes Bio Huhn 2,5 Eier pro Tag legen.