„Mallorca-Gate“ nach Flut in NRW: Tränen im Landtag
Ursula Heinen-Esser sagt nach ihrem Rücktritt vor dem Untersuchungsausschuss aus. Das belastet NRW-Ministerpräsident Wüst – und die SPD.
Auch Heimatschutzministerin Ina Scharrenbach, Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner und die ehemalige Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (alle CDU) waren da und feierten den Geburtstag von Heinen-Essers Mann Heinz Christian, während Zehntausende im Schlamm mit den Folgen der katastrophalen Überschwemmungen kämpften.
Die Flutkatastrophe hat allein in NRW 49 Todesopfer gefordert. In Rheinland-Pfalz starben weitere 141 Menschen, in beiden Bundesländern wurden Städte und Ortschaften komplett verwüstet. Tausende wurden obdachlos, waren ohne Strom, Wasser und Kommunikation.
Die Geburtstagsparty gebeichtet habe ihm die für Hochwasserschutz zuständige Heinen-Esser trotzdem erst „Ende März, Anfang April“ diesen Jahres, erklärt Staatskanzleichef Liminski vor dem Flut-Untersuchungsausschuss des Landtags. Und erst kurz danach will er Regierungschef Wüst informiert haben: „Ob das am dritten, vierten oder fünften April war, kann ich ihnen nicht mehr sagen.“
Für Wüst könnte das wahlentscheidend sein. Gut drei Wochen vor dem Urnengang am 15. Mai liegt seine CDU mit 30 Prozent Kopf an Kopf mit der SPD seines Herausforderers Thomas Kutschaty, der eine überraschende Aufholjagd hingelegt hat. Berichte über einen Regierungschef, der an Minister:innen festhält, die mitten in der Katastrophe Party machten, gelten deshalb als brandgefährlich.
Schwerer Fehler der SPD
Schon am 7. April hatte Heinen-Esser deshalb ihren Rücktritt erklärt – aber bereits einen Tag vorher berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger erstmals über die Geburtstagsparty auf den Balearen. Bereits davor war klar geworden, dass die 56-Jährige den Landtagsuntersuchungsausschuss falsch informiert hatte. Zwar hatte sie ihren laufenden Mallorca-Urlaub am 15. Juli 2021 unterbrochen. Aber in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt Düsseldorf blieb die Ex-Umweltministerin nur einen Tag: Nach einer Kabinettssitzung hob Heinen-Esser wieder Richtung Mallorca ab.
Offizielle Begründung: Sie habe ihre heute 16-jährige Tochter und deren Freund:innen betreuen müssen. Am 21. Juli 2021 habe sie den Urlaub endgültig beendet. Doch selbst das war falsch: Heinen -Esser blieb nach ihrem Kurztrip nach Düsseldorf bis zum 25. Juli auf Mallorca. Auch die Feier zum Geburtstag ihres Mannes am 23. Juli erwähnte sie mit keinem Wort.
Noch heute vor dem Untersuchungsausschuss erklärt Heinen-Esser die Falschinformation mit einem „Büroversehen“. Unklar bleibt, weshalb ihre Kabinettskolleg*innen sie nicht auf dieses Versehen hingewiesen haben. Immerhin waren sie auch am 23. Juli auf der Geburtstagsfeier.
Ein „moralischer Fehler“ sei gewesen, ihren Urlaub nicht abzubrechen, räumt Heinen-Esser ein. Inhaltlich habe sie sich aber nichts vorzuwerfen: Auch von Mallorca aus sei sie ständig arbeitsfähig gewesen, sagt die Kölnerin – bei ihrer Aussage ist sie kurz zuvor in Tränen ausgebrochen.
Denn ausgerechnet am Tag der Auftritte Heinen-Essers und Liminskis vor dem Untersuchungsausschuss hat der Kölner Stadt-Anzeiger abermals für Aufsehen gesorgt – diesmal mit einem Bericht über einen schweren Fehler der SPD: Offenbar auf der Suche nach kompromittierenden Party-Fotos hat ein Mitarbeiter von SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Sarah Philipp versucht, den Instagram-Account von Heinen-Essers minderjähriger Tochter per Freundschaftsanfrage zu knacken.
Das sei „ein Schritt zu viel gewesen“, sagte die Ex-Ministerin mit tränenerstickter Stimme. Die SPD habe „eine Grenze überschritten.“ CDU-Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen sprach von einer „erschütternden Verrohung der demokratischen Kultur“, Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul schlicht von einer „Sauerei“.
Den Genoss:innen bleibt da nur Schadensbegrenzung. „Dumm und unsensibel“ sei die unabgesprochene Aktion eines übereifrigen studentischen Mitarbeiters gewesen, erklärt SPD-Herausforderer Kutschaty. Zwar hat Fraktionsgeschäftsführerin Philipp, die erst am Donnerstag von der Ausspäh-Aktion erfahren haben will, Heinen-Esser einen Entschuldigungsbrief geschrieben, zwar hat Kutschaty „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für den Studenten angekündigt. Aber am Freitag machte die CDU dank bester Kommunikationskanäle den Punkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein