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Nachfolge von Anne SpiegelBereit für einen Mann

Nach dem Rücktritt von Anne Spiegel stellt sich die Frage nach ihrer Nachfolge. Dass es ein Mann wird, ist unrealistisch. Das müsste es nicht.

Die Frage ist, wie Frauen und Männer Beruf und Familie gemeinsam koordinieren können Foto: Norbert Schäfer/imago images

Wer folgt Anne Spiegel an der Spitze des Familienministeriums in Berlin? Die Fernsehkameras waren nach dem verkündeten Rücktritt der Grünen noch nicht richtig verstaut, schon stand diese Frage im Raum.

Und die ist nicht trivial.

Nachdem Anne Spiegel wegen ihrer desaströsen Flutkatastrophen-Performance als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz stark unter Druck stand, hat sich dieser Druck jetzt auf ihre Partei verlagert. Die Grünen müssen nicht nur eine Nachbesetzung finden, sie müssen das auch sehr schnell tun.

Dem Familienministerium, früher gern als das Haus für „Familie und Gedöns“ verunglimpft, kommt heute eine Schlüsselrolle zu. Nicht allein, weil die Grünen mit ihrem Gleichstellungsanspruch in der Regierung sitzen und dem Koalitionsvertrag einen emanzipatorischen Anstrich verpasst haben, sondern auch, weil wir in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs leben: weg vom althergebrachten Geschlechter- und Rollendenken hin zu einem Leben, in dem Frauen in Spitzenämtern eine gute Figur machen und Männer ganz selbstverständlich Kinderwagen schieben und Windeln wechseln, und das länger als nur ein paar Vatermonate.

Grüne Logik

Eine große Aufgabe für ein kleines Ministerium. Wer kann das am besten leisten? Muss das zwangsläufig eine Frau sein, weil Frauen jahrtausendelang benachteiligt und auf Familie und Gedöns reduziert waren und daher genau wissen, was zu tun ist?

Oder könnte das auch ein Mann sein, weil Gleichstellungspolitik heute keine alleinige Sache der Frauen mehr sein darf?

Kurzer Blick auf die grüne Logik, nach der Toni Hofreiter jetzt am Zuge wäre. Weil er wegen grüner Flügelarithmetik und Geschlechterproporz bei der Kabinettsbildung leer ausging, sagte man ihm zu, bei Verschiebungen erster Nachrücker zu sein. Hofreiter dürfte wegen der Geschlechterparität mit großer Sicherheit jedoch nicht erster grüner Familienminister werden. Auch Cem Özdemirs Chancen sind durch eine mögliche Rochade – Özdemir mit dem Ressort Familie und Gedöns und Hofreiter als neuer Landwirtschaftsminister – mehr als gering. So weit die Realität. Aber was ist mit der Vision? Ist die Republik bereit für einen progressiven Familienminister?

Das Familienministerium war bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich in Frauenhand. Die drei einzigen Familienminister – Franz-Josef Wuermeling, Bruno Heck und Heiner Geißler – waren Christdemokraten und konservativ, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Der progressivste unter ihnen, Geißler, hatte so etwas wie eine soziale Agenda: Er sorgte für das erste Erziehungsgeld und führte die Elternzeit ein, damals noch Erziehungszeit genannt. Wenige Jahre vor seinem Tod hätte man ihn fast als Feministen bezeichnen können. In der taz sagte er einmal: „Männer sollten sich nicht emanzipieren, sondern sich zurücknehmen. Für Gleichberechtigung ist es nie zu spät.“

So würden es progressive Männer heute wohl nicht formulieren, vielleicht eher so: Männer sollten sich durchaus emanzipieren, aber gemeinsam mit den Frauen. Und das tun sie bereits. Frauen wie Männer haben sich in den vergangenen Jahren gleichermaßen verändert, ihre Lebensentwürfe haben sich angenähert: Frauen sind stärker denn je in Jobs und in Führungspositionen, Männer häufiger als früher auf dem Spielplatz zu finden, Teilzeit ist für manche Männer kein Fremdwort mehr. Heute geht es verstärkt um die Frage, wie Frauen und Männer Beruf und Familie besser koordinieren können. Gemeinsam.

Progressive Männer sind aktive Väter, die nicht mehr so viel arbeiten wie einst. Sie wollen ihre Kinder erleben und nachts ruhig schlafen können, weil sie nicht allein für Miete, Strom und Versicherungen aufkommen müssen und wissen, dass ihre Partnerinnen das auch genauso wollen. Progressive Männer gestatten sich unterschiedliche Männlichkeiten: Sie können gleichermaßen empathisch, maskulin, fragil, traurig, humorvoll, stark sein. Progressive Männer übernehmen ungefragt Verantwortung für sich und andere.

Kurz gesagt also: Ja, doch, progressive Männer können Familienpolitik.

Aber halt, da ist ja noch die Realität. In der ist die Zahl der progressiven Männer bei Weitem noch nicht so groß, wie das wünschenswert wäre. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der Realpolitik und der grünen Parität.

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13 Kommentare

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  • anne spiegel ist als familienministerin bestens geeignet allein weil sie 14 tage nach der katastrofe im ahrtal sich um ihren kranken mann der ihre 3 kinder versorgt und ein herzschlag hatte kümmert und mit ihnen in urlaub fährt.warum redet eigentlich niemand darüber dass die flut im ahrtal durch die klimaerwärmung so heftig werden konnte und eine umweltministerin anne spiegel sich bei der klimakonferenz in madrid dafür einsetzt dass die kimaerwärmung nicht so heftig ausfällt

  • Vielleicht wurde Geißler da falsch verstanden.



    Emanzipation ist ja das Herausführen aus einer „wörtlich“ Hand, einer Macht oder Dominanz - das Spektrum geht vom nicht gehört oder beachtet werden bis zur Sklaverei, aus der sich der Mensch herausschaffen will oder herausgeschafft wird.



    Ich habe hier im Westen inzwischen lieber das Wort Gleichberechtigung, weil es ja wohl darum geht.



    Ersteres ist eine reine Wert- und Machtfrage, mit der schwierig umzugehen ist, zweiteres der Versuch Benachteiligung zu verhindern.



    Wenn sich alle emanzipieren, haben wir eine Menge Putins und Putinnen, also nur solche Menschen, die gern alpha sein wollen. Das kann doch nicht funktionieren



    Deswegen meinte Geisler wohl sich zurücknehmen wäre nicht falsch, sondern der bessere Weg. Dann wird unnötige und unsinnige Macht und Dominanz aus Vernunftgründen vom Menschen selbst zurückgenommen. Daraus kann wie ich meine Gleichberechtigung entstehen. Anders gesagt: Großmäuler haben nicht immer recht auch wenn sie natürlich zu gut gehört werden, aber mit Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung hat das nichts zu tun.



    Spiegel hat mit dem Rücktritt (verständliche) Schwäche gezeigt. Eine schlechte Umweltministerien ist schließlich ja nicht zwangsläufig eine schlechte Familienministerin. Und die Beratung bezüglich öffentlicher Auftritte war vielleicht schlecht, aber die Politik deshalb noch lange nicht. Aber die Presse und die „Großmäuler" haben jetzt gewonnen und sie ist gegangen.



    Die Quote stur durchzuziehen meine ich ist tatsächlich Unsinn und ein Mann als Familienminister keine schlechte Idee. Leute wie Scheuer oder Merz, die von sich denken sie wären gut, halten den Kopf auch immer hoch und werden von der Partei gestützt. Sollten die Grünen mal dazulernen.

  • Wie wäre es denn mal mit einem/r queeren Familienminister:in?

    Jemand die ihr leben nicht in dem bequemen aber doch zugegeben kleinen Horizont cisheteronormativer Lebensentwürfe verbracht haben?

    Ich meine das auch gar nicht abwertend. Wenn sich Menschen in einer binärgeschlechtlichen Heterobeziehung wohlfühlen is das ja ok, jede wie sie mögen halt.



    In den Diskursen über Gleichberechtigungen in Familien bzw. Beziehungen kommt es mir als queeres Elter aber schon immer so vor als würden sie versuchen ein System zu reformieren dessen Grundannahmen bereits fundamental ihren Zielen zuwiederlaufen. Ein bisschen so als würde eins versuchen Armut durch eine anhebung der Wochenarbeitszeit zu bekämpfen.



    Da tauchen so Probleme auf, bei denen sich unsereins oft nur denkt "Och Leute, verhaltet euch doch vielleicht mal wie Erwachsene".

    Daher wäre jemand mit einer Außenperspektive, im Sinne von es gibt für diese Lebensform kein ansozialisiertes Traditionsbewusstsein, vielleicht tatsächlich hilfreich.



    Vielleicht haben Menschen außerhalb des Cisheteronormativismus da einen etwas kritischeren Blick auf die Gesellschaftlicheren Probleme die sich daraus ergeben.

    • @Notyourgirl:

      Gegenfrage: wie wäre es denn mal mit ein NICHT identär motivierten Auswahl für einen, was Lenesentwürfe betrifft, so breit aufgestellten Posten?

      Denn egal wen man wählt, seine vermeintlich erhellende "Perspektive als ..." greift zwangsläufig zu kurz, um die Perspektiven all Jener abzubilden, deren privates Miteinander von der Arbeit dieses Ministeriums beeinflusst wird. Was man braucht, ist ein Gestalter, der NICHT das ganze Ressort nur durch seine persönliche identitäre Brille sieht. Dafür wäre es aus meiner Sicht essenziell, die Identität auch nicht zum Auswahlkriterium zu machen.

      Wer ausdrücklich "als Frau", "als Queere(r)", "als Wasauchimmer" auf so einen Posten gesetzt wird, kann praktisch nicht anders, als seine identitäre Perspektive als Mission zu begreifen. Man erinnere sich nur an die wüsten Beschimpfungen, die sich jede Famlienministerin, Gleichstellungsbeauftragte etc. gefallen lassen muss, wenn sie es wagt "als Frau" in dieser Position auch mal gleichstellerische Gedanken zu äußern, von denen Männer profitieren könnten. Mit dieser Erwartungshaltung - effektiv läuft es auf die Besetzung des Ministerpostens mit einem Lobbyisten der jeweiligen identitären Zielgruppe hinaus - ist aber niemandem, der eine andere Identät hat und AUCH sein Leben meistern muss, wirklich gedient.

      • @Normalo:

        Absolute Zustimmung; es wäre ein Segen für die Gesellschaft.

    • @Notyourgirl:

      Über eine queere Person, die die Gesellschaft über Cisheteronormativismus aufklärt und den beschränkten Horizont der Durchschnittsbürger offen legt würden sich bestimmt viele Freuen.



      Meine Stimme hast du.

    • @Notyourgirl:

      Die Lebensentwürfe von queeren Menschen unterscheiden sich gar nicht grundsätzlich von denen nicht-queerer Menschen und sind meistens ziemlich gewöhnlich.

      • @Ruediger:

        Das würde ich so nicht unbedingt pauschal sagen. Klar, gibt auch genug total Bürgerliche queers ind das ist auch voll OK so.

        Gerade Leute die zu einer Zeit aufgewachsen sind in der offen queer sein für viele nicht ging (man evtl nichtmal die Worte dafür kannte) und dann erst im Erwachsenenalter angefangen haben sich selbst richtig kennenzulernen haben einfach oft mehr Brüche und scharfe Kurven in ihren Lebensläufen. Da werden Rollenbilder und der eigene Platz in der Gesellschaft gerne völlig aus den Strukturen geworfen mit denen man sich Jahrzehnte lang die Welt zurecht gelegt hat.



        Und wir haben oft mehr Erfahrung damit, wie gesellschaftliche Strukturen einer das Leben schwer machen können.

        • @Notyourgirl:

          Sie zeigen es hier doch selbst auf, die Lebensentwürfe und -erfahrungen queerer Menschen können sehr unterschiedlich sein, übrigens auch innerhalb der Generationen. Und das ist bei Cisheten nicht anders, auch da gibt es genug, denen aus inneren oder äußeren Gründen gesellschaftliche Strukturen das Leben schwer machen. Aber letztlich ist Erfahrung auch einfach keine Qualifikation, es kommt weniger auf die eigene, individuelle Erfahrung an, als darauf, Empathie für Menschen in anderen Lebenssituationen als der eigenen zu haben. Und das gibt es bei uns Queers nicht mehr und nicht weniger als bei anderen

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „und Männer ganz selbstverständlich Kinderwagen schieben und Windeln wechseln“



    Watt’n Gedöns. Das alles – und noch viel mehr, haben „wir Väter“ schon in den 1970er Jahren gemacht. Ganz selbstverständlich. Wir sind auch allein mit den Kleinen zum Kinderarzt gefahren. Ist die Zeit stehen geblieben? Oder läuft sie rückwärts? Disclaimer: Ich bin nicht DDR-sozialisiert. Familienminister wäre das einzige Regierungsamt, das ich mir zutraue. (Mondschaf, m). (Ja, ich hatte das Glück, dass es beim Arbeitgeber akzeptiert wurde und ich die versäumten Zeiten bei Bedarf abends anhängen konnte.)

  • die schwierigkeit ist ja, dass es, wie die autorin schreibt, einen 'progressiven' mann braucht. der sollte sich seiner positionalität bewusst sein, sensibel für die bedeutung von unbezahlter care arbeit sein, und und und. ich finde, es ist 2022 nicht so leicht, so einen zu finden, weil männer so lange die augen vor strukturellen benachteiligungen verschließen konnten. weil es – so ist es nunmal – sie eher nicht betrifft.

  • Frauenquote plus linker Flügel/gemäßigt Quote, statt einfach nur nach Qualifikation.



    Einen besser qualifizierten rauszuwerfen und eine weniger qualifizierte der Quote wegen zu nehmen ist weder logisch noch gerecht und auch eine Form der Diskriminierung. Die/der fachlich bessere soll das Amt bekommen.

  • Wie wäre es mit einer grünen Verteidigungsministerin und Frau Lambrecht macht dann Familie und Dingsbums. Erscheint mir gegenwärtig deutlich zielführender.