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Bafög-Reform der AmpelWer Geld hat, kriegt weniger

Die Regierung will das Bafög elternunabhängiger machen. Wieso nur? Ungleichheit erfordert Ungleich­behandlung.

Alle gleich? Erstsemester-Begrüßung im Winter 2019 an der Universität Köln Foto: Christoph Hardt/imago

B afög ist für mich eine Abkürzung, die viele Gefühle auslöst. Erleichterung, Überforderung, Dankbarkeit, Frust. Alle paar Monate, wenn sich das Bafög in Form der Ratenrückzahlung zurückmeldet, erinnere ich mich an diese Gefühle. Manchmal denke ich dann: Ohne Bafög hätte ich vielleicht gar nicht studieren können. Dann wäre an dieser Stelle ein anderer Text eines anderes Autors erschienen.

Aktuell weckt die vom Bundeskabinett beschlossene Bafög-Reform Erinnerungen. Die 27. Bafög-Novelle bringt mehr Geld, mehr Wohnpauschale, die Altersobergrenze von Bafög-Empfänger:innen wird von 30 auf 45 Jahre angehoben. Angesichts steigender Preise und historischer Inflation bleibt das Leben als Bafög-Empfänger:in trotzdem eine Herausforderung.

Weshalb das Deutsche Studentenwerk 10 statt der jetzigen 5 Prozent Erhöhung der Bedarfssätze fordert. Dem und auch allem, was über diese Forderung hinausgeht, kann ich nur zustimmen. Jedes Mehr im Zusammenhang mit dem Bafög ist begrüßenswert. Nur in einem Punkt ist es das nicht.

Denn das Bundeskabinett hat auch beschlossen, das anrechnungsfreie monatliche Eltern­einkommen von 2.000 Euro auf 2.400 Euro zu erhöhen. Damit will Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Reichweite der staatlichen Unterstützung ausdehnen, also den Kreis der Emp­fän­ge­r:in­nen erweitern. Deren Zahl nimmt seit zehn Jahren kontinuierlich ab. Weil 2.000 und 2.400 Euro nicht weit voneinander entfernt sind und 2.400 Euro immer noch sehr wenig Geld ist, ist die aktuelle Maßnahme nicht das Problem. Ein Problem wäre es aber, wenn der Freibetrag in Zukunft weiter und massiver angehoben würde, damit noch mehr Menschen Bafög bekommen. Und wenn die Berechtigung immer weniger von den Finanzen der Eltern abhängen würde. Im Ampel-Koalitionsvertrag steht, man wolle das Bafög elternunabhängiger machen.

Wirksame Förderungen

Dabei hat die Elternabhängigkeit des Bafögs einen guten Grund: Die einen werden in Familien mit wenig, die anderen in Familien mit viel Geld hineingeboren. Möchte man ein wirksameres Förderprogramm, sollten diejenigen mehr bekommen, die wenig haben. Möchte man die Reichweite ausdehnen, wäre es hilfreich, bedürftige Menschen gezielter anzusprechen, ihnen den Zugang zu erleichtern und den ultrabürokratischen Prozess der Antragstellung zu entkomplizieren (deshalb Frust und Überforderung!).

Die aktuelle Bafög-Reform hat so auch eine besonders lästige Erinnerung bei mir geweckt: die an Kom­mi­li­to­n:in­nen mit reichen Eltern, die darüber klagen, dass sie kein Bafög bekommen, dass das doch unfair sei, weil sie gerne auch so unabhängig von ihren Eltern wären. Was sie nicht gecheckt haben: Eine Gesellschaft mit großer Ungleichheit muss der Ungleichheit nun mal mit Ungleichbehandlung begegnen, will sie den Anschein einer demokratischen Gesellschaft nicht komplett verlieren.

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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10 Kommentare

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  • Mein Vorschlag wäre, Bafoeg unabhängig von den Eltern zu gewähren, da dies für einige Studierenden doch angenehmer als die direkte Abhängigkeit vom Willen der Eltern wäre. Gleichzeitig könnten die Bafoeg-Beträge in der elterlichen ESt-Erklärung so angerechnet werden, dass die Gutverdienenden letztlich doch das Studium der Kinder bezahlen. Der bürokratische Aufwand hierfür wäre erheblich geringer als beim derzeitigen System.

  • Da gehe ich mit.



    Aber auch Eltern, die gut bei Kasse sind, geben manchmal Ihren Kindern nur ein Taschengeld mit...



    Ich habe mein Studium mit 500 Euro verbracht, abzüglich 200 Euro Miete.



    Wenn ich mir überlege, unsere 4 Kinder so zu unterstützen, dann wird das knapp und sie liegen dann immer noch unter dem Bafögsatz... Zum Glück müssen wir nicht mehr knapsen, aber studieren für alle 4 wird eine harte Nuss...

  • Ich kann den Artikel auch wirklich nicht unterstützen. Mir wurden im Master von meinem Bafög 400 Euro abgezogen, nachdem ich im Bachelor fast den Höchstsatz bekommen habe. Weil meine Mutter in der Zwischenzeit in einem neuen Job genau 400 Euro mehr verdient und mein Vater mit 75 (!) endlich in Rente gegangen ist. Ich musste dann einen Antrag auf Einkommensaktualisierung stellen, damit die reale Einkommenssituation meiner Eltern berücksichtigt wird. Meinen Eltern geht's ja nicht schlecht und ich weiß dass viele andere wirklich größere Sorgen mit Armut haben, aber mein Vater hat nicht ohne Grund so lange noch gearbeitet und da muss man schon viel zurückstecken um für lange Studienzeiten aufzukommen.

  • Im Artikel werden Eltern, deren Einkommen 2.000 Euro monatlich übersteigt als "reich" bezeichnet. Ich bezeichne die bisherige Einkommensgrenze als Witz und wieso überhaupt die Abhängigkeit von den Eltern? Damals mussten meine Eltern meinen schwerkranken Bruder unterstützen - Bafög oder Geld von den Eltern gab's nicht, da blieb nur ein 20h/Woche Job zum finanziellen Überleben im Studium.

  • Danke für den Artikel. Ich rege mich seit Jahren darüber auf, dass alle unabhängig vom Einkommen für Kita-Plätze nichts mehr bezahlen müssen in Berlin. Genau das gleiche Thema. Ich würde gerne gezahlt haben, um Andere, die es nicht so Dicke haben zu entlasten. Solidarität statt grüner Klientelpolitik....

  • "ultrabürokratischen Prozess der Antragstellung "

    BaföG ist für angehende Studenten. Wer schon den Antrag nicht hinbekommt, sollte seine Studieneignung überdenken.

    • @Renate Wolff:

      Ohne tatkräftige Unterstützung der Eltern kann man das Ausfüllen eines solchen Antrags vergessen, weil man die Daten gar nicht alle kennt. Hatten Sie einen solchen Antrag schon einmal in der Hand? Ich habe bei meinem Studium dankend auf diese Art der Unterstützung verzichtet.

  • Ich selbst bin ein großer Freund der "Gießkanne". Warum? Es ist ganz einfach gerechter, als mit unglaublichem bürokratischen Aufwand Geld gezielt an vermeintlich Ärmere verteilen zu wollen.



    Die wirklich Wohlhabenden sind ohnehin in der Unterzahl. Es kostet also nicht viel mehr, ihnen dieselben Wohltaten zukommen zu lassen und spart den gesamten bürokratischen Aufwand. Wenn man solche Hilfen versteuern muss, wird es evtl. ein wenig gerechter, da man bei hohem Einkommen mehr Steuern zahlt.

    Wenn man es richtig machen will, sollte man einfach das dänische Modell übernehmen. Dort erhalten alle Studierenden einfach 800 Euro im Monat. Dazu müssen die Studierenden allerdings ein paar Stunden pro Woche in Dänemark arbeiten.

    • @Aurego:

      Sehe ich genauso

    • @Aurego:

      hinzukommt, wer wirklich reich ist, der hat alle Möglichkeiten sich arm zu rechnen. Ab einer gewissen finanziellen Größe, kann man steuerliche Konstrukte anwenden, die viel von dem verschleiern was wirklich da ist.



      Das ist nicht immer böswillig, sondern manchmal, wenn auch weniger einfach Folge betrieblicher Praxis. Eine Googlesuche zu Landwirten und steuerlicher Beratung, gibt da z.B interessante Einblicke.



      Und plötzlich gehört einem nichts.... jedenfalls aus Sicht des Fiskus.