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Rolle der EU im UkrainekriegStrafen statt Reden

Zwischen der EU und Russland herrscht seit Beginn des Ukrainekriegs weitgehend Funkstille. Nur Deutschland und Frankreich bemühen sich als Vermittler.

Setzt derzeit nicht auf diplomatische Gespräche mit Russland: EU-Chefdiplomat Josep Borrell Foto: Olivier Douliery/ap

Brüssel taz | Die EU hat die Daumenschrauben für Russland nochmals angezogen. Diesmal trifft es weitere, bisher verschonte russische Oligarchen und ihre Familien. Sie dürfen nicht mehr einreisen, ihre Vermögenswerte werden eingefroren. Außerdem wurde die Ausfuhr von Schifffahrtsausrüstung verboten. Nach den russischen Flugzeugen will die EU nun auch die Schiffe lahmlegen.

So geht das seit Tagen, eine Strafmaßnahme jagt die nächste. Das amerikanische Ölembargo setzt die Europäer unter Druck, den Wirtschaftskrieg weiter zu verschärfen. Beim EU-Sondergipfel am Donnerstag in Versailles dürfte es deshalb erneut um Sanktionen und „hard power“, also Waffen, gehen. Doch wo bleibt die „soft power“, auf die die EU einst so stolz war? Wo bleibt die Diplomatie?

In Brüssel sucht man sie in diesen Tagen vergebens. Die Diplomaten reden darüber, wie sie den Preis für Kremlchef Wladimir Putin in die Höhe treiben können. Die Ständigen Vertreter der 27 EU-Staaten eilen von einer Krisensitzung zur nächsten, immer wieder stehen „restriktive Maßnahmen“ auf der Tagesordnung. Von Diplomatie spricht keiner, nicht einmal Josep Borrell.

Der Außenbeauftragte ist zwar Europas Chefdiplomat. Doch seit er vor einem Jahr bei einem Moskau-Besuch von seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow gedemütigt wurde, findet er keine diplomatischen Worte für Russland mehr. Im Gegenteil: Beim letzten Treffen der EU-Außenminister kündigte Borrell die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine an. Seine Worte waren so harsch und ungeschickt, dass es selbst die Minister grauste.

Wenig diplomatisch gibt sich auch Ratspräsident Charles Michel. Der liberale Belgier hält zwar noch einen heißen Draht zu Kremlchef Wladimir Putin. Doch als der Kriegsherr am Montag in Brüssel anrief und um Vermittlung im Streit um „humanitäre Korridore“ in der Ukraine bat, wurde er von Michel abgebügelt. Er habe Putin dazu aufgefordert, die Feindseligkeiten umgehend einzustellen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen, so der EU-Chef.

Diplomatie überlässt man den anderen

Vermittlung? Fehlanzeige. Die EU hat längst Partei für die Ukraine ergriffen und setzt alles daran, Präsident Wolodimir Selenski zu stärken. „Die Solidarität, Freundschaft und beispiellose Hilfe der EU für die Ukraine sind ungebrochen“, twitterte Michel nach dem frostigen Telefonat mit Putin. Eine Vermittlerrolle kommt ihm bisher ebenso wenig in den Sinn wie eine diplomatische ­Initiative. Die überlässt man anderen, wie China oder der Türkei. Ausgerechnet das Land, das sich unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer mehr von Europa und seinen Werten entfernt, soll nun zwischen Russland und der Ukraine vermitteln.

Die EU glänzt durch Abwesenheit. Nur Deutschland und Frankreich versuchen, die europäische Fahne hochzuhalten. In einer Videokonferenz am Dienstag seien sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und Chinas Präsident Xi Jinping einig gewesen, alle Verhandlungen zu unterstützen, die auf eine diplomatische Lösung des Konflikts gerichtet seien, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin mit.

Demnächst sollen sogar die Außenminister der drei Staaten einen Ausweg aus dem Krieg suchen. Doch sie sprechen für Deutschland, Frankreich und China – nicht für die EU. Der Club der 27 ist abwesend, wenn es um eine Friedenslösung geht.

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11 Kommentare

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  • Dieser Beitrag grenzt ans Irreale. Erstens sind bisher alle Verhandlungen gescheitert, zweitens wird weiter verhandelt, drittens gibt es nichts zu verhandeln, viertens bedeutet verhandeln einen Zeitgewinn für Putin. Fünftens: kaum ist die EU mal einig, hat klare Positionen, lässt sich nicht spalten, da möchte Herr Bonse zurück zur "stolzen" soft power und zum "Club der 27", also genau zu dem zurück, was Putin für Schwäche hält, leider zu Recht. Herr Bonse verweigert die Erkenntnis, dass die EU in diesem Konflikt nicht Vermittler sein kann, weil sie ganz einfach Partei ist und sein muss. Sie muss der Ukraine helfen, nicht aus Solidarität, sondern um sich selber zu schützen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Dieser Beitrag grenzt ans Irreale. "

      Sie bringen es auf den Punkt.

      Das Macron weiter mit Putin telefoniert, ist sicher abgesprochen, und gut, einer muss es ja tun. Dabei dürfte es aber eher darum gehen, phatische Kommunikation zu betreiben, d.h. zu eruieren, ob der Geprächspartner und die Leitung noch existieren, nicht mehr. Eventuell hilft es, einen Einblick in Putins Informationswelt zu bekommen. Putins noch vor zwei Tagen geäußerte Einschätzung: "Die Operation wird fortgesetzt und läuft exakt nach Plan" klafft ja erkennbar mit der Wirklichkeit auseinander.

  • Ähh...



    Macron war in Moskau, Scholz war in Moskau, Baebock war in Moskau...



    Putin erklärt einen Teilrückzug der russischen Truppen an der Grenze (medial toll inszeniert)...



    Und:



    Der Sicherheitsrat der UN berät über einen Friedensplan für die Ukraine und Putin eröffent den Krieg gegen die Ukrain während der Sitzung...



    Also : Was soll hier noch Diplomatie??



    Und weshalb sollte man Putin trauen??

    Liebe TAZ, sorry, bei allem Verständnis für freie und andere Meinungen (für das ich die TAZ liebe):



    Irrationalität und Artikel, die nur Diktatoren dienen, sollten keinen Platz (und damit Stimme) haben.

    • @Falkner2010:

      und was folgt, schmeißen wir die Atombombe oder warten wir darauf das Russland das tut?



      Das ist 1A Kriegslogik, "Ich hab Recht, die Folgen sind mir egal...."

      • @nutzer:

        Russland wird keine Atombome schmeißen, und die NATO wird es bei indirekter Unterstützung belassen.

        Wozu dieser Maximalismus?

        Nur weil Diplomatie gerade sinnlos geworden ist, bedeutet es nicht, dass nun Harmagedon nahe ist.

        Gibt ja auch noch was dazwischen.

  • Guter Bericht, der die strukturellen Schwächen der EU- Behörden zeigt. Mir ist ein deratiges diplomatisches Versagen unbegreiflich. Es ist an der Zeit, die Mumien in Brüssel zu ersetzen durch proaktivere Leute, die ihr Diplomaten-Handwerk verstehen und ihrer historischen Aufgabe in Zeiten von Krieg und Frieden gewachsen sind.

  • "Vermittlung? Fehlanzeige. Die EU hat längst Partei für die Ukraine ergriffen und setzt alles daran, Präsident Wolodimir Selenski zu stärken."

    Es mangelt doch nicht an Vermittlern. Israels Ministerpräsident Naftali Bennet war in Moskau, hat mit Putin gesprochen, stundenlang, mehrmals, auch mit Zelensky, Scholz und so weiter.

    Praktisch jede Zeitung die ich hier in Israel aufschlage schreibt, Putin hat kein Interesse an Verhandlungen. Er kauft sich damit Zeit, jeder Tag, der durch Verhandlungen verrinnt, setzt die Ukraine mehr unter Druck, ihr mangelt es an Strom, Wasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten etc. und sie kann sie auch immer schwerer verteilen, Putin seine militärischen Kräfte in der Ukraine neuzugruppieren, Nachschub anzuliefern und die nächsten Angriffe vorzubereiten.

    Genau das Gleiche hat Putin in Syrien gemacht, es gab unzählige Waffenruhen, die dann gebrochen wurden, Friedensinitiativen die zu nichts führten und X Gesprächskreise, aber das waren nie ernsthafte Verhandlungen, das diente alles nur einem Ziel, die Rebellen militärisch zu besiegen.

    www.timesofisrael....ing-him-to-moscow/

    Es mangelt nicht an Vermittlern, es mangelt an ernsthafter Verhandlungsbereitschaft.

  • 4G
    47491 (Profil gelöscht)

    Und nach zehn Absätzen nur mühsam verborgener Abneigung gegen die Union, wo ist jetzt der Abschnitt in dem steht, wie die EU verhandeln soll? Wie die Diplomatie aussehen soll?

    Warum hat die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben? Warum überlegt Finnland in die NATO einzutreten?

    Weil da ein rücksichtsloser Kriegstreiber an der Macht ist.



    Da hauen sich nicht Gläubige die Köpfe ein, weil sie das gleiche Buch unterschiedlich interpretieren. Da gab es nicht gegenseitige Provokationen und der Stolz verhindert, dass einer nachgeben will.

    Da ist ein Mann, der seine alte Sowjetunion wiederhaben möchte und dafür aktuell über die Leichen der Ukrainer geht. Morgen über die Leichen der Polen.

    Teil der Linken, Kommentatoren bei ZEIT oder eben Autoren bei der TAZ.



    Alle sagen, man müsse doch Diplomatie zeigen und Verhandlungen eröffnen.

    Dann bitte, wie?! Nicht nur maulen, sondern mal einen einzigen konstruktiven Vorschlag machen.

    Der Nachbar, dem meiner was getan hat, stürmt in meinen Vorgarten, prügelt mich windelweich und droht mir, mich umzubringen, wenn ich ihm nicht das Grundstück schenke. Ich krieche mit Schädelbasisbruch ins Haus, rufe um Hilfe und Onkel Eric säuselt am Telefon: "Zu einem Konflikt gehören immer zwei. Statt die Mauer zu erhöhen und die Polizei zu rufen, solltest du mit ihm ruhig reden und höflich fragen, wie man diese Meinungsverschiedenheit lösen kann."

    In welcher privilegierten Position man/frau sein muss, um so etwas von sich zu geben, darf sich jeder selber denken.

    • @47491 (Profil gelöscht):

      Genau.



      Und dazu tadelt mich Onkel Eric, ich hätte auch Freunde, die der reizbare Nachbar irgendwie nicht leiden kann, somit wäre ich doch selbst an meinem Schädelbasisbruch schuld.

    • @47491 (Profil gelöscht):

      es geht aber nicht um Verständnis für Russland, es muß eine Deeskalation her. Russland hat keine legitimen Interessen mehr, die hat es gerade selbst ad absurdum geführt, wenn wir es schaffen eine neue Mauer in Europa zu bekommen haben wir schon fast dass Optimum erreicht, nämlich Waffenruhe. Das das ungerecht, moralisch falsch ist , ja alles richtig, aber Rechthaben, war noch nie ein guter Ratgeber. Dieser Konflikt ist militärisch für keine Seite zu gewinnen. Der Westen wird durch wirtschaftlich Maßnahmen nie einen militärischen Krieg beenden können und Russland militärisch keinen Sieg erringen. Das sind 2 versch. Ebenen und eine der beiden Parteien muß sich auf die Ebene der anderen begeben. Irgendwann bleibt in dieser Eskalationslogik eben nur noch der große Hammer, die Atombombe und das Russland da nicht zögert, ist der Druck nur groß genug, daran zweifel ich nicht.