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Versicherer will Geld für Coronatherapie80.000 Euro von armer Erntehelferin

Während die erkrankte Ukrainerin um ihr Leben kämpfte, meldete der Bauer sie bei der Krankenkasse ab. Jetzt soll die Mindestlöhnerin selbst zahlen.

Harte Arbeit: ErntehelferInnen werden oft schlecht bezahlt Foto: Countrypixel/imago

Berlin taz | Die Ukrainerin Viktoria Szolomka ist eine arme Frau: Die 40-Jährige lebt von den Gelegenheitsjobs ihres Mannes. Deshalb arbeitete sie im Sommer 2020 auf einem Gurkenhof im niederbayerischen Mamming als Erntehelferin. Dafür sollte Szolomka den Mindestlohn von damals 9,35 Euro pro Stunde bekommen. Doch 250 MitarbeiterInnen vor allem aus Osteuropa steckten sich mit Corona an, auch bei der Ukrainerin wurde Covid-19 festgestellt.

Die Lunge und die Nieren versagten, das Herz pumpte kein Blut mehr. Monatelang musst sie im Krankenhaus in Bayern behandelt werden. Fast wäre sie gestorben. „Ich kann nach der Krankheit nicht arbeiten“, schreibt Szolomka der taz. Und nun soll sie rund 80.000 Euro für ihre Coronabehandlung an die Techniker Krankenkasse (TK) zahlen. „Das kann ich nicht bezahlen“, klagt die Frau, die im Westen der Ukraine lebt.

Der Versicherer hat der Arbeiterin vor Kurzem geschrieben, genau 78.852,07 Euro seien zum Beispiel für stationäre Krankenhausbehandlungen fällig, die 2020 über ihre TK-Gesundheitskarte abgerechnet wurden, „obwohl Sie nicht bei uns versichert waren“. Der Brief liegt der taz vor. „Die Politik muss Regelungen treffen, um solche Fälle zu verhindern“, forderte Harald Schaum, Vizechef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

„Der Arbeitgeber hat die Patientin abgemeldet, noch während sie im Krankenhaus war“, erklärte TK-Sprecher Michael Ihly den Fall auf Nachfrage der taz. „Wir haben sie angeschrieben, melde dich wegen Krankengeld und so weiter. Weder der Brief noch irgendeine Reaktion ist zurückgekommen.“ Wer Krankengeld bekommt, ist weiter versichert, sogar nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber.

Der Krieg erschwert eine Lösung

Die TK hatte ihren Brief an den Großbauernhof in Mamming geschickt. „Der Chef hat uns diesen Brief erst gegeben, als wir nach dem Krankenhausaufenthalt in die Ukraine fuhren“, so Szlomoka. „Uns wurde gesagt, dass wir die Versicherungsgesellschaft online kontaktieren müssten, um einen Antrag elektronisch auszufüllen, was uns nicht möglich war.“ Sie hätten das Onlineformular nicht verstanden, weil es nur auf Deutsch verfasst gewesen sei. „Da wir kein Deutsch sprechen, versprach der Chef zu helfen, wir riefen mehrmals in der Firma an, aber sie ignorierten uns.“

Die Techniker Krankenkasse fordert von der Mindestlöhnerin 80.000 Euro

Erntehelfern, die fast alle aus Ländern wie Rumänien oder Polen kommen, steht meist nur der gesetzliche Mindestlohn von 9,82 Euro pro Stunde zu – oft abzüglich Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung. Gewerkschafter und Betroffene kritisieren, manche Landwirte würden sogar weniger zahlen als vorgeschrieben.

Die meisten ErntehelferInnen werden als „kurzfristig Beschäftigte“ angestellt, sodass sie nicht Mitglied der Sozialversicherung sind. Solche Arbeiter müssen laut IG BAU beispielsweise im Fall einer Corona-Erkrankung die Behandlungskosten mitunter selbst zahlen. Vermutlich sollte auch die Ukrainerin so angestellt werden, damit der Hof Sozialbeiträge spare. Als sie jedoch schwer erkrankte und damit hohe Kosten entstanden, meldete der Landwirt sie plötzlich doch bei der TK an. „Bis der Antrag auf die Versicherung bei uns einging, war sie schon im Krankenhaus“, sagte Ihly. Das ist sogar legal: Einer Verordnung zufolge hat der Arbeitgeber bis zu sechs Wochen Zeit, um den Beginn einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu melden. Anders als zum Beispiel die Baubranche muss die Landwirtschaft das nicht am ersten Arbeitstag erledigen.

Als die taz in dem Betrieb anrief, um eine Stellungnahme zu erbitten, antwortete eine Frau, der Landwirt sei nicht zu sprechen, und legte grußlos auf.

Die TK versucht laut Ihly nun, die Betroffene in der Ukraine zu erreichen: „Die Aussichten stehen ganz gut, dass wir das alles in ihrem Sinne wieder ins Lot bekommen, aber wir müssen mit ihr in Kontakt kommen.“ Doch angesichts der Sprachbarriere, eines schlechten Mobilfunknetzes und nun auch des Krieges mit Russland gestaltet sich die Kommunikation schwierig.

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9 Kommentare

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  • Na da können sich die ukrainischen Arbeitskräfte die jetzt kriegswegen hier ankommen ja auf einiges gefasst machen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist Ausbeutungshungrig, also von Ersthilfen und welcome Rufen nicht einfangen lassen.

  • Es verschlägt einem immer wieder die Sprache. Wo bleibt die Verantwortung des Arbeitgebers, der sich als Deutscher, mit deutscher Schrift, Sprache und Bürokratie auskennen müsste, wenn er schon Saisonarbeiter ausbeutet.

  • Ich bin ja nur ein einfaches, kleines Arbeiterkind aber wenn ich das irgendwie richtig im Kopf habe, wurden doch kürzlich viele hilfsbereite deutsche Gastfamilien mit immensen Rechnungen für die Sozialleistungen von Zuwanderern konfrontiert, für die diese Gastfamilien so eine Art Bürgschaft abgegeben hatten und ohne die eine Einreise nicht möglich gewesen wäre.

    Als Arbeitgeber braucht man offenbar eine solche Bürgschaft nicht zu übernehmen.



    Es reicht offenbar, die Leute auszupressen wie eine Zitrone.

    Interessant.



    Deutsch.



    Scheiße.

  • Warum gewährt(e) die Kasse den (laut Artikel ein Weiter-Versichertsein bewirkenden) Krankengeldbezug einer Schwerstkranken nicht schlicht ohne deren Unterschrift ? Soviel Schwachsinn gehört ....

  • Ist dafür nur die TKK verantwortlich? Aus dem Bericht schließe ich, dass auch der Bauer als Arbeitgeber schuld an der Misere ist. Wenn dem so ist, dann soll der gefälligst die 80.000 zahlen.

  • Ein einfacher Brief ohne Garantie des persönlichen Empfangs an den Arbeitsplatz einer Frau, die auf der Intensivstation mit dem Leben ringt. Wird der dann nicht fristgercht beantwortet, selbst schuld.



    Diese kalte Behördenmentalität kenne ich aus eigener Erfahrung, als ich um den Jahrteusendwechsel mehrere Jahre keine Post beantworten und keine Formulare ausfüllen konnte. Im Gegensatz zum Finanzamt war es der Krankenkasse aus Abrechnungen sehr wohl bekannt, daß ich wegen einer schweren Depression behandelt wurde. Die einen haben mich viel zu hoch geschätzt und die anderen eiskalt den Höchstsatz der freiwillig Versicherten eingestrichen. Nach wenigen Monaten ist all das rechtskräftig und nicht revidierbar.



    Nicht wieder völlig fit -- ganz werde ich das wohl nie -- nach Jahren ohne Buchführung die Kurve zu kriegen war nicht einfach. Das Finanzamt hat immerhin Erklärungen für zwei zurückliegende Jahre akzeptiert, die Versicherung ihre Zwangsbeiträge aber nur für die Zukunft angepaßt.



    Das hier zitierte "Weder der Brief noch irgendeine Reaktion ist zurückgekommen." -- zu einer Zeit wo der Versicherung die Behandlung auf der Intensivstation sehr wohl bekannt gewesen sein mußte! -- paßt exakt ins Bild dieser typischen Apparatschikmentalität. Jeder Roboter und jede KI wäre mitfühlender.

    • @Axel Berger:

      Hallo Axel,



      Ich fühle mit dir, habe das genauso in meiner Familie auch erlebt – mehrmals. Auch immer im Kontext von schweren Depressionen, die durch behördlichen Druck nur noch schlimmer gemacht wurden.



      Hätte kotzen können und geht mir eigentlich noch immer so.



      Ganz miese gesellschaftliche Entwicklung, die viel zu wenig Beachtung findet.



      Solidarische Grüße

  • Gut, dass dieser Fall etwas Öffentlichkeit erfährt - denn die TK ist für Menschen, die nicht das Selbstbewusstsein haben, die ein Hochschulabschluss und ein guter Job mit sich bringen, alles andere als Empfehlenswert.

    Freitagnachmittags, 5 Min vor dem eigenen Feierabend erfolgt ein Anruf, schon am Montag hat man den Brief "Sie waren nicht erreichbar" im Briefkasten. Auf Nachfrage gibt es aber gar nichts zu klären - es wird so getan als dürfe man während einer Langzeitkrankheit das Haus nicht verlassen.

    Dann werden Krankenakten gefordert, auf die keinerlei Anspruch besteht und so weiter. Die Erstattung einer vorgestreckten Zahlung muss man dagegen mehrfach anfordern, bis man das Geld auf dem Konto hat. Gut, wenn man nicht darauf angewiesen ist.

    Bitte, liebe Redaktion, bleibt doch an diesem Fall dran - die Mindestlöhnerin kann diese Zahlung zwar ohnehin nicht leisten, aber sie sollte sich doch ohne weiteren Druck einer Krankenkasse erholen können.

  • RS
    Ria Sauter

    Warum wird der Arbeitgeber nicht haftbar gemacht? Das ist doch mehr als nur gerecht, wenn Menschen so ausgebeutet werden!



    Die Solidargemeinschaft soll nicht dafür aufkommen müssen und die Ukrainerin schon gar nicht!