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Paritätische WahllistenAusgebremste Symbolik

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Paritätsgesetze scheitern regelmäßig am Bundesverfassungsgericht. Doch ob sie zu mehr Gleichheit führen, ist ohnehin umstritten.

Demonstration für eine Paritätsregelung vor dem Verfassungsgerichts in Thüringen im Juli 2020 Foto: Martin Schutt/picture alliance

D er Wind hat sich gedreht. Noch vor einigen Jahren schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es in vielen Bundesländern und auch bei Bundestagswahlen quotierte Wahllisten gibt, abwechselnd besetzt mit Frauen und Männern. Doch die ersten beiden Gesetze in Thüringen und Brandenburg wurden sofort von den jeweiligen Landesverfassungsgerichten kassiert. Und auch das Bundesverfassungsgericht sendet eher entmutigende Signale.

Die Karlsruher Rich­te­r:in­nen haben nun in Bezug auf Thüringen erneut deutlich gemacht, dass aus dem Grundgesetz zumindest keine Pflicht zu einer paritätischen Besetzung von Wahllisten abzuleiten ist. Auch ein paritätisches Bundeswahlgesetz würde wohl für nichtig erklärt, weil der Eingriff in die Parteienfreiheit nicht gerechtfertigt ist.

Nun könnte man versuchen, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Dafür wäre aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich und die fehlt, weil CDU/CSU und AfD solche Regelungen bisher entschieden ablehnen.

Es ist eher zu fragen, ob Paritätsgesetze angesichts dieser ungünstigen Rahmenbedingungen weiterhin mit viel Aufwand verfolgt werden sollten. Vermutlich wäre es sinnvoller, sich auf die Kandidatenaufstellung der fortschrittlichen Parteien zu konzentrieren. Für Frauenanliegen dürfte es mehr bringen, viele Feministinnen aus SPD, Grünen, Linken und FDP im Parlament zu haben, als die AfD zu paritätischen Listen zu zwingen. Mehr Alice Weidel und mehr Beatrix von Storch im Bundestag bringt die Sache der Frauen nicht unbedingt voran.

Die Bedeutung der Wahllisten wurde in der bisherigen Diskussion ohnehin überschätzt. In den meisten deutschen Parlamenten wird nur die Hälfte der Sitze über Wahllisten vergeben und die andere Hälfte über Direktmandate im Wahlkreis. Paritätische Wahllisten garantieren also gar nicht, dass auch die Landtage und der Bundestag am Ende paritätisch besetzt sind. Es ging bei den Paritätsgesetzen also doch mehr um die Symbolik auf dem Wahlzettel als um das Resultat im Sitzungssaal.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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14 Kommentare

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  • Interessant ist eigentlich, was nicht in dem Artikel steht.



    Die Verfassungsrichter haben die Wahlgesetzte von Thüringen und Brandenburg nicht "kassiert", sondern sie haben in ihren Urteilen deutlich gemacht, daß diese Gesetze verfassungswidrig sind.



    Was ebenfalls nicht erwähnt wird, daß die Parteien SPD, Grüne und Linke für diese verfassungswidrigkeit verantwortlich sind.



    Und daß die AfD und nicht CDU oder FDP mit ihren Klagen diese verfassungswidrigkeit verhindert und den verfassungsgemäßen Zustand wieder hergestellt hat.

  • Macht das einen Unterschied? Frauen sind auch nur Menschen und können ebenso hasserfüllt und dumm sein wie Männer. Sie sind das vielleicht auf andere Weise, weniger Alphamännchengetrommel, mehr passiv-aggressives Schneiden, aber es ist fraglich, ob sie "besser" entscheiden. Gleichberechtigung bedeutet nicht Gleichverteilung. Der Job des/der PolitikerIn ist vermutlich nicht so attraktiv für Frauen. Das ist völlig OK. Solange sie nicht aktiv davon abgehalten werden, ihn zu ergreifen, dürfen sie gerne unterrepräsentiert sein. Ich bin in meinem Job auch zufrieden, obwohl 80% Frauen und nur 20% Männer ihn ausüben. Ist nun mal so. Warum sollte ich es wollen, dass nun 30% qualifizierte Frauen zwangsweise gegen 30% weniger qualifizierte Männer getauscht werden, um die Partät zu wahren. Und, ja, die sind weniger qualifiziert, weil sie ja jetzt schon die Möglichkeit hätten, sich zubewerben und unsere Damen sehr gerne mehr Männer wollten (ja, gerne junge, hübsche Männer.. auch Frauen sind so). Aber viele Bewerber sind schlicht nicht qualifiziert. Also nimmt man lieber eine Frau, die was kann. Warum sollte man das statt nach Leistung nach Geschlecht entscheiden? Wobei man natürlich sagen kann, dass die Qualifikation als Politiker mit "lebt" und "spricht" erfüllt ist. Sachkenntnis fehlt den ja allen...

  • 4G
    49242 (Profil gelöscht)

    Was heißt schon paritätisch? Können Listen Paritas erzeugen? Listen ordnen und weisen Plätze zu – per se! Und kann – darf ! - das Geschlecht, mag es nun das biologische oder das gefühlte sein, gar andere Merkmale an Bedeutung überragen? Nein, Listen sind weisen nicht den Weg zur Chancengleichheit in der Demokratie. Demokratie lebt von der Wahlfreiheit – einer Wahlfreiheit, die sich nicht um Geschlecht, Religion, Herkunft, Geldbeutel und Behinderung schert. Eine Wahl nach Listen diskriminiert und steht diesem Primat entgegen - wo immer sie praktiziert wird, also auch in den Parteien.

  • "Die Karlsruher Richter:innen haben nun in Bezug auf Thüringen erneut deutlich gemacht, dass aus dem Grundgesetz zumindest keine Pflicht zu einer paritätischen Besetzung von Wahllisten abzuleiten ist."

    Das verwundert nicht. Das würde ja bedeuten, dass so eine zwingend-logische Ableitung mehr als 70 Jahre lang übersehen worden wäre. Wenn man das GG gründlich durchliest, steht tatsächlich weit und breit nichts davon drin.

  • Das Beispiel von Weidel und Storch regt neben der Frage, wo die Energie für Frauenbeteiligung in der Gesellschaft am besten eingesetzt ist, auch die Frage an, wie die politische Energie am besten zwischen den sehr vielen politischen Themen aufgeteilt wird. Es ist ja nicht so, dass wenn Frauen mehr beteiligt sind automatisch jedes andere Thema auch besser wird. Auch hier gibt es die sonst auch ganz normalen politischen Abwägungen zwischen verschiedenen Zielen und wo man die endliche Energie reinsteckt.

  • Wie wäre es mal, Ämter nach Fähigkeiten zu besetzen. Das wäre doch mal eine gute Idee 😉.



    Da wäre es mir völlig egal, welches Geschlecht die Person hat.

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Emsch:

      Ämter nach Fähigkeiten zu besetzen wäre undemokratisch.



      Die Fähigkeiten der Wähler werden derzeit sehr gut repräsentiert.

  • Paritätische Wahllisten mit Frau-Mann-Frau-Mann- . . . . .



    Was ist mit den Diversen? Nicht zu Ende gedacht mit der Parität.

    • @Der Cleo Patra:

      Bei den Grünen steht genau genommen, dass jeder ungerade Platz einer Frau zusteht. Die anderen Plätze sind nicht Männern vorbehalten — die Kritik passt also nicht.

  • Paritätische Wahllisten sind noch nie vor irgendwelche Verfassungsgerichten gescheitert. Lediglich Gesetze, welche die Parteien zwangen, paritätische Listen aufzustellen scheiterten bisher aus guten Gründen vor den jeweils zuständigen Verfassungsgerichten.

    Es bleibt den Parteien unbenommen, solche auf freiwilliger Basis aufzustellen.

    • @DiMa:

      Allerdings wäre zu überprüfen, ob Parteistatuten, die paritätische Listen zwingend vorschreiben, nicht als undemokratisch zu verbieten wären. Schließlich schränken sie die Wahlfreiheit der Parteimitglieder bzw. der Parteitagsdelegierten ein.



      Ähnliches gilt für Regeln, die zwingend vorschreiben, eine Person eines bestimmten Geschlechts auf Listenplatz 1 zu setzen. Denn dadurch werden alle anderen Geschlechter diskriminiert.

      • @Winnetaz:

        Dagegen habe ich persönlich keine Bedenken, solange diese Parteistatuten bzw. -beschlüsse demokratisch zustande gekommen sind.

  • Wie wäre es eher mal mit Quoten für sozial Schwache oder Parteilose?