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Luxusklasse im NahverkehrKlima- statt Klassenkampf

Kommentar von Claudius Prößer

Irgendwann muss man sich entscheiden, ob die Stärkung des ÖPNV gegenüber dem Auto funktioniert. Warum nicht mit Premiumangeboten?

Würden sie für weichere Sitze einen Aufpreis zahlen? Foto: dpa

ber so etwas freuen sich viele MobilitätsaktivistInnen so sehr wie über selbst gestrickte Socken unterm Christbaum: Als der RBB pünktlich zum Fest über eine Studie berichtete, deren Autoren unter anderem die Einführung einer Art 1. Klasse im ÖPNV vorschlagen, ging es auf Twitter gleich hoch her: „Quatsch“, „Idiotenvorschläge“ oder „Schnapsidee“ hieß es da. Ironisch wurde gefragt, ob das für „die zugezogenen Schwaben“ sei, und erklärt, Berlin sei „nicht St. Gallen“ und das Ganze – Twitters beliebtester Gratis-Diss – „auf so vielen Ebenen absurd“.

Natürlich kann man solche Studien hinterfragen. Vieles, was auch diese konstatiert, ist nicht neu. Aber Untersuchungsergebnisse sind auch eine mediale Währung, und wenn ein solches Papier eine City-Maut anregt, um den Autoverkehr zu reduzieren und das Klima zu entlasten, kann das nur nützlich sein.

Die Sache mit dem 2-Klassen-Nahverkehr rührt aber an noch tiefere Schichten. An verteidigenswerte Ideale sozialer Gerechtigkeit ebenso wie an ein über viele Jahrzehnte gepflegtes Bild Berlins als rotzig und rough, wo jeder Versuch, Busse und Bahnen als quasi-öffentliche Räume nicht mehr ausnahmslos jedem verfügbar zu machen, als spießbürgerlich abgetan wird.

Aber irgendwann muss man sich halt entscheiden, ob die Stärkung des ÖPNV gegenüber dem Auto funktioniert, wenn Menschen im Nahverkehr nicht halbwegs kommod unterwegs sind. Und zwar immer mehr Menschen. Natürlich sind das auch subjektive Facetten, neben der gefühlten Sicherheit in Bahnhöfen oder Zügen etwa die Bequemlichkeit.

Was bringen nun hochmoralische Argumente dagegen, dass einige gegen Aufpreis einen garantierten Sitzplatz bekämen, vielleicht auch etwas mehr Ruhe oder Beinfreiheit? Selbstverständlich dürfte die Schaffung solcher privilegierten Räume (in Fernzügen und auch in manchen S-Bahn-Netzen ganz normal) nicht mit einer Senkung des heutigen Standards für alle anderen einhergehen.

Über all das lässt sich streiten. So zu tun, als bedeute der Vorschlag eine Schubumkehr in Richtung Feudalgesellschaft, bringt gar nichts.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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21 Kommentare

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  • Dazu ein klares Jein. Mal abgesehen davon, dass man das Konzept der 1. Klasse grade in Berlin hinterfragen kann, hat die Studie aber tatsächlich Schwächen.

    Es hat sich in der Vergangenheit aber mehrfach gezeigt, dass solche Premiumangebote gegen Aufpreis in Berlin-Brandenburg nicht angenommen werden. Dazu gab es schon viele Versuche und alle sind kläglich gescheitert.

    Zum Anderen schlägt die Studie vor, den Preis für diese Tickets zu verdoppeln bis verdreifachen. Nun fragt sich aber schon, inwieweit Menschen bereit sind, 10 Euro für ein ÖPNV-Ticket (Einzelfahrt!) zu bezahlen, wenn dieselben Leute, die hier die Zielgruppe sind, aufgrund ihres ökonomischen Status oft sogar mehr als ein (Oberklasse-)Fahrzeug besitzen und gerade in Berlin durch die Idee der autogerechten Stadt verwöhnt sind, da besonders die reichen Gegenden besonders gut für Autos erschlossen sind.

    Hinzu kommt, dass Leute, die diesen ökonomischen Status haben, sich in Studien besonders oft dazu äußern, sie würden den ÖPNV meiden wegen subjektiv empfundener Angst. Die endet aber nicht an der Tür zur 1. Klasse.

    Dass die Attraktivität des ÖPNV zunehmen muss, steht außer Frage - denn die größte Konkurrenz ist eben das Auto, für das sogar Marktforschungsstudien zum Klang von Zentralverriegelungen durchgeführt werden. Von daher ist die Kritik an dieser Studie durchaus berechtigt, da sie zwar eine gute wirtschaftliche Idee darstellt, aber an der Realität insofern vorbei geht als dass die Verkehrsmittelwahl eben nicht rational erfolgt und wegen guter Angebote auch niemand das Verkehrsmittel wechselt.

    Die Leute wählen das Verkehrsmittel aufgrund von Routinen und Ängsten. Attraktivität wird als solche nicht wahrgenommen und negatives (Ängste, Preis von 20€ pro Tag etc.) stellen sich noch schwerwiegender dar als es ist. Gleichzeitig erscheinen die eigenen Routinen viel besser und sinnvoller als sie sind.

    Diese psychologischen Aspekte verkennt die Studie komplett und geht damit an der Realität leider vorbei.

  • Wie wäre es mit Klimakampf als Klassenkampf?



    Würde vermutlich mehr bringen.

  • Der ÖPNV muss für ALLE sicherer und sauberer werden + vernünftige Taktung und gute Anbindung. Mit mehr sichtbarem Personal, das für Ordnung sorgt.

    Eine 1. Klasse löst nicht das Problem verdreckter Bahnhöfe und von Angsträumen in Unterführungen und einsamen Stationen in der Nacht. Diese Maßnahme würde keinen nennenswerten Zuwachs an Passagieren bedeuten.

  • Abgesehen davon, dass dieser Kommentar hoffentlich Satire ist und der "Vorschlag" vom linken Standpunkt her abzulehnen ist ...



    "So zu tun, als bedeute der Vorschlag eine Schubumkehr in Richtung Feudalgesellschaft, bringt gar nichts."



    Wir leben (bereits) in einer Feudalgesellschaft insofern u.a. die Arm-Reich-Schere wächst, öffentlicher Raum kommerzialisiert wird, Gentrifizierung stattfindet, es so gut wie keine Aufstiegschancen mehr gibt. Gesellschaftlicher Status wird weitervererbt. Wer arm geboren ist, bleibt zumeist arm, wer reich geboren ist, bleibt reich. Diese Feudalgesellschaft, gibt sich bloß nicht mehr die Adelstitel (Fürst*in, Herzög*in etc.) , die es vorher gab. Einfluss nehmen sie nicht mehr qua Adelstitel sondern qua Vermögenstitel d.h. teils indirekter qua Einsatz von Geld (=Macht) und weiterer Herrschaftsressourcen (Personal/Herrschaftswissen, Netzwerke/Kontakte) bspw. in Form von Unternehmensbeteiligungen (wovon die Unternehmen wiederum Lobbyismus betreiben), Stiftungen/"Thinktanks", Medienbeteiligungen und durchaus direkt mittels "Spenden".

    • @Uranus:

      Nicht wir leben in einer Feudalgesellschaft, sondern die restlichen 90% der Welt. Auf dem Traumschiff Deutschland hat man mittlerweile den Bezug zur Realität verloren. Da spielt der arme und der reiche Adel mit fettem ökologischen Fußabdruck "Feudalgesellschaft"

  • Bus und Bahn müssen insg. mehr Premium Werden, für alle Fahrgäste.

    Mehr Arbeitsmöglichkeiten in der Bahn, Tisch, W-lan das über alle 3 Netzanbieter durchgehend 4gplus.

    kostenloses W-lan selbstvesrtändlich auch am Bahnhof und in der Ubahn und Sbahn. Weil so auch Mehr Funkstandorte preiswert für die Netzanbieter möglich werden sollte auch die Netzabdeckung profitieren.

    Es ist außerdem schön wenn überall im öffentlichen Raum kostenloses highspeed Internet ist.

    Besser für Touristen, die noch keine passende Sim/ Tarif oder generell Netzprobleme haben.

    Meine Ma war total überrascht als ihr Handy in Russland im Zug bei WhatsApp klingelte, obwohl Sie kein mobiles Internet hat.

    Die Metro ist teilweise über 30m Tief und es gibt trozdem überall funktionierendes, kostenloses Internet.

    In Deutschland hingegen gibt es ein beinahe Monopol von der Telekom bei öffentlichen Hotspots. Alles ist zeitlich begrenzt und an Flughäfen wird eine deutsche Nummer benötigt.

    Das ist alles Teil des Problems. So wie die fehlenden bequemen Warteräume im Bahnhof.

    Der öffentliche Nahverkehr ist zu teuer. Anstelle einer 1sten Klasse sollte der allgemeine Sevice und Standart erhöht und die Preise gesenkt werden. Anschließend kann ev. über eine 1ste klasse mit bequemeren Sitzen . nachgedacht werden.

    • @Obscuritas:

      Gute Lösungen!

      Ich habe das Gefühl, dass der Umstieg vom Auto auf die Öffentlichen nur durch Kostensteigerungen bei den Autofahrern bewerkstelligt werden soll. Auf die Einnahmen aus dem öffentlichen Nahverkehr will trotzdem keiner verzichten, Und Geld für Service- und Taktverbesserungen möchte man auch nicht in die Hand nehmen.

      Die aktuelle Politik ist nur ein simples Drehen an der Preisschraube, mehr nicht.

  • Dann wurde ich auch mitfahren

  • "Warum nicht mit Premiumangeboten?"

    Weil diese niemand im ÖPNV haben will!

    Genügend Busse und Bahnen mit enger Taktung und nicht nur Stehplätze ist die Forderung. Nicht wenige mit mieser Taktung und ein paar extra Plätze.

  • Erste Klasse im ÖPNV zeigt keinerlei Wertschätzung gegenüber der nutzenden Kundschaft. Das ist ein Dienstleistungsvetstandnis aus dem letzten Jahrhundert und vollkommen überholt. Erste Klasse bedeutet zudem weniger Beförderungsmenge und verhindert damit einen schnellen Wandel weg vom Individualverkehr.



    Es kann nur, und für Berlin im besonderen aufgrund des desolaten Zustandes, besser werden, wenn es für alle Fahrgäste eine Verbesserung bringt.

    • @Sonnenhaus:

      Dienstleistung: Aldi oder Feinkost, Kik oder Kadewe, Bus oder Taxi, Touristenklasse oder First Class, 2. Klasse Bahn oder 1. Klasse Bahn

      Unterschiede bei Leistung und Preis ziehen sich durch alle Facetten des Lebens.

  • Klar, lasst uns die Gesellschaft noch etwas mehr spalten. Bestenfalls bitte auch mit Türsteher: innen damit auch ja keine Person, welche sich nicht Mal die "Holzklasse" leisten kann, in die Nähe dieses Anteils kommt.



    Die einzige sinnvolle Revolution im ÖPNV ist diese kostenfrei für jedwede Person zu machen.



    So zu tun als ob dieser Vorschlag/Studie irgendwas verbessern würde bringt gar nichts.

  • Der ÖPNV braucht für eine breitere Akzeptanz genau zwei Dinge: Eine erste Klasse und ein dichtes Netz an Parkhäusern an den Ringbahnhöfen für ein funktionierendes Park and Ride.

    Zur Erinnerung, die letzte Verkehrssenatorin hat in Ihrer Antrittsrede das Ziel ausgegeben, das man jeden Ort Berlin mit dem ÖPNV genauso schnell und bequem erreicht wie mit dem eigenen Auto. Die beiden oben genannten Punkte wären wichtige Säulen.

    • @DiMa:

      Aja, interessant! ;-) Ich würde hingegen sagen: 3. Klasse und Holzbänke nur für Reiche!



      Autofreie Stadt und die Reichen können auf ihren Anwesen mit ihren Autos ihre Runden drehen, wenn sie wollen.

      • @Uranus:

        Klar kann man alles machen, nur dann gibt's halt noch wenig Steuerzahler in dieser Stadt.

        Wenn Sie in einer Stadt leben wollen, in welcher alles mit Verboten und Zwang geregelt werden soll dann ist das Ihr Ding.

        • @DiMa:

          Die große Zahl an Menschen, deren Bedürfnisbefriedigung bedarf generell Regeln und Organisation. Alles Dinge, die möglichst sozial und weitsichtig bestimmt werden sollten, oder nicht? Und so hat sich auch hiesige Gesellschaft Regeln gegeben - z.B., dass es ein Tempolimit von 50 km/h innerorts gibt. Regeln können geändert werden und Regeln SOLLTEN geändert werden, wenn anhand derer in der Summe ein großer Schaden entsteht. Und so kann mensch innerorts auch Tempo 30 einrichten, wenn dass den Einwohner*innen ein besseres Leben ermöglicht und eine autofreie Stadt beschlossen werden, wenn hierdurch mehr Menschen auf Öffis, Rad, Handbike usw. umsteigen. Wenn Sie von "Verboten und Zwang" reden, rede ich von Egoismus, Gesundheitsschäden, Zerstörung der Lebensgrundlagen usw.. Ich schätze, Ihr Selbstbild bzw. politische Position ist der Liberalismus, oder? Wie setzen Sie den Grundsatz "Freiheit endet da, wo die der Anderen beginnt" bzw. hiesiger vorherrschender Lebensstil mit hiesigem Ökol. Fußabdruck, mit Klimaschäden, Umweltschäden, Klimaflucht usw. ins Verhältnis?

          • @Uranus:

            Für das Ziel einer autofreien Innenstadt fehlt es halt gerade an der Akzeptanz des ÖPNV. Für einen Umstieg brauchen wir Anreize. Ansonsten fühlt sich eine breite Bevölkerungsschicht vollkommen bevormundet.

            In den Randbezirken und im Speckgürtel ist die Anbindung an den ÖPNV halt immer noch viel zu schlecht. Luxemburg ist ein gutes Beispiel dafür wie die Akzeptanz erheblich gesteigert werden kann:

            Mit erster Klasse und vielen Parkhäuser zum Umstieg.

            Ansätze hierfür fehlen hier bisher vollkommen. Die letzte Legislaturperiode war verschenkte Zeit.

            Andernfalls bleiben die Innenstädter halt irgendwann unter sich. Da ist dann auch nichts gewonnen.

    • @DiMa:

      Darum ist die letzte Verkehrssenatorin ja auch nicht mehr im Amt.

  • Wenn "etwas mehr Beinfreiheit" und "ein garantierter Sitzplatz" für einige Gutbetuchte bedeutet, dass der Rest sich mit weniger Platz begnügen muss (längere Busse bzw. Bahnen sind nun mal kaum möglich), dann erübrigtvsuch jede Diskussion.

    • @Michael Wiedmann:

      Und damit erübrigt sich dann auch jede Chance, "Gutbetuchte" aus ihren SUVs auf die Schiene zu bekommen.

      Oder man wird etwas kreativer und denkt zum Beispiel über eine Taktverdichtung mit den zusätzlichen Einnahmen auf vielbefahrenen Linien zur Rushhour nach, wenn eine 1. Klasse sonst nicht möglich wäre. Das würde auch allen anderen etwas bringen. Aber dazu müsste man ja diskutieren, und das haben Sie ja ausgeschlossen. Schade.

      • @PPaul:

        Gutbetuchte fahren nicht plötzlich mehr ÖPNV, nur weil sie ein bisschen mehr Beinfreiheit haben. An den verdreckten Bahnhöfen mit wenig Wohlfühlatmosphäre kommen sie trotzdem mit dem gemeinen Volk in Kontakt, müssen wie alle anderen Verspätungen und schlechte Anbindungen in Kauf nehmen usw.

        Der Service/die Sicherheit/die "Experience" muss für ALLE verbessert werden, wenn man deutliche Zuwachsraten im ÖPNV haben will.