Warnstreik der Berliner LehrerInnen: Der Druck ist bitter nötig
Die Forderung der Gewerkschaft nach kleineren Schulklassen ist angesichts des Lehrkräftemangels Wunschdenken. Dennoch ist die Forderung richtig.
M anche Sachen sind nur so lange aussichtslos, bis jemand für sie streitet. Kleinere Schulklassen, zum Beispiel: In Berlin sind dafür am Mittwoch rund 500 Lehrkräfte an 28 Schulen einen Tag lang auf die Straße gegangen. Die Gewerkschaft GEW, die den Warnstreik organisiert hatte, bat die vielfach noch Homeschooling-gebeutelten Eltern um Solidarität, denn: „Auch Ihre Kinder werden von kleineren Klassen profitieren.“
Das ist so wahr und richtig, wie die Umsetzung der GEW-Forderung mindestens schwierig (aber eben doch nicht ganz aussichtslos) ist: Die Gewerkschaft will künftig über einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz mitreden, wie viele SchülerInnen eine Lehrkraft maximal betreuen darf. Bisher gibt es im Schulgesetz nur unverbindliche Richtlinien zu Klassengrößen. Personalschlüssel sind Sache des Arbeitgebers, in dem Fall also der Senatsbildungsverwaltung als oberste Dienstherrin der Berliner Schulen – keine Angelegenheit also, die das Tarifrecht regeln kann.
Oder doch? In Berlin machen es gerade die Pflegekräfte an den landeseigenen Krankenhäusern Vivantes und Charité vor: Sie sind dabei, sich einen Tarifvertrag Entlastung zu erstreiten. Für Schichten, die in Unterbesetzung gearbeitet werden, soll es künftig freie Tage geben, sprich „Freizeitausgleich“.
Die Klinikleitungen müssten dafür natürlich definieren, was Unterbesetzung heißt – und wären durch die Sanktionsmöglichkeit „Freizeitausgleich“ gezwungen, ihre selbst gesetzten Mindest-Personalvorgaben wirklich einzuhalten. Gelingt das an den Krankenhäusern, wäre es ein elegantes Beispiel dafür, wie mittelbar über das Tarifrecht doch Einfluss genommen werden kann auf die eigentlich dem Arbeitgeber obliegende Personalfrage.
Die Pflegekräfte machen es vor
Die Lehrkräfte könnten es ähnlich machen: Sind die Klassen zu voll, gibt es – nur mal als Beispiel – ein Freistundenkontingent für die Lehrkraft. Doch dafür braucht es Druck von der Straße, denn von alleine wird sich Noch-Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der für Berlin die Tarifverhandlungen in der Tarifgemeinschaft der Länder führt, kaum bewegen.
Zumal es ja stimmt, was KritikerInnen einwenden: Umsetzen ließe sich so etwas in der Praxis ohnehin erstmal nicht. Es gibt schlicht zu wenige LehrerInnen in Berlin. Schon jetzt ist der Lehrermangel dramatisch, mehr als 400 Stellen sind derzeit nach einer durchaus soliden Schätzung der GEW nicht besetzt. Wie will man da die Klassen verkleinern – was nur noch mehr Lehrkräfte kosten würde?
Anders gesagt: Wenn man die jetzigen Größen einigermaßen hält, kann man schon froh sein. Oder, auch das ist wahrscheinlich: Es werden in Zukunft noch deutlich mehr nicht-vollausgebildete Lehrkräfte unterrichten. Schon jetzt sind nach GEW-Angaben rund 1.300 Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung im Einsatz: Sie unterrichten, tauchen aber in der Personalstatistik der Bildungsverwaltung nicht auf.
Die Verbeamtung wird wenig Abhilfe schaffen
Die gerne heiß diskutierte Verbeamtungsfrage, die eine künftige Koalition beschäftigen dürfte, wird, ganz kühl betrachtet, auch nicht viel lösen: Angesichts der vakanten Stellen und des noch steigenden Bedarfs in den kommenden Jahren, weil die Verrentungsquote steigt, sind selbst ein paar hundert Lehrkräfte nicht der Gamechanger. Zumal in keinem anderen Bundesland die Verbeamtung bisher den Lehrkräftemangel in irgendeiner Weise gelöst hätte.
Besser wird's erst, wenn mehr AbsolventInnen die Unis verlassen. Die Ausbildungskapazitäten wurden in den vergangenen Jahren zwar hochgefahren, aber noch macht sich das nicht bemerkbar, denn so ein Studium dauert. Und dann muss sich der Nachwuchs tatsächlich noch dafür entscheiden, in Berlin zu bleiben. Wichtiger als die Verbeamtungsfrage dürften für viele die Arbeitsbedingungen sein. Kleine Klassen sind da schon mal ein Argument.
Gut, dass jetzt Druck gemacht wird.
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