Lehrkräftemangel in Berlin: Wenige schaffen die Uni
Die Zahl der Lehramtsabsolvent*innen an den Berliner Universitäten ist rückläufig. Gewerkschaft kritisiert schlechte Studienbedingungen.

Zu wenige Studierende im Lehramt schaffen den Sprung vor die Tafel Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen
BERLIN taz | Der chronische Fachkräftemangel in den Berliner Schulen dürfte sich in den kommenden Jahren eher noch verschärfen. Das legen Zahlen der Wissenschaftsverwaltung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Franziska Brychy und Tobias Schulze nahe, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Demnach ist die Anzahl der Absolvent*innen in den Lehramtsstudiengängen für Sekundarschulen und Gymnasien an den drei großen Berliner Universitäten rückläufig: Schlossen 2018 noch 705 Studierende ihren Lehramtsmaster an der Humboldt-Universität, der Freien Universität oder der Universität der Künste erfolgreich ab, waren es 2021 nur noch 599.
Warum die Zahl der erfolgreichen Absolvent*innen sinkt – obwohl die Studienplatzkapazitäten erhöht wurden – weiß die Verwaltung von Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) allerdings nicht. Linken-Politiker Schulze kritisiert das: Zu den Aufgaben der Unis gehöre es zwingend, „Abbruchgründe zu ermitteln“. Nur dann könne man auch „entsprechend gegensteuern“.
Die Wissenschaftsverwaltung hingegen sagt, das gäbe die Datenlage der Universitäten schlicht nicht her: Es könne „nicht differenziert“ werden, „welcher Anteil der Exmatrikulationen tatsächlich auf einen Studienabbruch zurückzuführen ist und in welchen Fällen die Fortsetzung des Studiums zu einem späteren Zeitpunkt oder an einer anderen Hochschule erfolgt“, heißt es in der Antwort auf die Linken-Anfrage. Daher sei eine „Abbrecher*innenquote nicht ermittelbar“. Die Studierenden müssten den Grund für die Exmatrikulation auch nicht angeben.
Zielzahl „krachend verfehlt“
Die Bildungsgewerkschaft GEW indes vermutet den Grund für die sinkenden Absolvent*innenzahlen in den schwierigen Studienbedingungen. Die Betreuungssituation sei schlecht, sagte Landesvorsitzende Martina Regulin am Mittwoch. Die Zielzahl von 2.000 Absolvent*innen pro Jahr (inklusive Grundschullehramt) werde mit rund 855 im Jahr 2021 „krachend verfehlt“.
Im Rahmen der Berliner Bildungsinitiative Schule muss anders hatten sich Ende Januar auch wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Lehrkräftebildung zu Wort gemeldet. Sie klagten über Personalmangel in der Lehre, was zu überfüllten Seminaren und wenig Betreuung im Praxissemester an den Schulen führe. Durch den Ausbau der Studienplatzkapazitäten habe sich das noch verschärft.
Die Wissenschaftsverwaltung widerspricht: Die „aus der Beratungspraxis bekannten Gründe“ für einen Studienabbruch lägen „selten im konkreten Studium begründet, sondern in finanziellen oder persönlichen Problemlagen.
In diesem Jahr vehandelt der rot-grün-rote Senat wieder turnusmäßig mit den Unis über die Ausbildungsplatzkapazitäten. Bis 2027 soll die Zahl der Studienplätze weiter ausgebaut werden – was die Qualitätsfrage in der Lehre verschärfen dürfte. Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) sagte auf taz-Anfrage, es sei wichtig, „dass ein kontinuierliches Studium ermöglicht wird“. Nach Busses Einschätzung spielt zudem auch die Pandemie eine Rolle, dass zuletzt weniger die Uni erfolgreich abschließen.
Leser*innenkommentare
Nairam
Aus vierzigjähriger Lehrerfahrung an einer Universität weiß ich folgendes zu berichten.
1. Bereits vor Jahrzehnten ist es "chic" geworden zu studieren. Geld sollte trotzdem ausreichend zur Verfügung stehen, also wurde nebenher gejobbt (und Zeit verloren).
2. Gleichzeitig wurde und wird Druck auf die Politik ausgeübt, hinreichend vielen Studenten ein Studium formal zu ermöglichen. Das geht am bequemsten über eine Erleichterung der Abiturprüfungen. Etliche meiner Studenten mit einer Zwei in Englisch zeigten sich außerstande, eine Übungsaufgabe in eben dieser Sprache auch nur zu lesen.
3. Die Politik gibt den Druck zum Beispiel durch "leistungsorientierte Mittelvergabe" an die Hochschulen weiter, d.h.: Je mehr Absolventen (insbesondere Doktoren), desto mehr Geld fließt. Und viele fressen diesen Köder auch.
Ich war bekannt dafür, dass ich bei der Bewertung von Prüfungen das volle Notenspektrum benutze; entsprechend wenig Studenten kamen zu mir. Normalerweise wird schlimmstenfalls eine 1,7 erwartet.
Beim Abitur scheint man schon vor die Wand (1.0) gefahren zu sein, und bei den Hochschulen vermutlich auch, obwohl da vielerorts ja sogar eine 0,7 vorkommt. Ich bin froh, raus zu sein aus dem System. Wenn demnächst bei der Einschulung die Promotionsurkunde überreicht wird, sind endlich alle schrecklich intelligent und das wollte man ja auch.