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Eine zu viel? Vorn die Kuppel des Stadtschlosses, dem Humboldt Forum, dahinter die des Berliner Doms Foto: Paul Langrock

Ausstellungen im Humboldt Forum öffnenTake it easy, altes Haus

Fassade und Kuppel des rekonstruierten Stadtschlosses werden Berlin noch lange Zeit beschäftigen. Nun öffnen sechs Ausstellungen.

Von Susanne Messmer aus Berlin

D as Erste, was bei dem Spaziergang auffällt: Rund ums Berliner Schloss gibt es kaum einen Ort, der wirklich zum Verweilen einlädt. Außer zwei kleinen Beeten, einem Hain aus 31 stadtklimaverträglichen Lederhülsenbäumen und zwei Trauerweiden am Spreekanal ist es hier vor allem – steinern. „Und in so einem Umfeld steht nun das Humboldt Forum“, schüttelt Hans von Trotha den Kopf, „wo Fragen unserer Zeit wie der Klimawandel diskutiert werden sollen.“

Gerade hat der Historiker, Schriftsteller und Journalist von Trotha sein neues Buch veröffentlicht: „Die große Illusion. Ein Schloss, eine Fassade und ein Traum von Preußen“, heißt es. Darin lässt er auf so informative wie vergnügliche Art noch einmal die Debatte um die Rekonstruktion des Berliner Schlosses Revue passieren.

Wie kaum eine andere spaltet diese Debatte seit 30 Jahren die Berliner Stadtgesellschaft. Und auch, wenn von Trotha gar nicht auf die Ausstellungen eingeht, die endlich am 20. Juli im Humboldt Forum hinter der Schlossfassade eröffnet werden: Sein „Versuch über die Fassade“, wie er sein Buch auch nennt, führt noch einmal glasklar vor Augen, wie alt die Schlossrekonstruktion eigentlich schon ist. Schon 30 Jahre ist es her, dass der Landmaschinenhersteller aus Schleswig-Holstein, Wilhelm von Boddien, zum ersten Mal die Idee dazu hatte und auf großen Planen seine Schloss-Simulation installierte, wie von Trotha schreibt.

Vor knapp 20 Jahren wurde es dann vom Bundestag beschlossen. 2006 bis 2008 wurde der Palast der Republik, der zuvor von zahlreichen Künst­le­r*in­nen subversiv zwischengenutzt und von vielen jungen Leuten als riesiger Freiraum empfunden wurde, zurückgebaut.

All das ist viel Zeit. Die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten haben sich seitdem stark verändert – und von Trotha fragt sich zu Recht, ob die demokratische Entscheidung für dieses Schloss heute noch einmal so getroffen würde.

Absolutheitsanspruch des Christentums

Wir sind inzwischen am westlichen Zipfel des 200 Meter langen und 120 Meter breiten Schlosses angelangt, puh. Von hier hat man den besten Blick auf die Kuppel des Schlosses, um das im Mai erneut heftig gestritten wurde, als Laterne samt Kreuz installiert und durch den Abbau der Baugerüste erstmals das blaue Spruchband am Fuß der Kuppel sichtbar wurde.

Der Text ist 1854 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV aus zwei Bibelzitaten montiert worden und behauptet nicht nur den Absolutheitsanspruch des Christentums und Gottesgnadentum, sondern berichtet auch von den preußischen Eliten, die kurz nach der Revolution von 1848 von der Reichseinigung unter preußischer Führung träumten.

„Ich glaube, diese Kuppel werden sie wohl wieder runter nehmen müssen“

Hans von Trotha, Historiker und Autor

Beim Beschluss des Bundestages 2002 war die Kuppel noch eine Option. Aber dann wurden die Entwürfe ohne Kuppel ausgesondert. „Ich glaube, diese Kuppel werden sie wieder runter nehmen müssen“, sagt von Trotha mit einem verschmitzten Lächeln – und weist darauf hin, dass Ku­ra­to­r*in­nen aus aller Welt der Auffassung sind, dass die Kuppel alles unterläuft, was das Humboldt Forum vorgibt, sein zu wollen.

Es geht weiter um das Schloss herum, um diesen Koloss, der, wie von Trotha aus seinem Buch zitiert, „größten Projektionsfläche Berlins“, diesem „UFO“, diesem „AKW Mitte“, das in all seiner barocken Pracht so massiv und so einschüchternd wirkt.

Wer in aller Welt soll das verstehen?

Wir passieren das Staatsratsgebäude der DDR, das nach dem Abriss der Schlossruine 1950 gebaut worden ist. Ein DDR-Schinken mit echtem Schloss-Portal, von dem angeblich Karl Liebknecht die sozialistische Republik ausgerufen hat. Das Portal gibt es jetzt gleich nebenan noch einmal – in Kopie. Wer in aller Welt soll das verstehen?

Schließlich laufen wir am Ufer des Spreekanals weiter, am modernen Teil der Fassade entlang, den man­che*n Be­trach­te­r*in an ein monumentales Abluftgitter erinnert – und kehren zurück zur barocken Fassade gegenüber des Doms.

Kritik gleich gegenüber

Am Spreeufer 6, direkt gegenüber vom neuen Schloss, haben KritikerInnen des Humboldt Forums ihr Lager aufgeschlagen: Spreeufer ist ein Zusammenschluss der Coalition of Cultural Workers against the Humboldt Forum (CCWAH), einer Gruppe von KulturarbeiterInnen, und Barazani.Berlin, einem virtuellen Raum, der aus dem Decolonize-Bündnis entstanden ist und viele Aspekte der Kritik gegen das Forum aufgreift. Noch bis 25. Juli zeigt Spreeufer die Ausstellung „Re-Move Schloss“, unter anderem mit Videoarbeiten von Ina Wudtke und JP Raether. Das Video „Defund the Humboldt Forum“ von CCWAH, seit Donnerstag auf der Webseite der Gruppe zu sehen, wird am Montag ab 22 Uhr unter der Brücke beim Spreeufer 6 im Loop gezeigt.

Zur Eröffnung am 20. Juli 2021 rufen Spreeufer und andere für 13 Uhr zu einer Demonstration vor dem Schloss auf. (sum)

„Oft genug wurde betont, dass diese Fassade weder Preußen noch die Monarchie verherrliche. Was aber dann?“, fragt Hans von Trotha, als der Spaziergang zu Ende geht. „Es ist der Retro-Traum einer konservativen Elite, die es ihrer Gegenwart nochmal richtig zeigen wollte“, fügt er an. Und nun ist das Schloss gesetzt.

Daran, vermutet Trotha, wird sich das Humboldt Forum noch lange reiben. Vielleicht aber wird es eines Tages durch diese Reibung interessanter werden als ein Kulturhaus, das in einen zeitgemäßen Bau hätte einziehen können. Vielleicht sollte man es einfach leichter nehmen.

Am 20. Juli eröffnet ein großer Teil der Ausstellungen. Ein Rundgang

Die römischen Gottheiten Minerva und Merkur, Beschützerin des Handwerks und Gott der Händler und Diebe, sie beugen sich wohlwollend zu einem Amerika herab, das sich demütig verbeugt. Darauf die Worte setting, Handreichung, Allegorie, transatlantic. Ein paar Schritte weiter: Ein bewaffneter schwarzer Mann beim Kampf gegen weiße Soldaten, dazu die Worte Rebellion, Kolonialwaren, négritude, Unfreiheit.

Diese Bilder und Worte sind in die Fenster des engeren der beiden Höfe des Humboldt Forums geklebt, bei den meisten kann man ein wenig vom Foy­er dahinter erkennen. Sie werfen Fragen auf, sie sind Irritationen. Und doch sind sie das Erste, was die Be­su­che­r*in­nen sehen werden, wenn nach zahlreichen Verzögerungen am Dienstag endlich ein großer Teil der Ausstellungen im Humboldt Forum eröffnet.

„Einblicke“: So heißt die kleine, kompakte Ausstellung über die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, die zeigen will, warum diese vor etwa 20 Jahren als Namensgeber für dieses Zentrum für Kultur und Wissenschaft in der rekonstruierten Hülle des Berliner Stadtschlosses ausgesucht wurden. Schon damals tobte mit Volldampf die Schlossdebatte.

Viele Ber­li­ne­r*in­nen vertreten seitdem bis heute mit Verve die Ansicht, dass mit dem Abriss des Palasts der Republik und dem Bau eines Schlosses an seinem Ort nicht nur unnötig Steuergelder verbrannt wurden. Sie meinten auch, dass dieses Schloss an nichts als den Chauvinismus, Antisemitismus, Militarismus und Nationalismus Preußens erinnert. Eine kleine Elite weißer, alter Männer habe sich ihre Stadt nach Gusto möbliert, um damit nicht nur einen entscheidenden Teil der Spuren der DDR auszuradieren – sondern auch dem jungen, vielfältigen, kreativen Berlin die Freiräume zu klauen.

Die Humboldts waren nicht nur intellektuelle Superhelden

Es ist auch diesen kritischen Stimmen zu verdanken, dass das Humboldt Forum seit seiner Gründung versucht, das Schloss mit dem Gegenteil dessen zu füllen, was es verkörpert. Auch die Bezugnahme auf die Brüder Humboldt ist ein solcher Versuch. Die Humboldts, so dachte man damals noch, verkörpern ein anderes Preußen, ein aufgeklärtes und tolerantes Preußen. Heute weiß man, dass das nur teilweise so stimmt.

Dies zeigt „Einblicke“ vor allem im Foyer, wo die Schau mehr Fakten und Hintergründe liefert: Die Humboldts waren nicht nur intellektuelle Superhelden und Netzwerker, die Kultur und Bildung für alle zugänglicher machten. Kurator David Blankenstein, der vor zwei Jahren mit der internatio­nal bekannten Kunsthistorikerin und Kritikerin des Humboldt Forums Bénédicte Savoy die Ausstellung über die Brüder Humboldt im Deutschen Historischen Museum organisiert, erklärt: Die Humboldts waren auch so privilegierte wie instrumentalisierte Untertanen des preußischen Königs.

So kommt es, dass Blankenstein für eines der Fenster ein Bild kämpfender Männer bei den Sklavenaufständen auf Hai­ti zeigt: „Alexander verurteilte die Sklaverei. Aber er lebte auf Kuba auch monatelang im Haus eines Sklavenhändlers. Und er schrieb mit großer Skepsis und Furcht über Haiti. Er nannte nie auch nur einen Namen der beteiligten schwarzen Generäle und Intellektuellen.“

Auch die Handreichung Minervas und Merkurs hinter dem anderen Fenster setzt einen gekonnten Nadelstich und unterwandert glorifizierenden Darstellungen der Humboldts in letzter Zeit. „Moderne Historiker in Lateinamerika betrachten heute die Unabhängigkeit ganz anders, eher als Machtübernahme der kreolischen Eliten, die viel drastischere Konsequenzen für die indigene Bevölkerung hatte als die spanische Kolonialherrschaft“, so Blankenstein.

Das Humboldt Forum ist ein kompliziertes Konstrukt

Viele Ausstellungen, die ab 20. Juli im Humboldt Forum zu sehen sind, finden nicht nur einfach an diesem Ort statt. Sie reiben sich an seiner Entstehungsgeschichte, an den Debatten um ihn. Sie stellen schmerzhafte Fragen, die ohne den Streit um das Schloss und das Humboldt Forum vielleicht erst viel später gestellt worden wären. Und damit setzen sie quasi als Speerspitze der Bewegung andere Kräfte in diesem Haus unter Druck, sich ebenfalls endlich in Gang zu setzen.

Dazu muss man wissen: Das Humboldt Forum ist ein kompliziertes Konstrukt, an dem viele fortschrittliche, aber auch konservative Institutionen mitwirken. Der größte Player ist dabei die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit ihren Staatlichen Museen Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst. Diese werden ein stolzes Drittel der Nutzfläche im Haus bespielen, diese Ausstellungen eröffnen allerdings erst am 22. September.

Und in diesen Museen tut man sich in Teilen nach wir vor sehr schwer damit, offen mit der eigenen Geschichte umzugehen. Das zeigte sich besonders anschaulich bei einer Presseführung durch die Ausstellungen Ende Juni, bei der das sogenannte Luf-Boot im Mittelpunkt stand, neben den Benin-Bronzen ein Herzstück der Staatlichen Museen.

Ausstellungen auf einen Blick

Ab 20. Juli 2021 Das Humboldt Forum öffnet in mehreren Phasen. Am 20. Juli starten gleich sechs Ausstellungen vom Schlosskeller bis ins 1. Obergeschoss: Die Ausstellung „schrecklich schön. Elefant – Mensch – Elfenbein“ konnte vorab nicht besichtigt werden, daher wird sie auf diesen Seiten nicht besprochen. Eröffnet werden auch die Ausstellungen „Berlin global“, „Nach der Natur. Geschichte des Ortes“ und „Nimm Platz!“, eine Ausstellung für Kinder, sowie „Einblicke. Die Brüder Humboldt“.

Im Sommer stehen Führungen und Veranstaltungen auf dem Programm, unter anderem open air das Tanzprojekt „Das Forum bewegen“, aber auch in den Werkräumen und Ausstellungen sowie im Humboldt Labor.

Am 22. September öffnen erste Teilbereiche der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im 2. und 3. Obergeschoss – Vorboten sind bereits jetzt in der Treppenhalle (siehe Foto oben auf dieser Seite) zu entdecken. (taz)

Bis vor Kurzem hatte die SPK noch behauptet, das Luf-Boot sei „rechtmäßig erworben“ worden. Und noch während die Institution, die bislang als Bremserin in der Kolonialismusdebatte galt, ihren trägen Kurs in Bezug auf die nun bald anstehenden Rückgaben der Benin-Bronzen zu korrigieren suchte, trat der Berliner Journalist und Historiker Götz Aly mit seinem Buch „Das Prachtboot“ eine ganz neue Phase der Diskussion los.

Unter nicht geklärten Umständen erworben

Aly erzählt darin, was eigentlich längst bekannt sein sollte: wie die deutschen Kolonialherren im „Schutzgebiet“ Deutsch-Neuguinea töteten, vergewaltigten und die Bewohner zur Zwangsarbeit auf ihren Plantagen verschleppten. Wie es zu einer sogenannten Strafaktion der Deutschen kam, bei der sie die Hälfte der Einwohner von Luf umbrachten. Und wie sie 20 Jahre später das Boot unter nicht geklärten Umständen erwerben.

Aus dieser Geschichte einen „rechtmäßigen Erwerb“ zu machen ist ein starkes Stück – und das wissen die Museumsleute natürlich. Dennoch möchten sie über den blutigen Hintergrund der Inbesitznahme des Boots nur in einer Broschüre berichten – oder erzählen von einem Telefonat mit dem Honorarkonsul, der nach wie vor keine Rückforderungen stelle … Damit erweisen sie sich nicht einfach nur als unbeweglich, sondern sie verteidigen nach wie vor knallhart den Besitz, der ihnen noch bleibt. Anders als in anderen Ländern verstehen sich die Museen in Deutschland nach wie vor eher als Bewahrer von gefährdeten Kulturschätzen denn als Räuberhöhle.

Insofern ist es ein großes Glück, dass es im Humboldt Forum nicht nur die Staatlichen Museen gibt, sondern auch andere Player, die sich als fortschrittlicher begreifen, als vielfältiger, offener, kritischer.

Zu diesen gehörten die Ma­che­r*in­nen der erwähnten Ausstellung „Einblicke“ und auch der Ausstellung „Sitzen bleiben“ für Kinder von drei bis zehn Jahren, die mit der Bedeutung des Sitzens in den verschiedenen Kulturen spielt, aber auch mit der Frage, wer eigentlich darüber bestimmt, wer welche Plätze in der Gesellschaft bekommt. Und überall in den Fluren des Humboldt Forums gibt es unter dem Titel „Spuren“ Hinweise auf die Geschichte des Ortes, an dem das Humboldt Forum heute steht – besonderer Fokus liegt auf dem Palast der Republik, der 2008 abgebaut wurde.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Und im ersten Stock gibt es gleich zwei Ausstellungen, die ab Dienstag zu sehen sind und die ganz anders daherkommen als die der großen Staatlichen Museen. Während man dort nämlich nur von „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ spricht, verstehen sich besonders in den Ausstellungen „Berlin Global“ des Landes Berlin und „Nach der Natur“ der Humboldt-Universität Berlin die Ku­ra­to­r*in­nen bereits eher als Moderator*innen. Bei einer Presseführung durch „Berlin Global“ war sogar die Rede davon, dass die Ausstellungen in weiten Teilen an sogenannte „critical friends“ abgetreten wurden, an zivilgesellschaftliche Organisationen, Künst­le­r*in­nen oder Studierende.

Tatsächlich ist „Berlin Global“ überhaupt keine Ausstellung mehr in herkömmlicher Manier, sondern vielmehr eine anregende Plattform, wo die Stadtgesellschaft noch zu den tagesaktuellsten Fragen ins Gespräch kommen kann. Einige Highlights: Im Themenraum „Freiraum“, der von Projekten, Utopien und Nischen in dieser Stadt erzählt, durften sich die selbstverwalteten Jugendzentren Drugstore und Potse in Schöneberg austoben, die gerade mit ihrem Kampf gegen Verdrängung die Debatten in der Stadt prägen.

Im Themenraum „Grenzen“ haben Studierende am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität aktuelle Grenzen in der Stadt ausgemacht und für eine interaktive Medienstation aufbereitet: Es geht um Alltagsrassismus, Barrierefreiheit, Wohnen – bis hin zu Themen wie die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Aufenthaltspapiere.

Und im Raum „Vergnügen“ erzählen nicht nur damalige Prot­ago­nis­t*in­nen vom HipHop in Ost- und Westberlin der 1980er Jahre, sondern haben ihre eigenen Singles und Tapes, Equipments und Shirts zur Verfügung gestellt und kommentiert.

Zentralsten Fragen unserer Zeit

Fast noch einen Tick sehenswerter als „Berlin Global“ ist die kleinere Ausstellung „Nach der Natur“, in der sich die Humboldt Universität ins bislang von ihr viel zu wenig beackerte Feld der niedrigschwelligen Vermittlung stürzt – in einer Zeit wachsender Diskrepanz zwischen Wissenschaft und breitem Publikum wird das immer wichtiger. In dieser Ausstellung ist es Kurator Gorch Pieken gelungen, auf nur 600 Quadratmeter einige der zentralsten Fragen unserer Zeit aufzuwerfen.

Ausgehend von einem interaktiven Fischschwarm, der auf die Be­su­che­r*in­nen reagiert und als ebenso schönes wie simples Bild für die Auswirkungen individuellen Handelns auf die Umwelt fungiert, stellen zunächst einmal die sieben Berliner Exzellenzcluster ihre Forschung vor und erklären, so Pieken, „was ein Fischschwarm mit der Intelligenzforschung, mit der Hirnforschung, der Forschung zu aktiven Materialien, mit Mathematik, Literatur oder Katalyseverfahren zu tun hat“. Sie stellen aber auch die Frage, wie sich der Mensch in der Gruppe positioniert, wie er andere Meinungen aushält beispielsweise, ohne von der eigenen abzurücken.

Im zweiten Raum gibt es dann eine kinetische Wand aus beweglichen Rollos, auf denen Nachhaltigkeitsforscher den Klimawandel diskutieren – und auch, wie das liberale Gesellschaftsmodell diese Katastrophe stoppen könnte. Im Raum werden außerdem Sammlungsobjekte vorgestellt, die mal innovative, mal schreckliche Antworten aus der Wissenschaftsgeschichte auf die aktuellen Forschungsfragen geben.

Auch hier seien nur wenige Highlights genannt: Eines der Objekte ist Protest- und Schutzschild, wie es Ak­ti­vi­s*in­nen beim Protest beim Bau einer dritten Startbahn in Heathrow 2007 trugen. Die Schilder zeigten überlebensgroße Porträts von Menschen, die direkt vom Klimawandel betroffen waren. 2020 verbot ein Gericht den Bau der Startbahn, weil er gegen das Pariser Abkommen verstoße.

Einer der subversivsten und schlausten Kommentare

Ein anderes ist vielleicht das Objekt schlechthin, wenn es darum geht zu zeigen, wie groß die Vielstimmigkeit im umstrittenen Humboldt Forum inzwischen ist, wie sehr sich diese Institution inzwischen selbst in Frage stellt. Es ist eine der berühmten Kanistermasken des in Benin geborenen Künstlers Romuald Hazoumè.

Die Kanister, die der Künstler verwendet, dienen eigentlich dazu, Benzin aus Nigeria nach Benin zu schmuggeln. Sie werden oft aufgeblasen, damit sie mehr Benzin fassen können, was aber den Transport gefährlicher macht – damit sind sie Symbole für prekären Handel. Sie sind aber auch ein Kommentar des westlichen Blicks auf afrikanische Kunst: „Von einem Afrikaner erwartet man, dass er Masken macht – also machte ich Masken“, hat Romuald Hazoumè einmal gesagt.

Man kann wohl sagen, dass dies einer der subversivsten und schlausten Kommentare ist, der noch dazu die Diskussionen um die Benin-Masken in den Staatlichen Museen nonchalant hinter sich lässt.

Es ist zudem ein Kommentar, der Hoffnung macht. Denn vielleicht wird dieses Haus tatsächlich eines Tages eine Plattform für interkulturellen Austausch – und zwar nicht trotz seiner barocken Hülle, sondern gerade wegen der endlosen Debatten um sie.

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