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Corona und soziale UngleichheitDas Quadratmeter-Privileg

Die Krise macht uns nicht gleicher, im Gegenteil. Eine repräsentative Studie zeigt, wie sich Lebensverhältnisse aufs Infektionsrisiko auswirken.

Ehrenamtliche Helfer der Berliner Tafel packen Lebensmittel in Tüten Foto: F.Boillot/snapshot-photography/imago

D ie meisten Menschen in meinem Umfeld haben Coronawinter und -frühjahr gut überstanden. Mit emotionalen Kratzern und Wunden, mit viel Stress, Sorgen, auch Leid. Aber fast alle sind gesund geblieben, Arbeitsplatz oder Aufträge blieben erhalten. Viele meiner Freund:innen, wie ich, sind mit großen Privilegien durch die zweite und dritte Coronawelle gekommen: genügend Wohnraum, Zugang zu allen wichtigen Informationen, Jobs, die wir von zu Hause aus erledigen konnten, emotionale Unterstützung, wenn wir sie brauchten.

Dass es vielen Menschen anders erging, belegt eine gerade veröffentlichte repräsentative Studie der Universität Mainz. Sie untersucht den Verlauf der Pandemie im Zeitraum zwischen Oktober 2020 und April 2021.

Ein Ergebnis aus dem Bereich Arbeiten und Wohnen: Das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, lag bei Menschen, die nicht im Homeoffice arbeiteten, bei 4,2 Prozent. Für Angestellte, die ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen konnten, lag die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei nur 2,9 Prozent.

Für erwerbslose Menschen (die in der Regel über weniger Geld verfügen) lag das Risiko auch höher, bei 4,3 Prozent, was auf einen weiteren Punkt hindeutet, den die Studie untersucht hat: prekäre Wohnverhältnisse. Darunter verstehen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen einen Wohnraum von weniger als 9 Quadratmetern pro Person – oder wenn die Wohnkosten mehr als 50 Prozent des Einkommens ausmachen. Für Menschen, bei denen einer oder beide Punkte zutreffen, war das Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, um 60 Prozent höher als bei Menschen, die nicht in prekären Verhältnissen leben.

Wer wenig hatte, hat nun noch weniger

Diese höhere Ansteckungsquote hat übrigens nichts mit dem Verhalten dieser Menschen zu tun – auch das hat die Studie untersucht: Menschen in prekären Wohnverhältnissen halten sich genauso an die Hygiene- und Präventionsmaßnahmen wie alle anderen. Aber müssen eben mit schwierigen Lebensumständen zurechtkommen. Die Studie hat auch untersucht, wer in der Krise finanziell am meisten verloren hat. Es sind die unteren Einkommensschichten. Wer schon vor der Pandemie wenig hatte, hat nun noch weniger.

Schließlich Impfen: Impfbereitschaft und -quote sind bei Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status laut Studie niedriger als bei wohlhabenderen. Logisch: Der Zugang zu Informationen ist oft beschränkt, durch Sprachbarriere oder weil Zeit und Ressourcen fehlen. Die Impfkampagne war aber von Anfang an nicht auf diese Menschen ausgerichtet.

Das mag alles keine Überraschung sein, aber es ernüchtert doch, die Zahlen in dieser Studie zu sehen. Egal welche Krise – es sind immer wieder die gleichen Gruppen der Gesellschaft, die am meisten leiden müssen. Und die Politik richtet sich weiter an denen aus, denen es gut geht.

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10 Kommentare

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  • Das ist ja bei weitem kein neues Phänomen und es ist bestimmt auch nicht auf Deutschland beschränkt.



    Es ist auch nicht auf die Neuzeit beschränkt ich denke wenn man sagt, dass es im gesamten Laufe der Geschichte der Menschheit in jedem beliebigen Land so war, das Einkommen und Wohlstand mit Gesundheit korrelieren, man eine richtige Aussage macht.

    Kann man das ändern?



    Bestimmt in der Tendenz, aber bestimmt auch nie vollständig.



    Es wird sich in der Zukunft auch hier wieder in die andere Richtung entwickeln, denn die stark individualisierte Medizin ist schnell auf dem Vormarsch, aber sie ist extrem teuer das wird notwendigerweise dazu führen dass manche Menschen es sich leisten können und andere nicht.

    Gentechnisch spezifisch individuell designte Arzneimittel werden in Zukunft das Leben von Reichen retten aber leider nicht das Leben von Armen, das scheint mir eine sehr realistische Prognose

  • Die Autorin betrachtet die Einkommensseite, nicht aber die Ausgabenseite.



    Die Konsummöglichkeiten sozial schwacher Mitbürger haben sich wenig geändert, denn Läden für den täglichen Bedarf waren ständig geöffnet.

    Von geschlossenen Gaststätten, Hotels und Theatern sind auf der Kundenseite vorrangig Besserverdiener betroffen gewesen. Niedrigverdiener waren dort ohnehin selten. Insofern ging es ihnen im Lockdown in etwa so schlecht wie vorher, die Besserverdiener haben mehr verloren. Vor Netflix sind alle (fast) gleich, nicht aber in der Staatsoper.

    Vielleicht liegt darin auch ein wesentlicher Grund für die soziale Ungleichheit der Inzidenzen:



    Wer gewohnt war, Freunde in Gaststätten zu treffen, bei dem fielen diese Treffen oft weg. Wer gewohnt ist, sich (kostensparend) zu Hause zu treffen, bei dem gibt es weniger äußere Anstöße zur Infektionsvermeidung.

    • @meerwind7:

      "Insofern ging es ihnen im Lockdown in etwa so schlecht wie vorher, die Besserverdiener haben mehr verloren."



      Wie kommt man denn auf so einen Unsinn? Es geht hier nicht um Opernbesuche, es geht um Möglichkeiten wie Homeoffice vs. im Krankenhaus oder an der Kasse arbeiten, Quarantäne in der winzigen Wohnung oder im Garten verbringen. Mit dem SUV unterwegs sein oder mit Bus oder Bahn...

  • Hängt nicht nahezu alles an der Bildung (inkl. Sprache) und beruflicher Qualifikation?



    Ist nicht das der eigentliche Grund und nicht weniger Wohnraum, wenig Erwerbseinkommen...? Sollte man nicht darüber reden und wie wir das verbessern anstatt immerzu die gleichen frustrierten Berichte zu zitieren die nur an der Ergebnisebene ansetzen.

    • @Tom Farmer:

      1/3



      Natürlich wäre es falsch von mir, zu behaupten, folgendes wäre nicht auch eine Gegenrede zu Ihrem Kommentar. Aber mir kommt es auf ein erforderliches Nachdenken über das Zusammengehen von Bildung und materieller Ausstattung von Lebensumständen an. Das wird nach meinem Eindruck in der öftl. Debatte um Armut vernachlässigt. Stattdessen werden, das sprechen auch Sie an, einseitige Wirkungszusammenhänge „aufgemacht“. Entweder ist die materielle Armut die Ursache allen Übels oder die mangelnde Bildung. Dabei müsste man im Zusammenhang mit Armut überhaupt erst mal fragen, was Bildung da meint. Aber weiter, ohne Provokation: Was sagt uns unser Bildungswissen denn zu den im Artikel genannten u. definierten „prekären Wohnverhältnissen“?



      *Darunter verstehen die Wis¬sen¬schaft¬le¬r:in¬nen einen Wohnraum von weniger als 9 Quadratmetern pro Person – oder wenn die Wohnkosten mehr als 50 Prozent des Einkommens ausmachen. Für Menschen, bei denen einer oder beide Punkte zutreffen, war das Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, um 60 Prozent höher als bei Menschen, die nicht in prekären Verhältnissen leben.*



      Es ist doch klar, dass ein Virus nicht nach Abitur oder Hauptschulabschluss „fragt“. Auch nicht in einer Wohnung, die eine „Besatzdichte“ hat, die überdurchschnittlich häufig eine „infektiöse Nähe“ der Bewohnerinnen u. Bewohner erzwingt. Ich weiß, es klingt polemisch, ist es aber nicht: Wenn Bildungsmangel ein Infektionsrisiko wäre, dann müssten sich Familien mit ähnlichen Wohnbedingungen, deren jeweiligen Kinder aber unterschiedliche Schularten besuchen, die Hauptschüler am häufigsten u. die Gymnasiasten am seltensten anstecken. Das ist natürlich konstruierter (statistischer) Unsinn. Den Ihr Kommentar selbstverständlich nicht behauptet.

    • @Tom Farmer:

      2/3



      Sie zielen ja auf die Folgen des Bildungsmangels ab: Geringe Qualifikation, geringes Einkommen, beengter Wohnraum. Beengten Wohnraum kann auch die gebildete Familie haben, die gerade in die Großstadt umgezogen ist und sich notgedrungen erst mal mit einer kl. Wohnung begnügen muss.



      Die in der Debatte immer wieder herangezogene Korrelation zwischen Bildungsstand und Infektionszahlen ist deshalb in dieser bloßen Widergabe gefährlich verfänglich. Eine Korrelation behauptet niemals einen kausalen Zusammenhang zweier Ereignisse/Faktoren. Sie liefert nur ein Indiz dafür, dass da einer sein könnte – oder eben nicht. So oder so muss ein solcher Zusammenhang erst gefunden werden. Sonst würde der berühmte zeitgleiche Rückgang der Storchenpopulation (in Bremen m. W.) tatsächlich die Ursache des Geburtenrückgangs sein.



      Auch auf die Folgen des Bildungsmangels abzuzielen, kann Verfänglichkeit mit sich bringen. Mir erscheint es so, dass in der Debatte die „Bildungsleistungsfähigkeit“ fälschlich gleich, identisch mit der individuellen „Bildungswilligkeit/-unwilligkeit“ gesetzt wird. Wobei auch da Ihr Kommentar so etwas nicht behauptet. Aber wenn man denn graduell zwischen individuellen Bildungsbefähigungen unterscheiden will, dann kann man diese doch nicht (allein) als selbstverschuldetes Versagen deuten! Das tut man aber, wenn man die Bildungsbefähigung als allein in der Entscheidungsmöglichkeit des Individuums deutet. Er/sie hätten ja…Man hat es dann, was die öffentliche Debatte angeht, dann mit einem Dilemma zu tun, dem in der Debatte prompt aber falsch aus dem Weg gegangen wird. Wird Bildungsbefähigung und ihr „Umgang“ damit als individuelle Entscheidung gedeutet, dann liegt die Verantwortung dafür allein beim Individuum und man kann es den Folgen einer Pandemie „getrost“ selbst überlassen.

    • @Tom Farmer:

      3/3



      Mit entsprechenden Folgen auch für die Gesellschaft – weil die, soweit sie unsere demokratische ist – das Recht auf körperliche Unversehrtheit kennt. Sieht man Bildungsbefähigung als naturgegeben schicksalhaft an, könnte man ähnlich resignierend feststellen, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen letztendlich eben nicht zu helfen sei, bzw. nur durch Zwang. Es dürfte aber klar sein, dass so etwas wie eine Impfpflicht sich vor dem Gleichheitsgrundsatz unserer Gesellschaft nicht an Schulabschlüsse festmachen lässt. Spitz formuliert.



      Aber ist das alles unsere gesellschaftliche Wirklichkeit und die der Menschen? Wieso muss, wiederhole muss, diesen eben genannten Deutungen nach, ein Hauptschulabschluss ein geringeres Bewusstsein für die Gefahren einer Pandemie mit sich bringen? In der öffentlichen Debatte wird aber allzu häufig dieser Eindruck erweckt. Ihr Kommentar zielt meiner Lesart nach mehr auf ein Bewusstmachen von Infektionsgefahren in der Bevölkerung. Aber dann dürften die eben genannten Zusammenhänge nicht vergessen werden. Es gibt eben mehr oder weniger zwingende materielle Verhältnisse, die den Individuen nicht fälschlich „angehängt“ werden dürfen und nicht durch falsche Ursachenzuschreibungen an die Individuen, wie hier „Bildungsstand“, für die Gesellschaft bequem übertüncht werden.

  • "Das mag alles keine Überraschung sein" ist ein schwer zu überbietender Euphemismus. Texte wie diesen hätte ich gern im April 2020 gesehen und noch noch einmal zu Beginn der Impfungen im Januar -- und dann auf den ersten Seiten und nicht erst klein auf Seite 14. Das wäre verantwortungsvoller Journalismus gewesen.

  • RS
    Ria Sauter

    Ja, es geht vielen schlechter. Was die Impfkampagne betrifft dürfte es mittlerweile bei wirklich jedem Menschen angekommen sein.



    Die geringe Impfbereitschaft einiger Menschen hat nichts mit mangelnder Info zu tun sondern mit absurden Ängsten, etwa unfruchtbar zu werden.

    • @Ria Sauter:

      diese „absurden aengste“ haben auch vermeintlich gebildete, zb im querlenkermilieu. die hintergruende sind aber vermutlich andere.