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Abschiebefall spaltet RegierungStreit über Asylpolitik in Sachsen

Eine integrierte Großfamilie wird von Pirna nach Georgien abgeschoben. SPD und Grüne sprechen von einer „unmenschliche Abschiebepraxis“.

Steht wegen der sächsischen Abschiebepolitik in der Kritik: Innenminister Roland Wöller (CDU) Foto: Matthias Rietschel, dpa

BERLIN/DRESDEN taz | Das Video ist bedrückend. „Die haben uns wie Tiere behandelt“, schluchzt ein junges Mädchen, wenige Tage nach der Abschiebung ihrer neunköpfige Familie aus dem sächsischen Pirna nach Georgien. „Die haben uns einfach aus unserem Zuhause rausgeschmissen. Deutschland ist meine Heimat. Hier habe ich nichts.“ Das Video verbreitete sich in sozialen Medien vielfach.

Am Wochenende sorgte die Abschiebung nun auch für Ärger in der Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen. SPD-Innenexperte Albrecht Pallas nannte den Fall Teil einer „unmenschlichen Praxis“, die beendet werden müsse. Innenminister Roland Wöller (CDU) sei in der Pflicht, entsprechende Leitlinien für die Ausländerbehörden zu erlassen, um gut integrierte Menschen nicht weiter auszuweisen.

Auch Grünen-Fraktionschefin Franziska Schubert erklärte, in dem Fall sei „jegliches Maß für Menschlichkeit verloren gegangen“. Wöller sei verantwortlich dafür, dass in Ausländerbehörden vielfach Entscheidungen getroffen würden, die so nicht fallen müssten. Immer wieder würden jahrelang integrierte Menschen abgeschoben. „Diese unmenschliche Abschiebepraxis in Sachsen trägt eine klare Handschrift und diese ist schwarz“, so Schubert. Das Thema sei „die Achillesferse dieser Koalition“, bei dem keine Kompromisse möglich seien.

Das sächsische Innenministerium ließ eine taz-Anfrage zu dem Vorgang am Sonntag vorerst unbeantwortet.

Fast zehn Jahre in Deutschland gelebt

Die Familie aus Pirna war vor anderthalb Wochen nach Georgien abgeschoben worden. Sie hatte laut sächsischem Flüchtlingsrat fast zehn Jahre in Deutschland gelebt. Die meisten der sieben Kinder wurden hier geboren, die Eltern waren berufstätig. Die Familie sei nachts gegen zwei Uhr aus ihrer Wohnung geholt worden, der Vater habe dabei einen Zusammenbruch erlitten. Nachbarn hätten gegen die Abschiebungen protestiert. Auch der sächsische Härtefallkommission habe spontan noch versucht, diese zu verhindern – ohne Erfolg.

Christina Riebesecker von der AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge erklärte: „Wir sind wütend! Und wir verlangen, dass unsere Freun­d*in­nen sofort zurückgeholt werden. Diese Abschiebung war rechtswidrig!“

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15 Kommentare

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  • Wie so oft drängt sich hier der Verdacht auf das versucht wird gut integrierte Familien abzuschieben die sich nicht einfach wehren oder untertauchen können um irgendwelche Quoten zu erfüllen. Genauso hat es die Ausländerbehörde damals bei meiner Schwägerin versucht die trotz Studienabschluss und hochdotiertem Job in Deutschland aus blauem Himmel die Aufforderung erhielt innerhalb von 14 Tagen das Land zu verlassen. Als daraufhin die bereits feststehende Hochzeit etwas vorgezogen wurde, versuchte die Verwaltung meinen Bruder monatelang als Verbrecher zu entlarven. Irgendwie liest man dann diese Berichte über Intensivtäter mit zig Verfahren bei denen es aber scheinbar nie Konsequenzen gibt mit Verwunderung. Wer sich an die Regeln hält, ist hier scheinbar der Dumme.

  • Die Anerkennungsquoten von Georgiern liegen bei unter 1% - es bekommt so gut wie nie jemand Asyl, und das hat Gründe. Aus Georgien kommen die Leute aus wirtschaftlichen Gründen, was zwar verständlich ist, aber nunmal kein Asylgrund. Zu bedauern ist, dass es bis zur Abschiebeentscheidung so lange dauert, wenn die Menschen hier schon verwurzelt sind. Und wenn die Eltern gearbeitet haben, können sie über ein Arbeitsvisum kommen - wo ist also das Problem?

    • @Sandra Becker:

      Dieser Kommentar wurde entfernt. Bitte bleiben Sie konstruktiv und halten sich an die Netiquette. Die Moderation

  • Warum wurde die Familie denn abgeschoben?

    Eine Abschiebung nach 9 Jahren ist ungewöhnlich.

    • @rero:

      Ich gehe davon aus, dass die fast 7 Schwangerschaften der Frau in Deutschland die Abschiebung verzögert haben.

      • @*Sabine*:

        Schwangere sind nicht grundsätzlich von Abschiebungen ausgenommen.

        In Hessen gab es vor ein paar Jahren mal einen Fall, da scheiterte die Abschiebung einer Schwangeren nur daran, dass der Pilot sich weigerte, die Frau mitzunehmen.

        www.fr.de/rhein-ma...rden-12221048.html

  • Innenminister Roland Wöller (CDU) sei verdammt und pflichtet in das neu eröffnete Museum zu Flucht und Vertreibung in Berlin zu gehen und sich seiner deutschen Geschichte klar zu werden. Hr. Wöller verschwendet zu dem Steuergelder, da die Familie erfolgreich integriert ist. Das wurde auch mit Steuergeldern ermöglicht, die der Herr Minister aufgrund der braunen Stimmungslage in Sachsen einfach so beim Fenster rauswirft; ein Haushaltsvergehen! - Rücktrittsforderung ist angebracht.



    Solche Politiker schaden unserem Land - Zustände wie vor fast 100 Jahren

    • @Sonnenhaus:

      Aber Sie wissen doch gar nicht, worin der Grund für die Abschiebung lag.

      Zudem werden Georgier aus Georgien nicht vertrieben. Da nützt also auch der Museumsbesuch nichts.

  • Es muss alles versucht werden, diese Familie zurückzuholen. Die Verantwortlichen gehören einer 'christlichen' Partei an..., die herausposaunt, Migranten sollen sich gefälligst integrieren. Ich verstehe nur nicht, warum die Koalitionspartner nicht vorher informiert waren und nun aus allen Wolken fallen. War wohl bewusst eine sog. Nacht und Nebel - Aktion. Ist eine Sondersitzung des Parlaments geplant? Wurde überhaupt ein Rechtsanwalt eingeschaltet ?

  • RS
    Ria Sauter

    Warum ist die Familie geflohen?



    Haben sie Asyl beantragt?



    Wurden sie verfolgt?



    Bitte mehr Hintergrundinfos!



    Allerdings ist eine Abschiebung nach 10 Jahren unmenschlich.

  • ... geht es mal wieder um fishing am rechten Rand, Herr Minister Wöller, höchst unchristlich!

  • Was will uns der Artikel sagen? Dass sowas nur in Sachsen passiert, dass sowas überhaupt passiert, dass es in der übrigen Welt nicht passiert? Wer bei der Vorstellung von 7 traurigen Kinderaugenpaaren keinen Herzschmerz bekommt, bei dem Anblick des Abführens des Nachbarn keine komischen Gefühle … der ist sicher ein kalter Mensch. Jedoch, wie kann sowas verhindert werden? Schnellere Verfahren mit eingeschränkten Rechtsmitteln und dafür Bleiberecht nach 10 Jahren? Irgendwie gibt es im bisherigen System dafür keine humane Lösung.

    • @TazTiz:

      In anderen Rechtsverfahren, z.B. in der Wirtschaft, gibt es Fristen, werden die Fristen von beiden Seiten nicht eingehalten, sind die Anträge automatisch entsprochen (bei Behörden die die Fristen nicht einhalten) oder eben der Antrag abgelehnt (wenn die Firmen nicht reagieren). Komisch da geht sowas, aber im humanitären Bereich nicht.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Sicherlich wäre dies einer der Fälle da man das Recht anders aulegen könnte. Aber das ist ja das übliche Problem. Für die einen Recht, für die anderen unmenschlich. Wonach sollen sich die Behören richten?

  • Mich beschämt das zutiefst. Wie gerne würde ich Wöller und andere Unionspolitiker:innen zur Rede stellen (gewaltfrei natürlich, aber lautstark und deutlich, und zwar in Person, nicht nur per Petitionen oder E-Mails etc.)!



    Was können wir tun? Bitte veröffentlicht Kontakte zur Unterstützung der Familie, auch finanzieller Art! Danke.



    Solidarische Grüße aus Berlin,



    Chris