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Wagenbleibtprekär

Die rot-rot-grüne Koalition wollte Rechtssicherheit für Wagenplätze und ihreBe­woh­ne­r*in­nen schaffen. Fünf Jahre später fällt die Bilanz aber verhalten aus. Für viele der alternativen Wohnprojekte hat sich ihre unsichere Lage nicht verbessert

„Wir sind eine gelebte Alternative zum Hamsterrad“, sagt ein Mitbegründer des Wagenplatzes Ratibor in Kreuzberg, der gerade über seine Zukunft verhandelt

Von Darius Ossami Fotos Sebastian Wells

Die Rummelsburger Bucht an der südlichen Grenze des Stadtteils Friedrichshain und des Bezirks Lichtenberg ist eine einzige Baustelle. Zäune stehen dort, wo man vor einem Jahr noch sinnierend aufs Wasser blicken oder – etwas dynamischer – ein Tretboot ausleihen konnte.

„My Bay“ wirbt hier mit großen Schildern für Eigentumswohnungen am Wasser, „BauWatch“ verspricht Sicherheit für den Baustellenbetreiber. Dahinter an der Lichtenberger Hauptstraße stehen noch zwei graubraune Altbauten wie übrig gebliebene Backenzähne trotzig in der Trümmerlandschaft. Zwischen alldem, umringt von zum Teil bereits abgerissenen Garagen und Werkstätten, Bauzäunen, Baggern und einigen wenigen übrig gebliebenen Pappeln, befindet sich die „Wagenkunst Rummelsburg“.

Der kleine Wagenplatz ist einer von noch etwa 20 Plätzen, die zu den letzten urbanen Freiräumen in Berlin gehören. Ihre Be­woh­ne­r*in­nen spiegeln das gesamte alternative Spektrum von radikal bis verpeilt wider: Viele sind Hand­wer­ke­r*in­nen und Künstler*innen, es finden sich unter ihnen aber ebenso An­wäl­t*in­nen wie auch Menschen, die sich in den Normen der Gesellschaft nur schwer zurechtfinden. Einige Wagenplätze bieten Kleinkunst, Konzerte und günstiges Essen für alle an, andere schotten sich eher ab. Auf vielen Plätzen leben auch Eltern mit Kindern.

Die meisten Wagenplätze sind als Verein organisiert und zahlen Miete, Wasser und Strom. Trotzdem bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone und hangeln sich oft nur von einer Duldung seitens des jeweils zuständigen Bezirksamts zur nächsten.

Dabei könnten sie ein alternatives Zukunftsmodell sein in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird. Die „Wagenkunst“ teilt sich das Gelände mit einem weiteren kleinen Wagenplatz, den „Mollies“, zusammen leben hier 15 bis 20 Menschen. Sie haben das Gelände von der Kulturstätte Rummelsbucht gemietet, die ihre Pforten soeben zu ihrer vermutlich allerletzten Sommersaison geöffnet hat.

Ein bisschen wirkt der Wagenplatz zwischen den Baustellen wie das berühmte gallische Dorf. Hinten dem Zaun mit Eingangstor stehen einige umgebaute Lkws und Bauwägen, links das aus Holz gebaute Wohnzimmer. Durch die Fenster kann man eine Sitzecke und eine Gitarre sehen, es sieht sehr gemütlich aus. Davor sitzen Maki und Sina, es ist bewölkt, die Stimmung ist gedrückt: In diesem Herbst soll für die beiden Wagenplätze Schluss sein. „Es war hier eigentlich ein ziemlich idyllischer Ort“, sagt Maki, der über sieben Jahre auf dem Platz verbracht hat, „aber das ist vorbei.“

„Ich habe mich nie ganz dazugehörig gefühlt in der Gesellschaft, nie gut genug“, ergänzt Sina, die seit fünf Jahren hier in ihrem selbst gezimmerten Haus wohnt, „und hier hat sich das enorm verbessert. Der Wagenplatz ist ein Ort, an dem Menschen, die nicht hundert Prozent den gewollten Normen entsprechen, so sein können, wie sie wollen.“ Aber es sei „schon krass mit anzusehen, wie viel jetzt abgerissen worden ist. Auch dass das Camp nebenan weg ist, ist krass.“ Damit meint sie das große Obdachlosencamp, das im Februar in einer umstrittenen Aktion bei Eiseskälte geräumt worden ist. „Es fühlt sich zunehmend nach dem Ende an.“

Dabei war von vornherein klar gewesen, dass ihr Aufenthalt an der Rummelsburger Bucht befristet ist. Das Gelände gehört dem berüchtigten Immobilienhändler Padovicz und ist Teil des Bebauungsplans Ostkreuz. Seit Langem sucht die Be­woh­ne­r*in­nen der „Wagenkunst Rummelsburg“ eine Ausweichfläche, vor etwa zwei Jahren hätten sie bereits ausziehen sollen, der Termin ist dann aber immer wieder verschoben worden. „Emotionale Achterbahnen“ nennt Sina das: „Keine Planungssicherheit zu haben, das hat schon alle hier ganz schön belastet“, sagt sie. „Immer wieder Sorge zu haben, dass man jetzt wieder ohne Zuhause dastehen könnte und noch nichts gefunden hat.“

Planungssicherheit würden sich auch die Be­woh­ne­r*in­nen vom Ratiborplatz wünschen, die seit über 20 Jahren auf einem 1.200 qm kleinen Gelände am Kreuzberger „Dreiländereck“ leben, eingezwängt zwischen Ratiborstraße, Gewerbehöfen und Landwehrkanal.

Es ist sehr grün und sehr ruhig hier, nur ein Spatz schimpft im Gebüsch. An den Tischtennisplatten 30 Meter weiter kämpfen Sports­freun­d*in­nen unermüdlich um ihre persönliche Meisterschaft. Auf einer selbst gebauten Aussichtsplattform sitzt Marc und späht hinter dicken Brillengläsern ins grüne Dickicht. „Wir sind eine gelebte Alternative zum Hamsterrad“, sagt der Mitbegründer der Ratibor, der eigentlich anders heißt. „Natürlich gehen auch wir arbeiten, zahlen Steuern und sind Teil der gesellschaftlichen Verwertungslogik. Aber wir zeigen auch einen Weg raus aus dem Kampf um völlig überhöhte Mietpreise, aus der Spekulation mit Wohnraum.“

Nachdem sie 1999 eine Freifläche in Friedrichshain besetzt hatten, haben die Be­woh­ne­r*in­nen ein Jahr darauf dieses Gelände gepachtet. Man würde den Wagenplatz von außen kaum wahrnehmen, wäre da nicht eine große Infotafel.

Dabei könnten die Wagenplätze ein alternatives Zukunftsmodell sein in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird

Denn seit mittlerweile fünf Jahren wird über den Fortbestand der Ratibor verhandelt und noch immer gibt es keine Lösung. Die Lage ist kompliziert: Das Gelände, auf dem sich der Wagenplatz, ein Biergarten und einige Handwerksbetriebe befinden, ist Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima).

Vor fünf Jahren wurde das Areal für den Bau von modularen Geflüchtetenunterkünften, sogenannten MUF, ausgewiesen. Seitdem verhandeln die Initiativen gemeinsam als Genossenschaft mit Senat und Bezirk über die Modalitäten, die es ihnen erlauben, zu bleiben, ohne Wohnungen für Geflüchtete zu verhindern.

Zunächst seien die Verhandlungen mit Bezirk und Berliner Immobilienmanagement (BIM) gut gelaufen, es gab einen Lösungsvorschlag, so Marc: „Auf dem Wagenplatzgelände würde diese Unterkunft für Geflüchtete gebaut werden, wir würden dafür ein paar hundert Meter weiter auf den Rest des Geländes ziehen, die Handwerksbetriebe etwas zusammenrücken und für uns wäre dann ein ähnlich großes Gelände da, wie wir es hier haben.“

Ein Mietvertrag war im Gespräch – aber dann war Funkstille, anderthalb Jahre lang. Im Juni 2020 erfahren die Bewohner*innen, dass der Senat für Finanzen nach kurzer Nutzung als Unterkunft für Geflüchtete auf dem Gelände anteilig hochpreisiges Wohnen durchsetzen wolle, weil sich nur so der Neubau des MUF rechnen würde.

„Natürlich muss Deutschland Menschen aufnehmen“, findet Marc. „Auf dieser Basis haben wir uns als linkes Projekt bereit erklärt, zusammenzurutschen und Platz zu schaffen; und jetzt kommen sie um die Ecke mit ihrem hochpreisigen Wohnen. Da kommen wir uns schon verarscht vor.“ Es gibt zudem Kritik an einer befürchteten Gentrifizierung, fehlenden Sozialwohnungen und einem undemokratischen Bauverfahren.

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