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Karlsruher Beschluss zum KlimaschutzFreiheit statt Fossilismus!

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz ist ein Paukenschlag. Es ergreift Partei für künftige Generationen.

Fridays-for-Future: Klimastreik am 20. September 2019 in Berlin Foto: Karsten Thielker

Politik ist das, was möglich ist“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 20. September 2019, als sie das „Klimaschutzgesetz“ der Bundesregierung vorstellte. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sie korrigiert: Politik muss sein, was nötig ist. In dieser Formel lässt sich der „epochale“ Beschluss der obersten Richter zusammenfassen. Es ist eine Entscheidung, die Deutschland nachhaltig verändern wird.

Denn nicht nur wird die Regierung vom Verfassungsgericht ordentlich abgewatscht. Das passiert immer mal wieder und gehört zur Gewaltenteilung. Aber hier ist das Gericht, das sich in der Vergangenheit geweigert hat, grundlegende Klimafragen zu entscheiden, über seinen Schatten gesprungen. Es hat nicht wie bisher der Politik einen möglichst großen Spielraum eingeräumt, um sich nur zu melden, wenn Regierung und Parlament untätig bleiben.

Nein, Karlsruhe hat sich richtig engagiert: Das Gericht hat die Anforderungen des Klimaschutzgesetzes im Detail kritisiert, den umstrittenen „Budget-Ansatz“ für die Berechnung der CO2-Emissionen zum Maßstab geadelt und der aktuell herrschenden Generation verboten, sich weiter auf Kosten ihrer Kinder und Enkel zu amüsieren. Vor allem aber haben Deutschlands oberste RichterInnen die Klimakrise als eine Frage der Freiheit definiert: Jede Tonne CO2, die wir heute ausstoßen, schränkt den „CO2-relevanten Freiheitsgebrauch“ der künftigen Generationen ein. Von diesem Konzept werden wir noch viel hören.

Das ist ein großer Erfolg für die Klimabewegung, die sich seit Jahren auch auf den juristischen Weg begeben hat. Es zeigt, wie viel Wirkung eine Allianz aus Öko-Verbänden, Fridays for Future, Initiativen und engagierten JuristInnen haben kann, die den langen Marsch durch die Gerichtssäle antreten. Es zeigt auch, wie gut sich das oberste deutsche Gericht in einer aktuellen Grundsatzfrage positionieren kann. Vielleicht debattieren ja auch die Roten Roben mit ihren Kindern am Frühstückstisch über das Schuleschwänzen am Freitag.

Eine Gesetz wie Pfusch am Bau

Für die Politik ist die Entscheidung Gegenwind und Rückenwind zugleich. Natürlich ist es nicht angenehm, sich als amtierende MinisterIn vorwerfen zu lassen, man habe Pfusch am Bau abgeliefert und ein Gesetz sei verfassungswidrig. Aber insgesamt stärkt der Beschluss der Politik den Rücken: Denn niemand hat nun noch Argumente gegen eine Verschärfung der Klimaziele und eine Verlängerung der Maßnahmen über 2030 hinaus.

Nötig wird ein konsequentes Schrauben am CO2-Preis, am Emissionshandel, an einem früheren Kohleausstieg, ein Verbot für Verbrennungsmotoren und andere Maßnahmen. Wer sich davor fürchtete, zu viel Klimaschutz zu machen, konnte sich bisher hinter der EU verstecken, deren höhere Ziele umzusetzen sind. Jetzt hat er auch noch das Bundesverfassungsgericht im Nacken und im Rücken, wenn er mehr fordert.

Das aber muss der entscheidende Spieler in dieser Frage eben auch wollen. Und der heißt Armin Laschet. Der ramponierte CDU-Chef und Spitzenkandidat hat sich bisher beim Thema Klimapolitik tatsächlich wie „Helmut Kohl 2.0“ verhalten: Bloß nicht zu viel Klimaschutz, Umweltpolitik kostet Geld und Jobs, das war sein Mantra, vielleicht auch, um sich vom schlagartig ergrünten CSU-Chef Markus Söder abzusetzen.

Laschet hat ein „Modernisierungsjahrzehnt“ ausgerufen, aber wühlt beim Thema Wirtschaftspolitik weiter in der Mottenkiste der Vergangenheit. Dass Klimaschutz Modernisierung bedeuten kann, grünen Wohlstand, Innovation und Umdenken, das ist bei weiten Teilen der CDU/CSU noch nicht angekommen. Und trotzdem fragen sie sich, warum die WählerInnen ihnen weglaufen.

Karlsruhe weist auch Laschet die Richtung

Da hilft der Spruch aus Karlsruhe. Denn er bindet jede Regierung, die Armin Laschet führen will. Den Grünen als möglichen Regierungspartnern wird er nützen, aber nicht allzu sehr. Denn er bestätigt nur, was sie als bislang einzige Partei mit dem Klimaschutz-Gen ohnehin tagein, tagaus sagen. Aber die Union könnte dieser Donnerschlag aus Karlsruhe aufwecken.

Welcher Kanzler will sich schon höchstrichterlich vorwerfen lassen, den „nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast zu überlassen“ und deren Leben „umfassenden Freiheitseinbußen auszusetzen“? Die Erzählung von „Freiheit“ ist nirgends so wirkmächtig wie im konservativen und liberalen Lager. Wenn die CDU/CSU klug und machtorientiert genug ist, definiert sie nach diesem Richterspruch ihren alten Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ in Zukunft ganz neu. Vielleicht so: Freiheit statt Fossilismus!

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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15 Kommentare

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  • Haben auch alle mitbekommen, wie Altmeier sagte



    " ... daran waren viele Fraktionen und Parteien beteiligt ..."

    und er damit die Verantwortung von Sich und Seiner Regierungspartei

    an Andere verteilt,

    und ebenso Scholz sich mit (sinngemäss) " ... ich habe wahrgenommen ... "

    Sich und Seine Regierungspartei in die Passivität eines Zuschauers setzte ?

    Also "völlige Unverwantwortlichkeit der Regierung"

    inscenierten !!

  • Ich bin ja durchaus ein Freund des gepflegten Neologismus, aber "Fossilismus"? Echt jetzt? Schon klar, "Freiheit statt..." usw., aber trotzdem...nö.

  • Ein gutes BverfG Urteil!



    Es erinnert in seinem Kern an ein 40 Jahre altes Wahlplakat der Grünen: 'Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt'



    Ob das Urteil eine politische Kurskorrektur bringen wird, wage ich aber zu bezweifeln. Es gibt keine Partei mehr, die Politik an Notwendigkeiten und nicht nur an das Machbare ausrichten will. So schnell wird die Jahrzehnte andauernde gesellschaftliche Konditionierung nicht überwunden werden, dass neue Technologien und der menschliche Erfindergeist die Zukunft retten werden.



    Neue Technologien haben unser Leben immer nur bequemer und schöner werden lassen, ohne auf die langfristigen Folgen achten zu müssen. Es wird schon eine neue Technologie erfunden werden, mit denen diese dann behoben werden können. Ein intellektuelles Perpetuum mobile, dass aktuell angetrieben wird von der H2-Technologie, E-Mobilität, Digitalisierung,...



    Wozu auf schwere, leistungsstarke und große Autos verzichten? Man kann ja wählen ob 'umweltfreundlicher' Kat oder 'klimafreundliches' E-Mobile, oder einen CO2 Ablassbrief für die Urlaubsreise kaufen,... Man ist ja Umwelt- und KlimaschützerIn, weil man den Müll trennt.



    In keiner politischen Stellungnahme zu dem Urteil war etwas zu hören, dass auch nur den Hauch anders geklungen hätte wie vor dem Urteil. Nur m e h r von etwas (H2, Wind, Sonne...) aber kein Hinweis darauf, was w e n i g e r werden wird. Nichts von Energie sparen, nichts von Rückbau, ... Und schon gar nicht von Verzicht oder 'small is beautifull'.



    Es ist schwierig, sich aus einem intellektuellen Perpetuum mobile zu lösen, dass seit Generationen in unserer Gesellschaft propagiert wird.

    • @Drabiniok Dieter:

      Stimme Ihnen da zu.



      "Es ist schwierig, sich aus einem intellektuellen Perpetuum mobile zu lösen, dass seit Generationen in unserer Gesellschaft propagiert wird."



      Ja leider. Das spiegelt sich ja auch in der Praxis und im Alltag wieder und ist sichtbar u.a. am Straßenverkehr, in den Einkaufswägen, an angenommenen Paketen, (vor der Pandemie) in Shopping Malls ... oder in Statistiken (wie bspw. zu Fleischkonsum, Flugreisen).

  • Ich gehe Mal davon aus, dass das "Schema" der 'Klimapolitik" weiter eine politische Entscheidung bleibt. Da der"Budget"-Ansatz wissenschaftlich unsinnig ist, kann man diesen sicher ganz verlassen. Technischer Fortschritt wird von Ingenieuren gemacht und nicht von Lobbyisten wie "Fridays for Future" oder Juristen. Ich halte das Thema "Klimaschutz" weiterhin für grotesk überhöht und für Ablenkung von wirklichen Problemen. Wenn Laschet da rational und bürgerfreundlich herangeht, begrüße ich das!

  • Zweiter Gedanke:

    Der Bezug auf die Generationen ist falsch und gefährlich.

    Es ist keine Generationenfrage. Die großen Teilungen in der Gesellschaft sind andere. Die Wichtigste zwischen Arm und Reich. Bei den Reichen haben die Jungen längst einen CO2 Abdruck, den die älteren der Armen nie erreichen.

    In der Hinsicht hat das BVG ein falsches Zeichen gesetzt.

    • @fly:

      Warten Sie ab bis Bundestagwahlen..



      Frau Baerbock wird schaffen, die neue Bundeskanzlerin zu werden.

      Viele korrekte Entscheidungen über Grüne Zukunft von Deutschland werden danach getroffen.

      Wir müssen mehr CO2 Stuer bezahlen, die Aufbau zu ermöglichen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    „nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast zu überlassen“

    Betrifft ja dann vermutlich auch Staatsschulden, die wir den nachfolgenden Generationen aufbürden und damit ihre Freiheit einschränken.

    • @02854 (Profil gelöscht):

      "Betrifft ja dann vermutlich auch Staatsschulden..."



      Man könnte ja auch mal mit Maßnahmen anfangen, die den Staat nichts kosten. Z.B.: Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen. Abschaffung der Dieselsubvention. Gewichtslimit für neue PKW (siehe Frankreich, dort aber zu lasch). Abschaffung von Ausnahmen von der EEG-Umlage für "energieintensive" Betriebe. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit...

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Sie meinen Staatschuiden, wenn zum einen durch Klimaerhitzung sich häufende Extremwetterlagen Ernteausfälle, Sturmschäden, Wasserschäden ... usw. verursachen und zum zweiten Maßnahmen bspw. aufgrund steigenden Meeresspiegels ergriffen werden müssen, womöglich Besitz an Küsten und Inseln aufgegeben und kompensiert werden müssen?

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Nein, BVG hat neulich entschieden , dass EU- Aufbau-Fonds legitim sind..



      Gegen Kapitalisten/Liberalen Beschwerde..

      Hunderte Milliarden Euros für EU Länder, für die Deutschland hauptsächlich haftet.



      Wir sind ein reiches Land, müssen Italien, Griechenland und Spanien helfen.

      So ist es Europäische Solidärität.

  • "Eine Gesetz wie Pfusch am Bau"

    Das ist eine Beleidigung der Baubranche.

    • @Münchner:

      Helfe gerne!

      “Schande der Maurer!“ Get it? Fein.



      Wennse das lieber hören?!

      unterm——- & Jahre später —- 🤫 -



      Gräbste irgendwo im Garten!



      & Däh! - 😱 -



      Außer in Kölle schon mal - stammt der Bauschutt - nich vonnen ollen Römern!

  • "Welcher Kanzler will sich schon höchstrichterlich vorwerfen lassen, den „nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast zu überlassen“ und deren Leben „umfassenden Freiheitseinbußen auszusetzen“?"

    Klappt doch bei der aktuellen Kanzlerin auch ganz gut.

  • Gute , klare Ausfarbeitung.

    Nur manche Interpretation ist doch optimistisch, oder individulistisch gefärbt.

    "..der aktuell herrschenden Generation verboten, sich weiter auf Kosten ihrer Kinder und Enkel zu amüsieren... "

    Diese Generation, so es sowas gibt, kann aber doch bis mindestens 2030 weiter alles machen, wie bisher. Deren Kinder sind übrigens mindestens 30 bis 40. Und die machen das Gleiche: Urlaubsflüge, Eigenheim, SUV. Weil es so schön ist für die Enkel.

    Das Problem wird die soziale Komponente sein. Das BVG verlangt konkretere Pläne für den Zeitraum ab 2030. Diese Einsparungen werden kosten, viel kosten. Die Reicheren können sie sich vielleicht leisten, die Ärmeren nicht.

    Wie nimmt man die Individuen mit?



    Einem vagen Einsparziel stimmt die Mehrheit zu. Aber wie sieht es aus, wenn die Einsparung konkret wird? Dann wird jede/r für seine vermeintlichen Freiheitrechte kämpfen. Von den Kumpeln in der letzten Steinkohlezeche hat keiner gesagt, gut, dass die Förderung endlich beendet wird. Nein, die haben es alle bedauert und auf die da oben geschoben. Das waren nur ein paar Menschen. Aber wenn es heisst, es ist Schluss mit dem motorisierten Individualverkehr, weil eAutos nicht die Lösung sind.... und obwohl in den Nachbarländern Leute noch herumfahren, dann sieht die Stimmung anders aus.