Bundesverfassungsgericht und EU: Politisch blind

Karlsruhe stoppt das Ja der Bundesregierung zu den 750 Milliarden Euro Coronahilfe in Europa. Dabei sind die bitter nötig.

Eine Statue mit verbundenen Augen, in der Hand hält Justitia eine Waage.

Es gehört auch zum Rechtsideal, politische Folgen zu sehen Foto: dpa

Es ist ein seltsamer Vorgang: Das Bundesverfassungsgericht hat vorläufig verhindert, dass Deutschland das europäische Coronahilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro ratifiziert. Die Verfassungsrichter haben zwar kein endgültiges Urteil gefällt, sondern nur einen „Hängebeschluss“ erlassen. Es soll Zeit gewonnen werden, damit die Richter in Ruhe klären können, ob das Hilfspaket dem Grundgesetz widerspricht.

Trotzdem ist dieser Hängebeschluss ein Skandal. Denn es ist offensichtlich, dass das EU-Hilfpaket die Grundrechte der Deutschen nirgendwo einschränkt oder tangiert. Es handelt sich um eine wirtschaftspolitische Entscheidung, die von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung abgesegnet wurde. Mehr Demokratie geht gar nicht.

Auch das Bundesverfassungsgericht dürfte am Ende erkennen, dass das 750-Milliarden-Programm nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Doch der Schaden ist bereits entstanden. Indem sich die Verfassungsrichter überhaupt mit dem Coronahilfspaket befassen, wird das fatale Signal ausgesandt, dass EU-Beschlüsse stets mit Misstrauen zu betrachten seien. Die Kläger rund um den AfD-Gründer Bernd Lucke haben ihr Ziel bereits erreicht.

Die Verfassungsrichter setzen damit eine Serie problematischer EU-Entscheidungen fort. Im Mai 2020 kam es zu einem besonders peinlichen Urteil. Die Richter hielten es damals für teilweise „verfassungswidrig“, dass die EZB ab 2015 Staatsanleihen aufgekauft hatte, um die Zinsen nach unten zu drücken. Ohne diese EZB-Maßnahmen wäre der Euro kollabiert.

Die Verfassungsrichter hätten also sehr gut begründen müssen, warum diese Interventionen angeblich verfassungswidrig sein sollen. Doch es kam nur die lapidare Behauptung, dass die EZB ihre Entscheidungen nicht ausreichend begründet hätte. Was noch nicht einmal stimmte.

Die Karlsruher Richter sind von ihrer eigenen Eitelkeit getrieben. Sie wollen ganz wichtig sein – und sind dafür gern bereit, die EU zu beschädigen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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