piwik no script img

Umgang mit RassismusAus Hanau nichts gelernt

Kommentar von Mark Terkessidis

Selbst nach Hanau und dem NSU haben sich die Sicherheitsbehörden nicht konsequent entwickelt. Doch gegen strukturellen Rassismus helfen nur neue Strukturen.

Gedenken an die Opfer auf dem Marktplatz in Hanau Foto: rheinmainfoto/imago

W ir erleben im Gefolge des Anschlags von Hanau ein regelrechtes Déjà-vu. Die Angehörigen der Opfer klagen über Verdächtigungen und unsensible Behandlung, die Aufklärung ist voller Lücken und Unklarheiten, und die Bekämpfung von Rassismus wirkt alles andere als konsequent. Haben wir diese Dinge nach dem Bekanntwerden der Mordserie des NSU nicht schon mal gehört?

Sicher ist es ein Fortschritt – zumal gegenüber den Anschlägen von Mölln oder Solingen in den 1990er Jahren – dass die Stimmen der Betroffenen eine große Präsenz haben: Deren Unzufriedenheit und die darüber hinausgehende Unzufriedenheit vieler „Schwarzköpfe“ mit den ausbleibenden Konsequenzen ist deutlich spürbar, wenn etwa der Überlebende des Anschlags von Hanau, Piter Minnemann, von „strukturellem Rassismus“ spricht. Genau diese Bezeichnung markiert den Unterschied zu den Worten der Kanzlerin, die zwar keine Ambivalenzen beim Thema zeigt, aber von Rassismus als einem „Gift“ spricht. Wer hat „uns“ dieses Gift verabreicht? In diesem Bild ist „unsere“ Gesellschaft kerngesund, die angebliche Krankheit kommt von außen.

Gehören die Täter von Halle oder Hanau nicht zur Gesellschaft? Haben sie keine Vorbilder, Gleichgesinnten, Eltern? Bekommen sie nicht Legitimation von einem Innenminister, der nach rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz sein Verständnis für die Angreifer äußert und die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ bezeichnet?

Frantz Fanon hat einmal gesagt, Rassismus komme nicht einfach so vor – eine Gesellschaft sei entweder rassistisch oder sie sei es nicht. Auch der Anschlag von Hanau ist nicht unvermittelt geschehen. Seit 2015 gab es in Serie Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten, die von den Sicherheitsbehörden zu keinem Zeitpunkt als das betrachtet wurden, was sie waren: Rechtsterrorismus. In der radikalen und autoritär-populistischen Rechten grassiert die Idee von dem „großen Austausch“, die besagt, die abgehobenen Eliten der westlichen Länder würden durch Einwanderung bewusst eine Veränderung der Bevölkerung herbeiführen. Diese Leute betrachten sich selbst als Minderheit, und sehen die Gewalt als legitimen Widerstand. Insofern war klar, dass eine große Gefahr von teilweise auch psychisch belasteten Personen ausgeht, die sich nach dem Vorbild etwa von Anders Breivik ideologisch bewaffnen und dann losschlagen. Beim Islamismus haben sich die Behörden auf dieses Szenario eingerichtet und so Anschläge verhindert – warum also hier nicht?.

Märchen von der Ausländerkriminalität

Und was ist in und nach Hanau passiert? Aus den Berichten der Angehörigen geht hervor, dass die Polizeibehörden aus den zahlreichen NSU-Berichten nicht die geringste Konsequenz gezogen haben. Die erste Annahme am Tatort war, es handele sich um eine Art Showdown im Rahmen von „organisierter Ausländerkriminalität“. Das passte auch zu den vorangehenden, bundesweit und regelmäßig stattfindenden Razzien in Shisha-Bars, die nach eigenen Aussagen der Polizei ohnehin nur dazu dienten, das subjektive Sicherheitsempfinden „der Bevölkerung“ zu stärken. Der Verfassungsschutz hat erst seit zwei Jahren einen Präsidenten, der nicht mit der AfD sympathisiert: In Sachen Rechtsterrorismus hinkt die Einrichtung immer noch gnadenlos hinterher.

Die Sicherheitsbehörden haben weder im Gefolge von NSU noch von Hanau eine konsequente Organisationsentwicklung durchlaufen, um sich auf die Vielheit der Gesellschaft einzustellen. Es wird nicht einmal verstanden, dass „Profiling“ nach Hautfarbe oder ethnischen Kriterien nicht nur falsch, sondern auch für die eigene Arbeit völlig kontraproduktiv ist.

Immerhin hat es einen Kabinettsausschuss zu Rassismus gegeben – könnte man erwidern – und der hat ja auch Maßnahmen vorgestellt. Der im November 2020 veröffentlichte „Katalog“ ist allerdings ein Witz. Die 89 Punkte klingen nach viel, sind aber nur eine Auflistung von kaum zusammenhängenden Einzelvorhaben, Dabei wird sogar die „Stärkung von Integrationsmaßnahmen mit Sportbezug“ als Rassismusbekämpfung verkauft. Solche Listen sind so bekannt wie ihre notorische Unwirksamkeit.

Geld ist da, Konzepte aber nicht

Anstatt allerlei zeitlich befristete Maßnahmen anzustoßen, in denen sich wieder aktive Leute schlecht bezahlt aufreiben, sollte es um eine begrifflich durchdachte, systematische und langfristige Strategie gehen. Das würde „Vielheitspläne“ ebenso beinhalten wie das „Mainstreamen“ von Gesetzestexten im Hinblick auf rassistische Effekte; die Realisierung von Chancengleichheit im Bildungsbetrieb so wie die Weiterentwicklung des Gleichbehandlungs-Gesetzes zu einem wirksamen Werkzeug. Wenn Rassismus „strukturell“ ist, dann müssen auch Strukturen verändert oder neu geschaffen werden.

Das Geld dafür ist ja da – es wird nur unwirksam ausgegeben. 13-mal taucht in dem Maßnahmenkatalog das Wort Forschung auf. Aber was soll die Forschung belegen, was wir noch nicht wissen? Gibt es nicht seit Jahrzehnten eine Rassismusforschung hierzulande und zahllose Berichte zum Thema, die gar nicht zur Kenntnis genommen werden? Mittlerweile existiert eine ganze Industrie von Trainings und Beratungen gegen Rassismus, die vor allem lehren, welche Sprache die richtige ist.

Das ist letztlich eine neue Mittelschichtsgymnastik, die am Ende dazu führt, dass vor allem die Gebildeten „achtsam“ sind, während sie gleichzeitig ihre Kinder vor „Problemschulen“ bewahren, um Shisha-Bars einen großen Bogen machen oder dem Fensterputzer arabischer Herkunft in der eigenen Wohnung nicht von der Seite weichen. Fanon hatte ganz recht, Rassismus ist eins der großen Ungleichheitsverhältnisse der Moderne. Symbolpolitik, Sozialtechnologie und die Vermeidung des N-Worts sind sicher nicht genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Produktion: DLF Kultur/WDR 2021



    www1.wdr.de/mediat...von-hanau-102.html



    Am 19. Februar 2020 hat sich Jaweid Gholam zum Fußballgucken in einer Bar verabredet. Aber er entscheidet sich spontan um und bleibt zu Hause. Sein Freund Ferhat Unvar wird den Abend in der Bar nicht überleben.



    Ferhat Unvar wurde aus rassistischen Motiven ermordet. Genauso wie Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu. Anschließend tötete der Attentäter seine Mutter und sich selbst in seinem Elternhaus. Nur wenige Meter vom Jugendzentrum entfernt. Die Radiodokumentation rekonstruiert mit Angehörigen und Überlebenden den Tag des Anschlags und zeigt auf, wie Alltagsrassismus, Segregation und kaum überwindbare Klassenunterschiede den Alltag in der Hanauer Weststadt prägen.

  • Auch in den USA ist vor allem zum Beispiel ,,white flight" das Problem, also der latente oder offensichtliche Rassismus der ,,weißen" Mittel- bis Oberschicht, der zu räumlicher Segregation führt, wie kürzliche in LeMondeDiplomatique dargestellt. (,,Flucht vor den Fleißigen", R.A. Keiser, LMd 10/20) Und auch Leon Poliakov hat vor ca einem halben Jahrhundert festgestellt, dass es vor allem die ,,weißen" ,,Eliten" sind, den den Rassismus und Antisemitismus befördern und zu verantworten haben. Vielleicht in einer verzweifelten Suche nach Identität/ ,,Vaterfigur" etc. Aber trotzdem eben rassistisch, nationalsozialistisch, you name it. m.tagesspiegel.de/...-auf/26930038.html

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Es gibt keine "nicht-rassistische" Gesellschaft ... es gibt nur Menschen, die egal welcher Hauttönung oder sonstiger körperlicher Merkmale rassistisch oder nichtrassistisch handeln - im Übrigen gibt es keine schuldfreien/"vollkommen" richtig/"gut"/moralisch/ethisch handelnden Menschen.

  • Die Schwachstelle der Sicherheitsbehörden war in diesem Fall doch auch wieder die mangelnde Vernetzung. Die Psychose des Täters war schon seit 20 Jahren aktenkundig, er hat wirre Anzeigen gestellt, wurde vom Gesundheitsamt wegen paranoider Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen, hatte Hausverbot in der Uni, Verfahren wegen Drogenschmuggel und Brandstiftung etc.

    Trotzdem konnte er sich Waffen legal besorgen, in den Schützenverein gehen, zum Kampftraining in die Slowakei, und keiner hat was mitbekommen. Rassismus in Behörden ist sicher auch ein Thema, aber in diesem Fall nicht das Hauptproblem.

    • 9G
      91655 (Profil gelöscht)
      @Descartes:

      Grundsätzlich richtig, aber die Alternative stammt aus dem Bereich "Quadratur des Kreises" ...

      Sollen wir also Datenschutz, insbesondere über sensible Daten wie Therapien usw. aushebeln?

      Sollen wir es den Polizeibeamt*innen noch einfacher machen, in Daten von Bürgern abfragen zu starten? Oder dem Geheimdienst?

      Reisekontrollen für Bürger, die in die Slowakei reisen?

      Ich habe da keine Antwort drauf ... aber den Blockwart, der auch die Internet-Beiträge der Mieter und Bewohner einsehen kann, um Meldung zu machen ... das wird im Zweifel niemals eine Linke, höchstens stalinistische Forderung werden.

    • 1G
      11758 (Profil gelöscht)
      @Descartes:

      Sehe ich auch so.

  • "Deshalb die ganze Polizei unter Generalverdacht zu stellen ..."

    @WONNEDROPPEN: ich weiss nicht, ob absichtlich oder unabsichtlich. Aber "strukturelles Problem" mit "Pauschalisierung" (in dem von Ihnen zitierten Text "Generalverdacht") gleichzusetzen ist entweder Dummheit, oder Bosheit.

    Oder beides, schliesst sich ja nicht gegenseitig aus.

    Jedenfalls signalisiert das für mich den Unwillen, das Problem anzugehen. Nicht anders als bei Seehofer.

  • Eine Gesellschaft ist entweder rassistisch oder sie ist es nicht ? D.h. jede Ausprägung von Rassismus stellt alles in Frage ? Das ist sehr viel Macht. Für wen auch immer.

  • www.bento.de/polit...-9a0d-eae866283807



    Schwarzer bei der Polizei:



    "Deshalb die ganze Polizei unter Generalverdacht zu stellen, halte ich für falsch. Ich hab auch nie erlebt, dass mich Polizisten bei Kontrollen dumm angemacht haben ... Einen strukturellen Rassismus sehe ich bei der Polizei deshalb trotzdem nicht. Rechtsstaatlichkeit wird dort groß geschrieben."

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Nährt der Antirassismus den Rassismus?

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Am besten, man legt die Hände ins Schößchen und schweigt stille, nicht dass sich noch ein Rassist durch Widerspruch zu Rassismus provoziert fühlt. Merkense selber?

  • @CAROLUSMAGNUS Was wird hier wofür politisch instrumentalisiert?

    Sie sprechen etwas undeutlich.

    Mag ja sein, dass der Täter krank war. Das war vermutlich der Attentäter von Christchurch und der von Utøya auch.

    Wollen Sie etwa behaupten, ihre Taten hätten deshalb nichs mit der aktuellen Stimmung in der Gesellschaft zu tun? Nichts mit den kruden Theorien von Renaud Camus oder der Hetze von Höcke & Co? Nichts mit den dummen Sprüchen Seehofers? Nichts mit einem tiefliegenden Rassismus, der unsere Gesellschaft -- und unsere Institutionen unbemerkt durchsetzt?

    Wachen Sie auf! Schauen Sie hin!

    • @tomás zerolo:

      Es gibt dumme Sprüche von allen Seiten. Klar können sie nur die Konservativen und Rechten rauspicken. Nennt man selektive Wahrnehmung.

      Stichwort "Vermieterschwein ershooten“ oder das reichste Prozent erschießen. Nicht mal hier im Forum muss man lange nach Gewaltphantasien und -sympathien suchen.

      Und insbesondere der Hanautäter war so irre wies nur ging. Er wäre glasklar schuldunfähig gesprochen worden. Psychisch krank.

  • Ein sehr gut geschriebener Artikel, dem ich nur vollstens zustimmen kann.



    Was leider komplett egal ist, dadurch wird sich nichts ändern.

    • @Ha-Jo:

      Dem ersten Satz stimme ich unbedingt zu, wahrlich, Tacheles geschrieben!



      Dem zweiten stimme ich zähneknirschend auch zu. Leider. Denn die im Beitrag aufgeworfene Frage: "Beim Islamismus haben sich die Behörden auf dieses Szenario eingerichtet und so Anschläge verhindert – warum also hier nicht?" sollte mensch ja damit beantworten, dass vor 75 Jahren keine Behördenentnazifizierung stattfand - eher das Gegenteil - und dies selbstverständlich bis heute entsprechende Blüten treibt.

  • Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

    Die Moderation

    • 9G
      91655 (Profil gelöscht)
      @CarolusMagnus:

      Ihr Beitrag beweist die Kernaussagen des Artikels leider sehr!

      Pfui!

    • @CarolusMagnus:

      Frei nach Retrogott: Meinungsfreiheit ist mehr Wert, als Carolusmagnus wertlose Meinung.