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Moskau und der WestenSputnik gegen Corona und dicke Luft

Kommentar von Barbara Oertel

Mit der Ausweisung dreier Topdiplomaten setzt Moskau weiter auf Provokation. Gemeinsame Lösungen für die Pandemie könnten die Eiszeit beenden.

Geopolitik mit Sputnik? Lieferung des russischen Impfstoffes im Iran Foto: WANA/reuters

R ussland gibt wieder Rätsel auf. Was treibt den Kreml um? Ist es die Hybris eigener Stärke und Unbesiegbarkeit? Die Lust an der Konfrontation oder nur daran, die andere Seite genüsslich vorzuführen? Tatsache ist: Die Beziehungen zwischen Moskau und der westlichen Welt sind auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, und man wundert sich, dass es immer noch weiter in den Keller geht.

Diplomaten des Landes zu verweisen, gehört im internationalen Politikbetrieb zur gängigen Praxis und das mittlerweile leider auch zwischen Russland und der Europäischen Union. Doch was sich am vergangenen Freitag während des Besuchs des EU-Außenbeauftragten in Moskau abspielte, war ein Affront sondergleichen.

Noch während des Gesprächs von Josep Borrell mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow wurden drei westliche Botschaftsangehörige ausgewiesen, da sie an einer Kundgebung für den inhaftierten Kremlkritiker Alexei Nawalny teilgenommen haben sollen. Eindeutiger hätte der Kreml seine Geringschätzung nicht demonstrieren können. Besonders bizarr daran ist, dass Moskau dieses Treffen selbst forciert hatte.

Die Retourkutsche dreier EU-Staaten, darunter auch Deutschlands, ebenfalls russische Diplomaten nach Hause zu schicken, kann jetzt nicht die einzige Antwort bleiben. Und genau da liegt das Problem. Die EU hat nach wie vor keine konsistente Strategie gegenüber der einstigen Supermacht. Schon liegt wieder die Option auf dem Tisch, weitere Sanktionen gegen Vertraute aus dem Dunstkreis von Präsident Wladimir Putin zu verhängen.

Dieser Schritt wäre so hilf- wie wirkungslos. Denn neue Strafmaßnahmen werden weder Nawalny die Freiheit bringen noch Russland daran hindern, innere Angelegenheiten auch künftig auf seine Art zu regeln. Einmal abgesehen davon, dass sich auch die EU-Mitgliedstaaten selbst nicht einig darüber sind, wie das Gezerre über den Weiterbau von Nord Stream 2 zeigt. Und jetzt?

Die einzige Möglichkeit, überhaupt noch im Dialog zu bleiben, könnte sein, gemeinsame Antworten auf globale Herausforderungen zu suchen. Erinnert sei nur an die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA, wo sich Wladimir Putin und George W. Bush – wahrlich kein Dreamteam – plötzlich Seite an Seite im Kampf gegen den islamischen Terror wiederfanden. Jetzt heißt ein Feind Covid-19 und die russische „Wunderwaffe“ Sputnik V.

Auch wenn Litauens Regierungschefin Ingrida Šimonytė den Kauf des Impfstoffs ablehnt und den Kreml beschuldigt, mit der Spritze Geopolitik betreiben zu wollen: Zu testen, ob Sputnik mehr vermag, als gegen Krankheit und Tod zu immunisieren, wäre einen Versuch wert. Und dann wäre die Pandemie, anders als gedacht, vielleicht sogar eine Chance.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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15 Kommentare

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  • Weiß denn jemand der davon redet, was eigentlich diesen Herrn Nawalnyvorgeworfen wird?



    Ich weiß er ist Anwalt, hat in den USA studiert. Es geht um eine Veruntreuung, selbige wäre bei uns schon auch strafbar, ebenso wie ein verstoß gegen Bewährungsauflagen...

  • Die Beziehungen zwischen Russland und dem Rest der Welt ändern sich genauso, wie Russland selbst. Putin strebt in jeder Beziehung den Status Quo der UDSSR in der Zeit unter Breschnew an.

  • Russland könnte einfach mal den Impfstoff freigeben. Die EU hat bereits - obwohl die Impfstoffe später kamen - ein mehrfaches an Impfdosen produziert.

  • ..setzt Moskau weiter auf Provokationen.



    Vom letzten Krieg hat Russland fast fünf mal soviel unschuldige Opfer verziehen,



    wie Israel. Warum kann man das nicht vergleichbar bewerten. Die verwaisten Kinder von damals leben ja zu einem Teil noch. Wie kann das sein, daß man Konrad Adenauers kühne Auftritte bei der Wiederaufnahme der Gespräche, die Friedensbemühungen Willi Brandts, oder die Versprechungen die Gorbatschow gegeben wurden so aus dem Gedächtnis löscht.

  • Es gibt bis heute keine eindeutigen Beweise, dass der russische Vorwurf, die Diplomaten hätten an Demonstrationen teilgenommen, falsch ist. Und die Mär, dass der russische Impfstoff nicht unseren Zulassungsstandards entspricht, richtet sich wohl an die letzten Unaufgeklärten. In einer renommierten westlichen wissenschaftlichen Fachzeitschrift sind die Daten veröffnetlicht und von namhaften Wissenschaftlern positiv beurteilt worden. Nur die EMA will sich in provokanter Weise für die Zulassung viel Zeit nehmen.



    Der NATO-Westen tut alles, um Russlands Spuveränität zu attackieren und bewirkt genau das, was dann pharisäerhaft beklagt wird.



    Die antirussischen Propagandisten wären wesentlich glaubhafter, wenn sie z.B. nicht mit brutalen Diktaturen befreundet wären dort und keinerlei Sanktionen durchführen.



    Millionen Tote durch militärische Überfälle werden von NATO-Seite stets bagatellisiert und gut geheißen. Selbst wenn schwerste Kriegsverbrechen der USA geleakt werden, kommen nicht die Kriegsverbrecher vor Gericht, sondern diejenigen, wie Assange, die mitten in Europa sogar gefoltert werden.



    Solange die Türkei Mitglied der NATO ist und von der EU gepampert wird, bleibt der sogen. Wertewesten heuchlerisch und unglaubwürdig.



    Und die Beziehungen zu Russland? Dürfen die denn überhaupt gut sein? Gibt es da nicht sehr mächtige Einflussnehmer, die genau das nicht wollen?

  • "Zu testen, ob Sputnik mehr vermag, als gegen Krankheit und Tod zu immunisieren, wäre einen Versuch wert."

    Dazu würde gehören, dass Russland seine Rohdaten der 3. Testreihe endlich veröffentlicht und wissenschaftlich überprüfen lassen würde, was es nach wie vor nicht tut. Die Lancet-Veröffentlichung änderte leider nichts daran, diverse Ungereimtheiten (Zahlendreher, verschwundene Probanden, statistische Unmöglichkeiten) auszuräumen. Es wäre ja toll (und ein russischer Propagandaerfolg), wenn Sputnik eine "Wunderwaffe" wäre, aber es fällt eben doch auch auf, dass Russland davon selbst nicht überzeugt zu sein erscheint und international übliche Forschungsregeln missachtet.

    Mal abgesehen davon, dass eine Vektorimpfung wie bei Astra-Zeneca vermutlich nicht gegen die südafrikanische Virusvariante schützt und somit in ein paar Wochen unbrauchbar werden dürfte.

  • Sanktionen gegen Putins Umfeld wären mitnichten hilft- und wirkungslos. Sie sind vielmehr der derzeit der einzige Hebel, den EU und USA besitzen, um die Entwicklung in Russland spürbar zu beeinflussen. Der Magnitsky Act in bereits sieben Ländern ist der richtige Anfang. Putinnahe Oligarchen werden sanktioniert. Leider machen Länder wie Deutschland nicht mit, die Sanktionen werden somit ineffektiv. Ein geschlossenes Vorgehen von EU und USA, konsequente Sanktionen gegen das Putin-Umfeld würden früher oder später zu einem Riss im Regime und zu einer Palastrevolte führen. Wenn Putin nicht mehr den Zugang zu den Banken, Immobilien, Internaten, Edelboutiquen in EU und USA garantieren kann, dann hat er keine Funktion mehr für die russischen Kleptokraten. Daher sind gezielte Sanktionen gegen Putins Umfeld der effektivste Hebel, um dem faschistoiden Treiben in Russland ein Ende zu bereiten und der Opposition in Russland zu helfen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Ich mach doch nicht das Versuchskarniggel für den Weltfrieden. Bleib mir weg mit Sputnik.



    Nachdem, was ich gelesen hab, ist die Studie dazu gepimpt

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Was ist ein Karniggel für Versuche? Welche Studie? Und was bedeutet "gepimpt"? Und wo haben Sie das alles gelesen? Oder gilt für Sie: forsch behauptet ist halb bewiesen?

  • "...setzt Moskau weiter auf Provokation". Ich habe bislang noch keine eindeutige Stellungnahme gelesen, ob diese drei Diplomaten denn nun wirklich an diesem Protest teilgenommen haben oder nicht. Denn falls ja, darf man darüber auch geteilter Meinung sein, ob diese Teilnahme nicht als Provokation gesehen werden kann. Das ganze läuft nun nach dem Motto Auge um Auge... Aber beruhigt Euch, denn bald wird dieses Schauspiel wieder vergessen sein und das Geld regiert weiter, denn Nordstream Nord ist stärker - wetten?

    • @joaquim:

      Sie wollen es aber auch wirklich nicht verstehen, oder? (Denn wenn Sie wollten, hätten Sie in den letzten Tagen genug Gelegenheit dazu gehabt.)

      Die drei Diplomaten waren anwesend, weil das Teil ihres Berufs ist. Anwesenheit ist aber nicht mit Teilnahme (also Unterstützung des Anliegens) gleichzusetzen.

    • @joaquim:

      Hier finden Sie die detailreichste Beschreibung der Fotos:

      www.faz.net/aktuel...-vor-17185278.html

      Nach Teilnahme hört sich das nicht an.

      Eher nach dem, was auch jeder Journalist macht.

    • @joaquim:

      Sehr richtig eingeschätzt! Wie würde das Auswärtige Amt reagieren, wenn russische Diplomaten an den Zusammenrottungen der Querdenker teilnehmen?



      Ganz nebenbei: Navalny und Demokratiebewegung in Russland werden oft in einem Atemzug erwähnt. Was will Navalny außer an die Macht zu kommen? Hat er ein Programm? Eine Vision? Bekannt sind lediglich seine rechtsradikalen und nationalistischen Äußerungen (siehe auch Wikipedia). Offensichtlich reicht es, gegen den Lieblingsfeind des Westens, Putin, zu sein, um als Kämpfer für die Demokratie verehrt zu werden. Man erinnere sich an die korrupte J. Timoschenko aus der Ukraine. O tempora, o mores!

      • @RobTi:

        "Wie würde das Auswärtige Amt reagieren, wenn russische Diplomaten an den Zusammenrottungen der Querdenker teilnehmen?"

        Nichts. Weil das zu den Aufgaben von Diplomat*innen gehört.

        • @DaW:

          Es gehört, wie Sie verkünden, zu den Aufgaben von "Diplomat*innen", an Demonstrationen gegen die sie akkreditierende Regierung teilzunehmen? Aus welcher Quelle beziehen Sie denn diese Information?