Streit über Recycling-Baustoffe: Seehofer schottert Kompromiss
Der Innenminister boykottiert eine Einigung zu Recycling-Baustoffen. Es geht um den größten Abfallstrom in Deutschland.
Im November hatte der Bundesrat nach insgesamt 15-jähriger Verhandlungszeit die sogenannte Mantelverordnung verabschiedet, die den Umgang mit Schutt, Schlacken und Erden bundesweit neu regelt. Mit rund 250 Millionen Tonnen jährlich ist das der größte Abfallstrom in Deutschland. Aus dem Material werden etwa Straßen, Wege oder Schallschutzwände gebaut; es kann in Bergwerke verfüllt oder muss, wenn es belastet ist, auf Deponien gelagert werden. Die Verordnung versucht einen Kompromiss zwischen den Ansprüchen der Kreislaufwirtschaft – möglichst viel Abbruchmaterial wiederzuverwerten und so Primärmaterial aus Kies- und Sandgruben einzusparen – und dem Umweltschutz.
Es soll kein verschmutztes Material verbaut werden und etwa gefährliche Kohlenwasserstoffe in Böden oder Grundwasser abgeben. Um diesen Zielkonflikt aufzuheben, sieht die Verordnung für die jeweiligen Ersatzbaustoffe bestimmte Schadstoffgrenzwerte vor; die Einhaltung müssen die Hersteller im Rahmen einer Güteüberwachung gewährleisten. Zum anderen schreibt die Verordnung an diese Grenzwerte angepasste Einbauweisen je nach den örtlichen Gegebenheiten vor.
„Die Mantelverordnung ist ausverhandelt“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Michael Thews (SPD). Seit 15 Jahren sei die Verordnung zwischen Bund und Ländern nun diskutiert worden, es seien Planspiele veranstaltet und unzählige Gespräche mit allen Beteiligten geführt worden; „jetzt brauchen wir endlich Rechtssicherheit“, sagt Thews. Es könne nicht sein, dass der Innenminister bayerische Sonderinteressen vertrete und damit eine dringend gebotene einheitliche Regelung unmöglich mache: „Jetzt ist ein Machtwort aus dem Kanzleramt fällig“, so Thews.
Nachdem sich die Länder auf einen Kompromiss geeinigt haben – den fünf Bundesländer und das Bundesumweltministerium (BMU) erarbeitet hatten –, muss das Bundeskabinett dem nun in einer letzten Runde noch zustimmen. Doch diese Zustimmung verweigert der Innenminister. „Das BMI steht zum Koalitionsbeschluss von 2017 und zu dem von der Bundesregierung beschlossenen Verordnungsentwurf“, teilt das Ministerium mit.
Die in dem Kompromiss des Bundesrates „enthaltenen umfangreichen Änderungen machten eine erneute Anhörung des Bundestages und eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zwingend erforderlich“. Das würde de facto das Ende der Verordnung bedeuten, weil in der ablaufenden Legislaturperiode nicht mehr genug Zeit für den Prozess bleibt. Schließlich muss die Verordnung auch noch in Brüssel notifiziert werden.
Mit seiner Weigerung erbost Seehofer nicht nur den Koalitionspartner und den Wirtschaftsflügel der CDU; ein breites Bündnis aus Wirtschaftsverbänden – von der Entsorgungswirtschaft über die chemische Industrie bis hin zum Bundesverband der Deutschen Industrie fordert nun endlich bundeseinheitliche Regelungen – vor allem, weil die Verordnung eine verkürzte Evaluierungszeit von zwei Jahren vorsieht. Für seinen Kurs findet Seehofer aber auch Zustimmung: Der Recycling-Verband bvse stört sich vor allem daran, dass Sekundärbaustoffe künftig bundesweit dem Abfallrecht unterliegen sollen. Bislang gilt gerade in den bevölkerungsreichen Ländern für bestimmte Recyclingbaustoffe das Produktrecht. „Wer Recycling will, muss auch die Nutzung von Recyclingprodukten fördern“, sagt der Verband und fordert eine Länderöffnungsklausel. Ansonsten werde die Politik nicht umhinkommen, das Thema in der nächsten Legislatur noch einmal in Angriff zu nehmen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen