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Boykott in BelarusRechnungen bleiben liegen

Immer mehr Minsker weigern sich, für kommunale Dienstleistungen zu zahlen. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 21.

Jetzt geht's ans Geld: Viele aus der Opposition in Belarus bezahlen keine Stromrechnung mehr Foto: Sergei Bobylev/Itar-Tass/imago

E ine Reihe der größten oppositionellen Kanäle von Telegram hat dazu aufgerufen, die Finanzierung der Diktatur von Alexander Lukaschenko zu stoppen. Zumindest in Minsk ist die Anzahl derer, die für kommunale Dienstleistungen nicht bezahlt haben, gestiegen. Das ist etwas Einzigartiges, denn die Ankündigung dieses Boykotts erfolgte aus politischen Gründen.

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Das System für Stromabrechnungen sieht in Belarus wie folgt aus: Das Geld für Reparaturen und der Inhalt der Wohnungsfonds geht nicht an die Genossenschaften, sondern fließt in den Staatshaushalt, von wo aus die Mittel umverteilt werden. Die Rechnungen müssen jeweils bis zum 25. des nächsten Monats bezahlt werden, der auf die Rückstellung folgt.

Das heißt, jetzt müssen die Minsker für August bezahlen, doch das ist nicht in vollem Umfang geschehen. Entsprechende Rechnungen sind 798.366 Minsker Haushalten zugegangen. Mehr als 28.000 Familien sind für August säumig und boykottieren die Zahlungen aus politischen Gründen – aus Angst und auf eigenes Risiko.

Die Inkassobehörde, das „Einheitliche Barabrechnungszentrum in Minsk“ hat jetzt frische Daten veröffentlicht. Im Vergleich zu Juli ist die Anzahl derer, die sich weigern, für kommunale Dienstleistungen zu zahlen, im August um 3,53 Prozent gestiegen – auf 10,39 Prozent der Haushalte.

Janka Belarus

ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

Die Kommunalen Dienstleister haben bei den Schuldnern zu Hause angerufen und verlangt, dass die Rechnungen bezahlt werden. Sie haben sogar damit gedroht, vor Gericht zu gehen. Für was? Weil sich die Zahlung um einen halben Monat verzögert hat?

Das ist lächerlich. Im Leben gibt es immer Situationen, dass jemand eine bestimmte Zeit lang kein Geld hat. Dann zahlt er eben im nächsten Monat. Die Wohnungsgesetze sehen eine Geldstrafe vor: eine kleine gesetzliche Strafsanktion für eine Zahlung, die nicht rechtzeitig erfolgt ist. Die stellt niemand infrage.

Warum jedoch versucht man Menschen mit irgendwelchen mythischen Gerichtskosten einzuschüchtern? Und das umso mehr, als die Gerichte doch jetzt mit ganz vielen anderen „wichtigen Dingen“ beschäftigt sind: Sie müssen friedliche Bürger wegen sonntäglicher Spaziergänge an frischer Luft verurteilen. Doch ungeachtet dieser hysterischen Unzufriedenheit der Staatskasse: Das Geld, das gebraucht wird, um die Aktionen der Miliz zu bezahlen, kommt nicht aus den Taschen der Minsker.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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