Sperrmüll auf Gehwegen: Mieses Gefühl
Viele Leute entsorgen ihre Möbel in Altona, indem sie sie auf die Straße stellen. Das hat auch eine gute Seite. Trotzdem ärgert es mich.
L etztens guck ich abends aus dem Fenster, weil es so knirscht und rappelt, da zerrt doch unser Nachbar von gegenüber eine nicht mehr ganz vollständige Kommode über die Straße und lässt sie direkt vor unserem Haus stehen. Seit Februar wird die Kanalisation bei uns im Block erneuert und so eine Baustelle scheint ein idealer Platz, um seinen Sperrmüll loszuwerden. Vor der Kommode standen schon ein Tisch und eine Stehlampe da, irgendwann sind die Sachen den Arbeitern im Weg, dann entsorgen sie sie mit dem Bauschutt.
„Hamburg – gepflegt und grün“ heißt das Sauberkeitskonzept, das die Hansestadt am 4. Juli 2017 beschlossen hat. Und Hamburg ist auch sauberer geworden, zieht der Senat ganz aktuell Bilanz. Ich bin im letzten Jahr von Eilbek nach Altona gezogen, und was mir aufgefallen ist, das sind die Möbel, die hier überall herumstehen, wie, als wäre dieser Stadtteil ein großer, offener Sperrmüllpark. Aber auch in meinem Innenhof vor den Mülltonnen steht am Morgen oft Sperrmüll, den meine lieben Nachbarn heimlich in der Nacht dort hingestellt haben müssen. Die Genossenschaft entsorgt – auf Kosten aller Mitglieder.
Die Stadt entsorgt auch – auf Kosten der Allgemeinheit. Es gibt zwei Kategorien: Möbel, die, wenn sie keiner will, Sperrmüll sind, und Möbel, auf denen draufsteht: zu verschenken, und die, wenn sie keiner will, Sperrmüll sind. Seit ich hier in Altona wohne, treffe ich auf diese Möbelstücke, die einstauben und im Regen faulen, Kommoden, Stühle, kleine Schränke, aber auch Computer, blinde Spiegel, alles mehr oder weniger hinüber, Knöpfe ab, Rückwände herausgebrochen, Schubladen weg, Zeug, das keiner mehr braucht.
Das hat natürlich, wie alles, zwei Seiten. Sachen, die noch jemand anderes brauchen kann, sind auf dem Sperrmüll falsch. Wenn wir alle in einem großen Kreislauf die Sachen tauschen würden, die wir nicht mehr brauchen, dann gäbe es weniger Wegwerfen, weniger Konsum. Und das muss ja schließlich das große Ziel sein. Die guten, brauchbaren Sachen bleiben auch nicht auf der Straße stehen.
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Aber auf diese Weise muss sich also die Haltung entwickelt haben, die es akzeptiert, dass Möbel in der Stadt herumstehen. So oder so. Man kann nicht jeden verurteilen, der ein kaputtes Möbel über die Straße schleppt und vor einer Baustelle abstellt, oder? Ist öffentlich entsorgter Sperrmüll nicht sogar vor allem ein Armutsproblem?
Der Nachbar von gegenüber hat aber ein recht anständiges Auto, sagte eine fiese, kleine Stimme in mir. Ich bezahle meine Abholung immer selber, sagt diese Stimme. Wenn ich jetzt zusätzlich noch, über die allgemeine Müllgebühr, die Abholung seines Sperrmülls mitbezahle und dann auch noch über die Gebühren bei der Genossenschaft die Abholung des Sperrmülls vor unseren Mülltonnen finanziere, dann fühle ich mich wie man sich fühlt, wenn man die einzige ist, die sich hinten anstellt.
Ich könnte nächstens meinen Sperrmüll auch auf die Straße stellen, damit ich mich nicht so fühle, oder ich könnte den Nachbarn von gegenüber anzeigen, aber ich tue auch das nicht. Ich zeige niemanden an, weil er seine Kommode auf der Straße abstellt. Ich bin keine Wutrentnerin, noch nicht. Ich ärgere mich nur über ihn und bekomme davon einen Reizdarm oder Migräne oder einen Herpes auf der Lippe, so etwas.
Oder ich höre auf, mich zu ärgern, weil dies halt die Großstadt ist, die einen einigermaßen repräsentativen Querschnitt durch die asoziale deutsche Gemeinschaft darstellt. Dies ist nun mal die Welt, in der wir leben und es gibt Dinge, die sehr viel unsozialer und daher werter sind, sich darüber zu ärgern, befehle ich mir zu denken.
Warum aber habe ich in den 20 Jahren in Eilbek keine Möbel auf der Straße gesehen, während ich im viel beliebteren Stadtteil Altona alle paar Meter über welche stolpere? Und sind die Leute in Eilbek nun unsozialer gewesen, weil sie ihre vielleicht noch intakten Möbel anderen Menschen nicht auf der Straße als Geschenk anboten, oder waren sie weniger unsozial, weil sie ihren Sperrmüll selber und auf eigene Kosten im Recyclinghof entsorgt haben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Humanitäre Lage im Gazastreifen
Neue Straßen für Gaza – aber kaum humanitäre Güter