Symposium in der Naxoshalle Frankfurt: Aus dem Mund eines Betroffenen
Die „Themenwoche gegen das Vergessen“ gedenkt Zwangsarbeitern während der NS-Zeit. Und dem Schicksal einer sozial engagierten Fabrikantenfamilie.
Die Frankfurter Naxoshalle, ein Industriegebäude, das jetzt als Kultur-, Konzert- und Theaterspielstätte genutzt wird, veranstaltet eine „Themenwoche gegen das Vergessen“. Inhaltlicher Schwerpunkt: „Die Naxoshalle im Nationalsozialismus“. Es war eine gute Idee, die Geschichte des Ortes mit dem zu kombinieren, was aktuell in der Naxoshalle geschieht.
Das historische Schwerpunktprogramm wird deshalb eingerahmt von aktuellen Theaterproduktionen, Performances, einem szenischen Denkmal, einem Film, einem Konzert und Stadtrundgängen zur Geschichte des Frankfurter Ostends, in dem die Halle liegt.
Im Zentrum steht eine kleine, aber informative Ausstellung zum Zusammenhang von dem Maschinenhersteller Naxos-Union, Nationalsozialismus und Zwangsarbeit. Die Ausstellung ergänzen Vorträge zum Thema Erinnerung und Solidarität mit den Opfern sowie zum Stellenwert von Arbeit im Nationalsozialismus.
Die intelligent inszenierte Ausstellung wurde von einem jungen Team aus Historikerinnen und Historikern (Luise Besier, Jakob Engel, Björn Fischer, Freya Kurek und Susanne Thimm) mit Unterstützung des Instituts für Stadtgeschichte in einem nur 26 m2 großen Waren- und Personenlift realisiert. Die Installation präsentiert spärlich erhaltene Akten, Fotos und andere Quellen.
Zeugnis eines Zeitzeugen
Die beeindruckende Pointe der Ausstellung bildet der per Lautsprecher eingespielte Text des tschechischen Zwangsarbeiters Václav Danihel, von der Naxos-Union ab Oktober 1942 verpflichtet. Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen haben ihr Schicksal aus naheliegenden Gründen nicht selbst dokumentieren können. Entsprechend wenig Profil verlieh die Geschichtswissenschaft bisher den rund 26 Millionen ZwangsarbeiterInnen, von denen die Hälfte auf deutschem Boden arbeitete. Es fehlt einfach an Dokumenten über sie.
Es ist deshalb für die historische Aufarbeitung der Zwangsarbeit unter dem Nationalsozialismus ein Glücksfall, dass den vier HistorikerInnen ein Fragebogen in die Hände fiel, den Václav Danihel (geboren 1922) als alter Mann im Jahr 2000 für den „Studienkreis Deutscher Widerstand 1993–1945“ ausführlich beantwortete.
bis 1. Oktober, Naxoshalle Frankfurt, Reservierung unter: www.studionaxos.de
Der Fragebogen entstand durch eine Initiative zum beschämenden Thema der Entschädigungen von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Dieser Initiative ist es zu verdanken, dass man jetzt aus dem Mund eines Betroffenen Genaueres erfährt über die Arbeits- und Wohnverhältnisse der ZwangsarbeiterInnen unter Hitlers Diktatur.
Allein in Frankfurt gab es 13 Zwangsarbeitslager, die für jedermann sichtbar und präsent waren im Stadtbild. Die zu Zwangsarbeit Verpflichteten stammten aus ganz Europa (Italien, Belgien, Frankreich, Niederlande, vor allem aber aus dem Osten, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Litauen).
Kriegsgefangene und Opfer rassistischer Ideologie
Sie hatten einen unterschiedlichen Rechts- bzw. Diskriminierungsstatus, je nachdem ob sie aus dem eroberten Westen angeworben wurden, als Kriegsgefangene deportiert oder schlicht als Opfer der nationalsozialistischen Kriegsführung und der rassistischen Ideologie der sogenannten Herrenmenschen als „Untermenschen“ nach Deutschland kamen.
Zwangsarbeit gab es in allen Wirtschaftsbereichen, auch die öffentliche Verwaltung forderte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter an – etwa das Bauamt in Frankfurt, das 1941 „sofort 80 besonders kräftige Leute für die Müllabfuhr und 230 für die Straßenreinigung“ bestellte.
Die Zahl der damals unter Zwang Arbeitenden kann man nur über die erhaltenen Krankenversicherungsakten und Haushaltungsbücher (Wohnortlisten) einigermaßen rekonstruieren. Die Naxos-Union beschäftigte zwischen 1942 und 1945 rund 700 von ihnen.
Die Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei der 1871 von Julius Pfungst gegründeten Firma Naxos-Union, die in ganz Europa führend war bei der Produktion von Schleifmaschinen und Schleifmaterialien, hat eine tragische Seite. Der Firmenname beruht darauf, dass der Gründer über ein Monopol für den Import von Steinen aus Naxos verfügte, das zur Herstellung von Schleifmaterial geeignet ist.
Das Engagement der Familie Pfungst
Julius Pfungst war sozial engagiert und gründete 1896 einen Pensionsfonds. Sein Sohn Arthur erweiterte dieses Engagement und investierte Gewinne in Wohlfahrt und Bildung der Arbeitenden. Nach dessen frühem Tod 1912 übernahmen seine Mutter Rosette und seine Schwester Marie Eleonore Pfungst (1862–1943) den Betrieb und gründeten 1918 eine Stiftung, zu der auch die Zeitschrift Freie Volksbildung gehörte. Marie Eleonore Pfungst machte sich zudem einen Namen in der Frauenbewegung.
Nach 1933 entmachteten die Nazis die Stiftung und integrierten sie in den „Kampfbund für deutsche Kultur“. Mit dem neuen Direktor, Rudolf Herbst, wurde der Stiftungsname Pfungst getilgt und die Bildungsbestrebungen eingestellt. Die Firma beschäftigte jetzt Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, bezeichnete sie jedoch euphemistisch als „Hilfskräfte“.
Nach dem Tod ihrer Mutter musste sich die Firmenerbin Marie Eleonore Pfungst – unter Zwang – für 54.658,17 Reichsmark auf einen „Heimeinkaufsvertrag“ einlassen und wurde im Herbst 1942 als Schwerkranke ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie im Februar 1943 starb. Der städtische Koordinator dieser schamlosen Aktion, Stadtrat Dr. Bruno Müller, erhielt 1957 die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt.
„Widerhall“ mit O-Tönen aus den Ausschwitz-Prozessen
Herausragend im kulturellen Beiprogramm der Themenwoche war „Widerhall“ von Camilo Bornstein, Loriana Casagrande, Marie Schwesinger und der fantastischen Schauspielerin Marlene-Sophie Haagen in einer Collage mit Originaltönen aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963–1965. Dagegen rutschte der Versuch eines „szenischen Denkmals für die polnischen Zwangsarbeiterinnen auf Naxos“ von Michael Weber ins Sentimental-Pathetische ab.
Seit 1979 bietet eine Arbeitsgruppe des DGB „Antifaschistische Stadtspaziergänge“ an. Die Naxoshalle liegt im vor 1933 jüdisch geprägten Frankfurter Ostend. So bot sich für die Themenwoche ein Rundgang an.
Aus der in der Pogromnacht von 1938 zerstörten Synagoge wurden die noch verwendbaren Steine für die Mauer rund um den Hauptfriedhof recycelt. 1942 erbauten französische Kriegsgefangene auf dem Grundstück der Synagoge einen Hochbunker, der heute als Gedenkstätte, wirkliches Mahnmal der Schande und Museum dient.
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