Denkmal zum Überfall auf Polen: Ein einfacher Plan

Ein Polendenkmal oder das Dokuzentrum zu NS-Besatzung? Bei dem Streit, wie Deutschland an die zivilen Opfer erinnern soll, bahnt sich eine Lösung an.

Zivilisten heben in einer historischen Aufnahme die Hände.

Polnische Zivilisten beim Überfall 1939. Ein Denkmal soll an die NS-Verbrechen erinnern Foto: Everett Collection/imago images

BERLIN taz | Die Debatte währt seit Jahren, die Fronten schienen verhärtet. Die eine Seite will ein Denkmal, das in Berlin speziell an den Überfall auf Polen am 1. September 1939 und die deutsche Besatzung erinnert. Die andere möchte einen Erinnerungsort, der die deutsche Besatzung von Athen bis zum Nordkap und von Paris bis Minsk darstellt – und damit den rassistischen Vernichtungskrieg der Nazis im Osten. Das ist kein akademischer Streit. Es geht um nationale Selbstbilder und aufgeladene Opferkonkurrenzen, die mit aktuellen Zwistigkeiten nicht nur zwischen Kiew, Moskau und Warschau vermischt sind.

Das Polen-Denkmal, das die Einzigartigkeit der polnischen Opferrolle betonen soll, wird von einem Bündnis aus Wolfgang Schäuble, weiten Teilen der Union, SPD-Außenminister Heiko Maas, dem Deutschen Polen-Institut und einzelnen SPD- und Grünen-Politikern unterstützt. Das Dokumentationszentrum, das den NS-Terror gegen die Zivilbevölkerung im Osten in den Fokus rückt, wollendie Linkspartei, weite Teile der SPD-Fraktion und das Gros der bundesdeutschen NS-Historiker.

Nun scheint es eine Lösung zu geben. Und zwar eine scheinbar simple: Man macht einfach beides. Das Deutsche Polen-Institut und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas wollen ein Denkmal, ein Dokumentationszentrum und Bildungsangebote – ein Plan, der für alle etwas zu bieten hat.

Das Denkmal soll an einem prägnanten Platz in Berlin errichtet werden und der amtliche Gedenkort für den NS-Krieg sein. Es soll – in deutsch und polnisch – dem Überall auf Polen 1939 gewidmet sein und am „Platz des 1. September 1939“ liegen. „Denkbar“, so heißt es in einem gemeinsamen Papier des Institus und der Stiftung, „wären auch weitere Sprachen in abgesetzter Form.“ Das zeigt, dass ein Schlüsselproblem – die Hierarchisierung von Opfergruppen – noch nicht vollständig gelöst ist.

„Nationalisierung des Gedenkens“

Der zweite zentrale Baustein ist das Dokumentationszentrum, das die Besatzungspraxis 1939-1945 umfassend darstellen soll. Das Ziel: Der Vergleich des Terrors von „den Pyrenäen bis zum Kaukasus“ soll „die rassistisch motivierten Unterschiede bei der Behandlung der Zivilbevölkerung, der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter“ klar machen. Das ist seit langem das wesentliche Ziel von Aktivisten wie Peter Jahn, dem früheren Leiter der Gedenkstätte Karlshorst. Sie fordern, den wenig bekannten Terror gegen die Zivilbevölkerung im Osten endlich stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Der Ex-SPD-Abgeordnete Markus Meckel, der sich für das Dokumentationszentrum einsetzt, hält den Kompromiss für einen Erfolg. „Die Nationalisierung des Gedenkens“, die ein singuläres Polen-Denkmal bedeutet hätte, „ist damit überwunden“, so Meckel zur taz.

Auch die Linkspartei, lange Zeit im Bundestag die einzige Fraktion, die sich engagiert für Erinnerung an den Vernichtungskrieg stark machte, ist angetan von dem Kompromiss. Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, hält den Plan „für einen wesentlichen Fortschritt in der festgefahrenen Debatte“. Es gebe nun die Chance, dass „der Bundestag 75 Jahre nach Kriegsende endlich gemeinsam eine Würdigung der Millionen Opfer beschließt.“

Der Bundestag müsse in den nächsten zwei Wochen „aus dem Knick kommen“, damit das Projekt noch von dieser Regierung bis 2021 realisiert werde, so Korte. Das allerdings ist noch eine offene Frage: Der Weg vom Konsens zwischen den Instituten bis zu einer parlamentarischen Einigung kann steinig werden.

Zustimmung und Zweifel

Allerdings drückt auch die SPD aufs Tempo. Die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder, die mit der Union über die Sache verhandelt, hält den neuen Vorschlag für „sehr interessant“. Wie sie der taz sagte, möchte sie „mit der Unionsfraktion bis zur Sommerpause eine Einigung erzielen“. Dann könne man den Antrag im September in den Bundestag einbringen. Die SPD-Fraktion hatte gehofft, zum 75. Jahrestag des Kriegesendes am 8. Mai eine Einigung präsentieren zu können. Dieser Versuch scheiterte an der Union.

Die Anhänger des Polen-Denkmals scheinen sich mit dem Kompromiss schwerer zu tun als die Unterstützer des Dokumentationszentrums. Der grüne Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin, der sich vehement für das Polen-Denkmal engagiert, bezweifelt, dass „der Kompromissvorschlag einen kraftvollen Impuls austrahlt“.

Es fehle, so seine Kritik, „die historisch notwendige Verbindung des deutschen Angriffs auf Polen mit den Kontinuitäten der deutschen Polenpolitik der Weimarer- und Kaiserzeit“. Das Denkmal, so der Grüne zur taz, würde in Polen womöglich „wegen der räumlichen Verbindung beider Projekte“ nicht als Polen-Denkmal verstanden.

Auch in der Union gibt es Kritik. Die Fraktion schient uneins, ob sie auf einem gesonderten Polen-Denkmal bestehen will. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte der FAZ, Deutschland brauche einen eigenen Ort des Erinnerns an den Überfall auf Polen und die besonderen Beziehungen zwischen Berlin und Warschau.

Also zwei Polen-Denkmäler? Eher nicht. Der Kompromissvorschlag hat neue Fakten geschaffen. Jene, denen es nur um das Polen-Denkmal geht, sind in der Defensive. Sie haben kaum noch die Kraft, das Dokumentationszentrum, das CDU-Mann Wolfgang Schäuble für schlicht überflüssig hält, zu verhindern. Aber sie können die Realisierung verzögern.

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