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Fahrradfahren im FlachlandIch werd zum Windkraftgegner

Von wegen, nur mit Gegenwind kannst du fliegen. Eine Radtour durch Friesland zeigt: Erneuerbare Energien können ganz schön nerven.

Wieso kommt der Wind immer von vorne? Foto: Tomas Adel/plainpicture

A bends um sieben, zwischen Varel und Dangast, hatte ich echt die Nase voll. Voll mit klarer friesischer Seeluft, die uns über den Deich entgegenblies. Der Wind zerrte an unseren Fahrrädern, stellte sich wie eine Wand vor uns und drückte uns zurück.

Da half nur: Noch einen Gang runterschalten, den Kopf noch tiefer neigen und treten, treten, treten. Das hatten wir aber schon stundenlang getan. Eine gewisse Verbissenheit machte sich breit. Der innere Windkraftgegner in mir wurde immer lauter.

Den Frust gegen diesen unsichtbaren und allmächtigen Feind konnte ich nicht mal richtig rausschreien. Schließlich sollte die Radtour von Hannover nach Jever ja offiziell Spaß machen.

Wunsch nach Stromlinienförmigkeit

Das tat sie ja auch. Die Söhne radelten bereitwillig mit, weil das Leben in Corona-Zeiten ohne Schule selbst für 16- und 17jährige irgendwann langweilig wird, wenn Netflix leergeglotzt ist. Und ich bekam eine Menge neuer Einblicke in mein Inneres.

So begann ich, die alten Spontisprüche zu hassen: „Nur mit Gegenwind bekommst du Luft unter die Flügel“: Was für ein Quark, wenn dir ungebremst fünf Windstärken über die Marsch entgegenfauchen.

Ähnlich blöd wie „Nur gegen den Strom geht es zur Quelle“ oder „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“. Sowas kann nur rumtröten, wer nie tagelang gegen Wind oder Wellen gekämpft hat. Ich jedenfalls wollte in diesen fünf Tagen nichts mehr als ein stromlinienförmiges Leben.

Auch sonst wurden die Vorurteile der ignoranten Städter gut durchgepustet. Radfahren an der Weser ist deutlich spannender als Fußballgucken im Weser-Stadion. Die Menschen in Jever sind gar nicht so friesisch herb, wie sie vorgeben, sondern sehr nette und warmherzige Gastgeber.

Dann lernte ich noch: Erneuerbare Energien können manchmal ganz schön nerven. Sie sind auch überhaupt nicht neu: Windmühlen, Segelschiffe, Wasserkraftwerke stehen seit Jahrhunderten in der Gegend rum. Der gern genutzte Slogan „Ausbau der Erneuerbaren“ ist ein Witz. Was man ausbauen kann, ist das Fitzelchen an ihnen, mit dem wir Strom erzeugen, um Netflix zu glotzen. Aber Sonne, Wasser, Biomasse und Wind sind immer und überall um uns herum.

Das größte Problem mit der Windenergie ist nicht, dass sie sich schlecht speichern lässt. Sondern, dass sie immer von vorn kommt. Immerhin hilft sie anderen Leuten. Der Landkreis Friesland erzeugt damit knapp doppelt so viel Strom wie er verbraucht, heißt es. Und wenn wir in die fröhlichen Gesichter der SeniorInnen sahen, die uns mit Rückenwind und einem netten „Moin“ auf ihren E-Bikes entgegenkamen, wussten wir, dass der Wind zu etwas gut ist.

Man muss eben nur im Einklang mit der Natur leben. Das schafften wir erst am letzten Tag – auf der Rückkehr vom Strand eine Stunde lang Rückenwind. Wir genossen es, schwerelos durch Wiesen und Weiden zu kurven.

Und ich merkte: Ich habe eigentlich gar nichts gegen die Windkraft. Ich bin inzwischen nur fanatischer Gegenwindkraftgegner.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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19 Kommentare

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  • Nächstes Mal einfach mit dem Liegerad,oder besser noch in dieser Gegend mit dem Velomobil los radeln. Wobei die Strecke dann für 5Tage viel zu kurz ist.

  • Na Mahlzeit - 🥳 -

    & für alle, 's Mowgli & den Pötter mit der Molle ohne Lehm - Hermann Löns 1912 -



    “Wo der Wind weht, da bin ich zuhaus!“



    www.youtube.com/watch?v=1GUx4jiKoQ0

    kurz - “…von dem Staube dem Staube da werd ich nicht satt - ich weiß - wo der Bauer die Wurst hängen hat…“ - 😎 -



    Eben. Normal.

  • Bernhard, Du hast offensichtlich noch nicht von Cyberflairs "Gegenwindrad" gelesen, das zu bauen, auch ich vorschlage. Stefan Selch heißt er mit richtigem Namen und da gibt es mehrere von.



    Zur Erläuterung: Wenn Du ein Windrad mit einer Normleistung von 1 MW auf einen Frachter stellst und mit 20 Knoten gegen den Wind fährst, erzeugt das Windrad plötzlich eine Leistung von 16MW, von denen nur ein geringer Anteil benötigt werden, um gegen den Wind anzukämpfen. Gelingt es Dir, dass das Schiff ins Gleiten kommt, ist der Energiegewinnung keine Grenze gesetzt. Segler kennen den Effekt: mit dem Wind ist eine extrem langweilige Angelegenheit, hart am Wind etwas ganz anderes und gegen den Wind sprengt jede Vorstellungskraft und dann sehr bald auch das Windrad. Diese ostfriesischen Radfahrer sind ganz schön blöde, ohne Windrad gegen den Wind zu kämpfen. Nebeneffekt: hinter dem Gegenwindrad herrscht fast Windstille.

  • Demnächst wird ein Artikel eescheinen, in dem sich jemand beschwert, dass Wasser nicht berauf fließt.

  • Von Gegen-Windkraftgegner zu Gegen-Windkraftgegner:-)



    Bernhard, wenn man nicht MUSS, dann plant man "Touren mit den RAD im Norden von West nach Ost" oder so, das man sich "unter dem Deich" im Wald usw. "nach Westen vorarbeitet":-)



    An der DE- Küste gibts ca. 300 Tage im Jahr "Westwetterlagen".



    Ein Blick in/auf die vielen "Wettertools" im Netz ist vor der Abfahrt/Auf der Fahrt auch ganz hilfreich, ersetzt aber die alte Radlerweisheit nicht:



    Lieber nen Berg als Gegenwind!



    Nach Berg kommt bestimmt Abfahrt, nach Gegenwind höchstens Flaute:-)



    In deinem Fall, Kette links & da ihr zu Dritt ward, Windschattenfahren lernen, sich alle 10 Minuten vorne ablösen.



    Gruss Sikasuu

    • @Sikasuu:

      Liggers & Genau Genau



      &



      Wenn einer ansatzlos an euch vorbeizieht: nich traurig werden:



      Holländer - die könn das ganz ohne! 😱 -



      Wind - egal.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - paßt ran -





    Ahoi!







    "Erneuerbare Energien können ganz schön nerven." Können die sonst noch was? und "Wieso kommt der Wind immer von vorne?" (Bildunterschrift) Wo ist das Problem? Segler:innen können auch Gegenwind nutzen.







    Und MOWGLI muss nichts fürchten. „Gegenwindkraftgegner“ ist nicht schützenswert. Es ist WortaneinanderreihernohneGewissen.“

    kurz - Baliner Volkers 👄



    “Der Töpfer mit der Molle ohne Lehm - der sollte sich was schäm - … “



    Alle eingedenke - Werner Enke.

    • @Lowandorder:

      "Wo ist das Problem? Segler:innen können auch Gegenwind nutzen."



      Gute Idee, also wenn Hannover-Jever, dann in Paderborn ein Halse. Schön hart am Wind, dann klappt das auch beim Radeln.

  • Wenn Sie noch mit einem Fahrrad ohne Motorisierung unterwegs sind, dann meinen Glückwunsch!



    Das wird ja immer seltener.

    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude an Ihren Fahrradtouren!

  • Bei der nächsten Tor einfach rückwärts fahren. Dann haben Sie den Wind immer im Rücken, den Blick nach vorn gerichtet und der Physik ein Schnippchen geschlagen.



    Funktioniert in der Politik doch auch seit Jahren vorzüglich! :-)

  • Sorry aber von Hannover nach Jever radeln ist schon ziemlich dumm. Von Jever nach Hannover bringt wahrscheinlich Spaß. Aber andersrum machen eigentlich nur Leute die keinen Wetterbericht lesen können...

    • @Christian Schmidt:

      oder in der Schule nicht aufgepaßt ham:

      Erdkunde “Region der vorherrschenden Westwinde.“ - weet dorbaben jedes Kind - Wennse keine Städter sind. - 🥳 -



      Normal.

      • 0G
        06360 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Im "roten" Hamburg wurden die Erdkundestunden einem Fach namens Politik zugeschlagen. Da lernte man, dass demonstrieren wichtiger ist als Fachwissen.



        So gab es dann auch Radtouren an der Elbe von Dresden nach HH, weil es ja immer bergab geht.

        • @06360 (Profil gelöscht):

          Geografie. Liggers aber Gemach Gemach

          “… Ich legte mein Meisterwerk den großen Leuten vor und fragte sie, ob ihnen die Zeichnung nicht Angst mache.

          Sie sagten: »Warum sollten wir Angst vor einem Hut bekommen?«

          Meine Zeichnung stellte aber gar keinen Hut dar. Es war eine Riesenschlange, die einen Elefanten verdaut. Ich zeichnete also das Innere der Boa, damit es die großen Leute genau erkannten, denn sie brauchen immer Erklärungen. Meine Zeichnung Nummero 2 sah so aus:

          images.app.goo.gl/MzfobSUGQ45N8Jx97

          Die großen Leute rieten mir dann, das Zeichnen von offenen oder geschlossenen Boas bleiben zu lassen und mich mehr mit Geographie, Geschichte, Mathematik und Grammatik zu beschäftigen. So kam es, dass ich im Alter von sechs eine wunderbare Karriere als Maler aufgab. Ich hatte durch das Scheitern meiner Zeichnungen Nummero 1 und Nummero 2 meinen ganzen Mut verloren. Die großen Leute verstehen nie etwas von selbst. Und für die Kinder ist es viel zu mühevoll, ihnen die Dinge immer und immer wieder von neuem zu erklären.



          Ich musste mir also einen anderen Beruf wählen, und ich lernte Flugzeuge zu fliegen. Ich flog durch die ganze Welt. Die Geographie, das ist richtig, hat mir gute Dienste dabei geleistet. Auf den ersten Blick kann ich nun China von Arizona unterscheiden. Das ist besonders hilfreich, wenn man sich in der Nacht verirrt hat.…“ Wohl wahr. 🥳



          www.derkleineprinz...de/text/1-kapitel/



          Antoine de Saint-Exupéry



          &



          (“ Für LÉON WERTH - …… … … - - -



          Als er ein kleiner Junge war“)

  • Eine "Radtour von Hannover nach Jever" hat nun mal in der Westwindzone das große Potential von Gegenwind. Bei Routenplanung von Jever nach Hannover stehen die Chancen auf Rückenwind besser.

  • Na Servus - “Niedersachsen - wo die dicken Rüben wachsen“ (Andreas Rebers)

    kurz - Wenn Theoretiker mal “vör de Dör gahn!“ - 😱 -



    Normal: Am Bleistift kaun & n Tintenklecks auflecken.

    Na Mahlzeit

    unterm——- Ach was!



    „Stromwende“ (Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).“



    Paschd scho - “Grau mein Freund - ist alle Theorie.“ Jöhten

    • @Lowandorder:

      Immerhin: Er hätt‘ ja auch an seinem Schreibtisch hocken bleiben können, statt sich zur Abwechslung den Wind um die Nase wehen zu lassen. Dann wäre die Erkenntnis vielleicht ausgefallen.

      Und überhaupt: Allein das Wort „Gegenwindkraftgegner“ ist das ganze Gejammer schon wert, finden Sie nicht auch? Hoffe nur, Bernhard Pötter hat es sich nicht umgehend urheberrechtlich schützen lassen, nachdem er es er- oder auch gefunden hat im Zuge seines Ausflugs in die Wirklichkeit. Würde es nämlich bei passender Gelegenheit gerne ebenfalls verwenden. Als Stadt-und Raumplaner hat mensch dazu reichlich Gelegenheit da, wo ich herkomme, wissen Sie? 😁