piwik no script img

„Black Lives Matter“-DemonstrationenHamburgs Jugend gegen Rassismus

14.000 junge Menschen protestieren gegen rassistische Polizeigewalt. Am Abend kommt es zu Angriffen auf die Polizei – und zu rabiaten Reaktionen.

Von der Menge überwältigt: Demo-Anmelderin Audrey B Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Schwarz gekleidet, mit Pappschildern und Mundschutz – so strömen tausende Menschen Richtung Jungfernstieg. „Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir gegen Rassismus einstehen“, sagt eine 16-jährige Schülerin. Sie nimmt zum ersten Mal an einer Demonstration teil. So wie ihr geht es vielen jungen Menschen, die am Samstag zusammenkommen, um des schwarzen US-Amerikaners George Floyd zu gedenken, den Polizisten in Minneapolis getötet hatten.

Schon vor dem offiziellen Beginn erklärt die Polizei die Versammlung für aufgelöst, denn statt der angemeldeten 525 seien 9.000 Menschen vor Ort. Der Jungfernstieg ist voll, die vorgeschriebenen Corona-Sicherheitsabstände sind nicht einhaltbar. Die Polizei versucht, den Zustrom von Menschen zu begrenzen. „We won’t move“, brüllen die Demonstrant*innen. Die Teilnehmer*innen knien sich auf den Boden und halten eine Schweigeminute ab. Dann stehen sie auf und rufen „Black Lives Matter“ und „No justice no peace“.

Audrey B., die die Demonstration als „Silent Demo“ angemeldet hat, sagt, sie sei überwältigt von der Menge. „Uns war schnell klar, dass wir die Demonstration nicht so abhalten können wie geplant“, sagt die 20-jährige Schauspielerin. Am Ende ist es alles andere als „silent“: Es wird gerufen, getanzt und getrommelt. Die Stimmung ist zeitweise ausgelassen, die Polizei lange kaum zu sehen.

Währenddessen füllt sich wenige hundert Meter weiter der Rathausmarkt. Dort ist ab 15 Uhr eine Kundgebung der Lampedusa-Gruppe und der Black Community angemeldet. Am Freitag, einen Tag zuvor, hatten beide Gruppen bereits zu einer Kundgebung vor dem US-Konsulat aufgerufen. Statt den angemeldeten 250 Teilnehmer*innen waren etwa 4.500 gekommen.

Proteste in Niedersachsen

Mehr als Zehntausend Menschen sind am Samstag in Niedersachsen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße gegangen.

In Hannover beteiligten sich laut Polizei etwa 8.500 Menschen, weswegen zusätzliche Versammlungsflächen geöffnet wurden. Alles sei friedlich verlaufen, alle hätten sich an die Corona-Auflagen gehalten.

Im Osnabrücker Schlossgarten kamen mehr als 3.000 Menschen zu einer friedlichem Kundgebung.

Auf dem Oldenburger Schlossplatz in kamen rund 1.200 Menschen zusammen, wie die Polizei mitteilte.

In Göttingen seien 1.750 Menschen durch die Stadt gezogen, teilte die Polizei mit. Die Veranstalter sprachen von mehr als 2.500 Teilnehmer*innen.

Auch am Rathausmarkt teilt die Polizei über Lautsprecher mit, die Versammlung sei beendet, da sich zu viele Menschen versammelt hätten. Doch die Kundgebung geht wie geplant weiter. Redner*innen fordern Gerechtigkeit für die Opfer rassistischer Polizeigewalt – auch in Deutschland.

Die Polizei zählt 14.000 Demonstrierende im Bereich der beiden Kundgebungen. Unter ihnen sind Menschen aller Hautfarben und jeden Alters. Doch es fällt auf, dass besonders viele People of Color und junge Menschen da sind, die sonst weniger auf Demos anzutreffen sind.

Die Polizei hatte zuvor getwittert: „Rassismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Wir sind an eurer Seite.“ Daraus wird am Abend schließlich doch noch die Gegenseite: Demonstrierende bedrängen am Jungfernstieg Polizisten, bis die komplett eingekesselt sind. Fast schon verzweifelt kommt aus dem Lautsprecherwagen der Polizei immer wieder die Aufforderung: „Wenn Sie es schon untereinander nicht schaffen, halten Sie Abstand von den Einsatzkräften!“

Die meisten Teilnehmer*innen trugen Masken – wenn auch nicht die ganze Zeit Foto: Miguel Ferraz

Die Polizei twittert von mehreren hundert Personen, die „aggressiv und vermummt“ seien. Schließlich setzen die Beamt*innen Pfefferspray ein. Als Antwort fliegen Flaschen und andere Gegenstände, Böller werden gezündet. Die Polizei rückt mit Wasserwerfern und Hundertschaften an. Die Demonstrant*innen werden aufgefordert zu gehen, da sie Teil einer unangemeldeten Versammlung seien.

Kurz nach 18 Uhr kommen dann die Wasserwerfer zum Einsatz, die Polizei stürmt in die Menge. Hunderte Menschen rennen in alle Richtungen. Eine Gruppe Jugendlicher rennt in die Europapassage, viele sind panisch. „Dass die Polizei so eingreift, hätte ich nicht gedacht“, sagt ein 15-Jähriger. Auch er ist zum ersten Mal demonstrieren.

In der Innenstadt versucht die Polizei weiterhin, Demonstrierende zu zerstreuen. Dabei werden 36 Menschen am Hauptbahnhof festgehalten. Videos zeigen, dass überwiegend Jugendliche mit erhobenen Händen an der Wand stehen. Emily Laquer von der Interventionistischen Linken berichtet, die Polizei habe sie fast zweieinhalb Stunden so stehen gelassen, bevor sie auf Polizeiwachen abtransportiert wurden. „Das waren überwiegend migrantisch gelesene Kids“, sagt sie. Es sei skandalös, dass Jugendliche, die gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gegangen sind, diese am Ende selbst erfahren müssten.

Laut Polizei wurden elf Menschen vorläufig festgenommen, weitere 36 kamen in Gewahrsam. Darunter seien ein 13-jähriges Kind und 19 Jugendliche gewesen. Alle seien wieder freigelassen worden, der letzte Jugendliche um 1:45 Uhr.

Viele Demonstrant*innen hatten kaum Erfahrung mit der Polizei Foto: Miguel Ferraz

Audrey B. bezeichnet das Eingreifen der Polizei als „unnötig“. Die Mehrheit habe nur ein Zeichen setzen wollen und sei nicht an den Ausschreitungen beteiligt gewesen. Weitere Demonstrationen seien noch nicht geplant. „Aber das ist nicht das Ende“, kündigt sie an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Die Militanz von jenen, die die Demo okkupierten hat mit Achtung vor dem Leben / BLM null zu tun.

    Wie blöd kann man nur Sein um unter dem Motto "xxx Lives Matter" Menschen verlogen mit Gegenständen, Flaschen zu bewerfen, Menschen mit Feuerwerk zu beschiessen und zu denken dass das etwas mit "Lives Matter" zu tun hat, gar dass das auch noch durchgewuncken wird.

    Da spielt die übliche pseudolinke militante G20 Szene wieder ihr übliches Spiel, der es schnuppe ist auf welcher Demo sie gerade ist.

    Das Ergebnis wird Emily Laquer von der Interventionistischen Linken (IL) ja wieder als einen "Erfolg" ( taz.de/Emily-Laque...egen-G20/!5426419/ ) verbuchen.

  • RS
    Ria Sauter

    Demo gegen Rassismus ist wichtig und es lässt hoffen,wenn soviele sich beteiligen.



    Was nicht geht, ist das völlige Ignorieren der Maskenpflicht und des Abstandhaltens.



    Wenn dann noch ohne Maske lautstark Parolen gebrüllt werden, ist das unverzeihlich und macht wütend.

  • Da hier die Kommentarspalte aus dem Twitterfeed der Polizei zu kommen scheint: klar ist eine solche Demo heikel in diesen Zeiten.

    Trotzdem.

    Ich bin diesen vielen Menschen dankbar, die auf die Strasse gegangen sind. Es ist ja nicht so, dass nur die USA dieses "Problem" haben: was ist mit Aristeidis L. [1]? Was mit Ouri Jalloh [2]?

    Es ist nicht so, dass hier "ausländisch gelesene" Menschen gleichbehandelt würden.

    Ich hätte mir bei der Polizei mehr Geduld und zurückhaltung gewünscht.

    [1] taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam



    [2] taz.de/Mutmasslich...y-Jalloh/!5633806/

    • @tomás zerolo:

      Das ist kein Zusammenhang, das sind nur Rechtfertigungen für Gewalt auf einer Black Lives Matters Demo gegen Polizisten unter den sich Menschen, auch Menschen mit Migrationshintergrund verbergen.

  • taz: "Laut Polizei wurden elf Menschen vorläufig festgenommen, weitere 36 kamen in Gewahrsam. Darunter seien ein 13-jähriges Kind und 19 Jugendliche gewesen. Alle seien wieder freigelassen worden, der letzte Jugendliche um 1:45 Uhr."

    Da kann man ja jetzt nur noch hoffen, dass die Hamburger Polizei es diesmal ohne Schmerzgriffe geschafft hat, die Jugendlichen "abzuführen".

    Am 22.09.2019 konnte man in der taz lesen: "Hamburgs Polizei wird für ihr hartes Vorgehen bei der Räumung von Sitzblockaden beim Klimastreik kritisiert. [...] Ein Video etwa zeigt, wie ein Polizist einer Jugendlichen mit gefärbten Haaren den Kopf verdreht, während ein weiterer Beamter neben ihr kniet und versucht, an ihren Fingern Schmerzgriffe anzusetzen." taz.de/Polizeieins...lockaden/!5624980/

  • Richtig ist, das die Polizei die Demo am Jungfernstieg vor der Europapassage eingekesselt hatte, sowie alle U-Bahneingänge und Seitenstraßen in dem Bereich gesperrt hatten, um dann kurz nach 18.00 Uhr zum geplanten Demo-Ende endlich zuschlagen zu können.



    Es gab keinen ersichtlichen Grund dafür, außer das die Wasserwerfer wohl nicht umsonst aufgefahren sein sollten.



     

    Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich.

    Die Moderation

  • In allen Ehren, aber die Pandemien unterscheidet nicht wirklich zwischen Hautfarbe und Herkunft (auch wenn sozio-ökonomische Faktoren und meinetwegen auch struktureller Rassimus auch in Deutschland einen Einfluss haben kann, wobei ich da keine Daten kenne).

    In so einer Situation sich dann - bei berechtigten - eigenem politischen Einzelinteresse, teilweise wie die Axt im Walde zu verhalten und als Veranstalter und Teilnehmer keine Verantwortung dafür zu übernehmen ist assi und führt für mich dazu dass es mir schwer fällt, sich mit der Sache zu solidarisieren.

    Und dass die TAZ die solidarische Verantwortung der Teilnehmer und Veranstaltung einfach bei Seite wischt bzw. nicht erwähnt oder nur wegentschuldigt ist nach 3 Monaten öffentlicher Dauerbeschallung in Bezug auf Corona-Prävention eigentlich nur schwach und irgendwo auch diskriminierend.

  • Mir fehlt in der Berichterstattung die Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese Demos in der gegenwärtigen Corona-Pandemie nicht direkt zu einer zweiten Infektionswelle führen werden.



    In Madrid hat eine Demo im März zu dem schweren, tödlichen Pandemie Verlauf in Spanien geführt.



    Warum soll das hier anders sein?



    Und warum interessieren sich diese jungen Leute nicht dafür, ob sie gerade ihre Eltern und Großeltern anstecken und vielleicht damit umbringen?



    Es ist auch ziemlich unverständlich, warum eine ansonsten brutale hamburger Polizei, der im Pepermölenbeek eine Vermummung reichte, um eine bis dahin friedliche Demo mit brutaler Härte aufzulösen, hier plötzlich nicht durchgreift, wenn zentrale Auflagen nicht eingehalten werden.



    Ich hoffe, das wir mit diesen Demos nicht unseren wirtschaftlichen Untergang eingeleitet haben, das wird sich in 2 Wochen zeigen.



    Und ich hoffe, das die Polizei zukünftig solche Demos verhindert. Bis wir einen Impfstoff haben.

    • @neu_mann:

      Das wäre gut. Aber dann bitte auch differenziert.



      Haben Sie Quellen für die Behauptungen über Spanien? Das eine einzige Demonstrattion eine Zweite Welle auslöst halte ich sonst erstmal für unwahrscheinlcih. Gerade in einem Staat wie Spanien der noch stärker als Deutschland dezentral Organisiert ist.

      Dann müssen wir auch bitte auf dem Boden der Wissenschaftlichen Tatsachen bleiben. Eine davon: das Ansteckungsrisiko ist draußen etwa 19 mal geringer als Drinnen (NDR Podcast mit Drosten + seine Quellen).

      Zusammen mit unserem jetzigen Kentnisstand über Aerosolverbreitungen in geschlossenen Räumen (ebenfalls NDR Podcast) würde ich erstmal annehmen das die Öffnung des Einzelhandels, Restaurantbesuche auch drinnen und schulöffnungen dramatischer sind. (15.0000 Leute mögen erstmal viel sein, verglichen mit der Zahl der menschen die in Hamburg tag täglich länger als 15 Minuten (ab da wirds gefährlich) in Geschäfften und Restaurants verbringen aber doch nicht mehr so hoch.

      Trotzdem natürlich nicht das beste während einer Pandemie.



      Das schien der allergrößten Zahl der Teilnehmer*innen auch bewusst zu sein. Flächendeckend MAsken und Versuche Abstandsregeln einzuhalten. Auf einschlägigen social Media Seiten wird dazu aufgerufen diese Woche (neue Qurantäne Regeln) soziale Kontakte einzuschränken.

      Für mich wirkt die Kritik an den Demos daher immer eher wie vorrauseillender Gehorsam unseres Neoliberalen Systemsgegenüber das Profite vor Menschenrechten, Leben und Versammlungsfreiheit setzt.

    • @neu_mann:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Fakten.

      Die Moderation

  • an die adresse der krawaller ...

    civil behaviour matters ... im öffentlichen raum.