Volksinitiative für Grundeinkommen: Ganz leise Hoffnung auf Erfolg
In Rekordzeit sammelte „Hamburg soll Grundeinkommen testen“ genug Unterschriften. Die Hansestadt ist allen anderen einen Schritt voraus.
U nterschriften gesammelt haben sie, ehe Corona auch in Hamburg alles lahmlegte. So ganz klassisch, Listen ausgedruckt, Flyer eingesteckt, Plakate gebastelt und los – dahin, wo möglichst viele Menschen sind. Auch Daniela Schulze hat sich ein Plakat gemacht und das durch den Hamburger Sturm getragen, der Mitte Februar bis Anfang März durch die Stadt wehte.
„Ich hab das hier noch rumstehen, Zettel ausgedruckt, auf einen Pappkarton geklebt, zwei Ösen rein und um den Hals gebunden“, es kruschelt durch den Hörer, als sie aufsteht und zu ihrem Plakat geht. Schulze lacht, als sie es findet. „Die Farben waren etwas unglücklich gewählt, Blau, Gelb und ein bisschen Rot. Viele dachten, wir kommen von der FDP.“
Auf dem Plakat stand: „Expedition Grundeinkommen – gemeinsam zum staatlichen Modellversuch“, Schulze liest es vor. „Dann noch unsere Homepage und: Jetzt hier unterschreiben. Ja, das ist es.“
Genau, das ist es, was die Initiative „Expedition Grundeinkommen“ will. Die in Berlin ins Leben gerufenen Initiative will staatliche Modellversuche für das bedingungslose Grundeinkommen, wissenschaftlich begleitet, um herauszufinden, welche Effekte es hat, wenn Menschen jeden Monat Hunderte Euro bekommen – einfach so, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen.
Ihr Ansatz ist, entsprechende Volksinitiativen zu initiieren, außer in Hamburg noch in Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin und Bremen. In Hamburg haben es rund 300 Aktivist*innen geschafft, am ersten Wochenende im März, zugleich dem letzten vor dem sogenannten Shutdown, die letzten fehlenden Unterschriften für die Volksinitiative „Hamburg soll Grundeinkommen testen“ zu sammeln.
1.600 Unterschriften an einem Tag
Auch Daniela Schulze und ihr Plakat waren unterwegs. „Wir haben eine kleine Challenge draus gemacht – welche Gruppe sammelt am meisten Unterschriften? Um ein bisschen Schwung in die Sache zu bringen“, sagt Schulze. Sie war vor dem Millerntorstadion in St. Pauli sammeln. Wo jetzt nur ein weites Feld ist, gesprenkelt mit Menschen, die sich in großen Bögen aus dem Weg gehen, waren am 1. März Tausende Fußballfans. Drinnen im Stadion gewann Pauli das bis auf Weiteres letzte Heimspiel gegen den VfL Osnabrück mit 3:1 und draußen sammelten sie mehr als 1.600 Unterschriften.
Binnen drei Wochen hat die Volksinitiative „Hamburg soll Grundeinkommen testen“ 13.421 Unterschriften gesammelt und beim Senat eingereicht. 10.000 Unterschriften waren nötig. Nach Angaben der Senatsverwaltung war die Initiative in Rekordzeit erfolgreich – nur die Initiative „Hamburg für gute Integration!“ war 2016 schneller. Hamburg ist nun das erste Bundesland, in dem die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid für ein bedingungsloses Grundeinkommen genommen worden ist. Am 22. April steht das Thema auf der Tagesordnung der Bürgerschaftssitzung.
Bis zum 2. September hat die Bürgerschaft dann Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Lehnt sie die Forderung ab, besteht die Möglichkeit, ein Volksbegehren anzustrengen. Dafür muss sich mindestens ein Zwanzigstel der wahlberechtigten Hamburger*innen in ausliegende Listen eintragen. Das bedeutet: 65.000 Unterschriften.
Daniela Schulze, Volksinitiative „Expedition Grundeinkommen“
Schulze und ihre Mitstreiter*innen haben die ganz leise Hoffnung, dass ihr Anliegen quasi im Windschatten der Corona-Krise vom Senat vielleicht gleich umgesetzt, der Modellversuch gestartet wird. Aber vermutlich passiert das nicht, und dann beginnen im Sommer die Planungen, damit sie im Januar wieder loslegen können mit dem Sammeln der Unterschriften. Ihr Ziel: ein Volksentscheid, der parallel zur Bundestagswahl 2021 stattfinden soll.
2023 könnte das dreijährige Experiment starten. Die Kosten dafür werden in Hamburg auf rund 38 Millionen Euro geschätzt, verteilt auf acht Haushaltsjahre, finanziert aus der sogenannten allgemeinen zentralen Reserve im Etat.
Die Kosten sind eines der Hauptargumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Je nach Ausgestaltung würden die unterschiedlich hoch ausfallen. Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg und Autor des Buches „Radikal gerecht“, rechnet bei einem Grundeinkommen von monatlich 600 Euro für alle Deutschen mit Kosten von 576 Milliarden Euro und bei 2.000 Euro mit 1,9 Billionen Euro pro Jahr.Zum Vergleich: 2018 beliefen sich die Gesamtkosten für die sozialen Sicherungssysteme auf 996 Milliarden Euro, das geht aus dem Sozialbudget des Bundesarbeitsministeriums hervor.
Finanzierung ist ein Knackpunkt
Gegenfinanziert werden müsste so ein Grundeinkommen auch, die Ansätze reichen da von einer Vermögenssteuer (die könnte selbstredend auch wieder eingeführt werden, ohne gleich das ganze System auf links zu drehen) über Konsumsteuern bis zu Finanztransaktionssteuern oder einer Kombination mehrerer Ansätze. Jedenfalls versteckt sich hier die Gretchenfrage.
Wer auf „Nun sag, wie hast du’s mit dem bedingungslosen Grundeinkommen“ am Ende bei „zu teuer“ landet, lehnt es ab. Punkt, Aus, Ende der Debatte. Und sehr viele seien ja erst mal skeptisch, sagt Schulze über ihre Erfahrungen aus dem Sammeln der Unterschriften. Sie habe da sehr viele Gespräche geführt. Die Idee eines staatlichen Modellversuchs habe dann doch viele überzeugt. „Was man nicht probiert hat, kann man weder befürworten noch ablehnen“, sagt sie.
Ein Versuch wäre eine recht sanfte Methode, um eine so radikale Idee mal anzufassen. Auch in anderen Ländern wie Finnland, Kanada oder Kenia wurde das bedingungslose Grundeinkommen bereits getestet – in unterschiedlichen Versuchsanordnungen. Erfolg oder Misserfolg sind da immer schwer zu bewerten, denn es kommt darauf an, wer da nach welcher Prämisse ein Resümee zieht.
Beim bedingungslosen Grundeinkommen spielen viele Ebenen mit hinein. Für wen die Frage nach der Freiheit des Einzelnen oder das Ende des Drangsalierens der Bedürftigen durch die Behörden wichtig ist, wird in jedem Fall zu einem anderen Schluss kommen als jemand, der es zum Beispiel grundsätzlich ungerecht findet, wenn auch gut und super Verdienende Geld vom Staat bekämen.
Ärmere sollen mehr bekommen
Die Details für einen möglichen Modellversuch in Hamburg sind noch nicht ausgearbeitet, aber in Grundzügen steht die Idee: Es sollen 2.000 Hamburger*innen drei Jahre lang ein monatliches Grundeinkommen bekommen, diskutiert werden Summen von 200 bis 1.300 Euro für jeden Erwachsenen, Ärmere sollen mehr bekommen als Reiche. Verschiedene Szenarien sind bisher vorstellbar.
Zum Beispiel könnte nach dem Willen der Initiative auch eine Gemeinschaft von Obdachlosen gefördert werden, ähnlich wie bei dem Housing-first-Ansatz, bei dem Wohnungslose bedingungslos eine Wohnung bekommen, also nicht erst nachweisen müssen, dass sie trocken sind oder sich sonst wie erwünscht verhalten. Diskutiert wird aber auch, beispielsweise alle Menschen in einem Wohnblock zu fördern, um zu sehen, wie sich eine solche Gemeinschaft entwickelt, wenn alle ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen. Was genau genommen alles nicht mehr bedingungslos wäre. Aber nun, es soll ja nur ein Versuch sein.
Im Prinzip steckt hinter all dem eine urtypische liberale Idee, nach der die persönliche und wirtschaftliche Freiheit zusammengehören. Bereits in den 1960ern forderte der liberale Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman für Einkommen unter dem Existenzminimum eine sogenannte negative Steuer, das heißt: einen Zuschuss durch den Staat. Eine solche Maßnahme sei am wirkungsvollsten zur Bekämpfung der Armut, denn die Menschen bekämen unbürokratisch Bargeld.
Außerdem war Friedman für drastische Senkungen der Spitzensätze, wollte im Gegenzug die Steuerbasis breiter aufstellen und hielt es für unabdingbar, die ganzen Ausnahmen und Schlupflöcher im Steuerrecht abzuschaffen. Das alles liest sich wie eine Schablone für das, was jetzt bedingungsloses Grundeinkommen genannt wird.
Radikale Idee wird attraktiver
In der Corona-Krise, die viele Menschen in existenzielle Nöte stürzt, scheint diese doch radikale Idee an Attraktivität zu gewinnen und wird zumindest als vorübergehender Weg, vielleicht für sechs Monate, diskutiert, um Menschen vor der Pleite zu bewahren. Bei einer Befragung der deutschlandweit 27.500 Mitglieder von „Expedition Grundeinkommen“ gaben 85 Prozent an, das Vorhaben in der aktuellen Lage mehr denn je zu unterstützen. Aber gut, das sind ja Menschen, die sich ohnehin schon für das Konzept engagieren, auch schon vor Corona, da überrascht dieses Ergebnis nicht.
Repräsentative Umfragen, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vor ziemlich genau einem Jahr auswertete, kamen damals zu dem Schluss, dass sich etwa die Hälfte der Befragten in Deutschland für ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprechen. Die Befürworter*innen sind eher jung, höher gebildet, verdienen wenig und verorten sich politisch links.
Das ewige Bitten um Unterstützung
Daniela Schulze weiß, was es heißt, mit wenig Geld zu leben, und wie es sich anfühlt, immer wieder um Unterstützung bitten zu müssen. Sie ist 47 Jahre alt und erzieht ihren heute elfjährigen Sohn allein. Früher habe sie als Assistentin der Geschäftsführung in einem Büro gearbeitet und gutes Geld verdient, wie sie sagt. Dann kam ihr Sohn, und als ihr Arbeitgeber Insolvenz anmeldete, musste sie sich neu orientieren. Fortan war sie ständig in befristeten Arbeitsverhältnissen.
Vor ungefähr zwei Jahren hat sie angefangen, sich mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auseinanderzusetzen. „Aus der Position einer Alleinerziehenden heraus“, sagt Schulze. „Ich gehe arbeiten, aber ich bekomme immer noch zu wenig, und darum habe ich nach Unterstützungsmöglichkeiten gesucht, nach Möglichkeiten, wie man die Situation Alleinerziehender grundsätzlich verbessern kann.“
Irgendwann stieß sie auf die bundesweite Petition für den Modellversuch eines bedingungslosen Grundeinkommens bei change.org und unterzeichnete. Dann kam ein Schreiben, ob sie nicht zu einem Treffen der Gruppe „Expedition Grundeinkommen“ kommen wolle, um einen Ableger in Hamburg zu starten. Das Treffen war am 9. Februar, einem stürmischen Sonntag. „Wir hatten schon die Befürchtung, dass wegen des Sturms nicht so viele Leute kommen würden.“
Eine unbegründete Sorge. Rund 100 Leute kamen zum ersten Treffen in einer Genossenschaftsbank, die ihnen die Räume zu Verfügung stellte. Schulze gehörte zu den rund 20 Leuten, die sich schon zwei Stunden vor dem offiziellen Beginn zusammensetzten, sie wurde als eine von drei Vertrauensleuten gewählt. Lange ließ sie sich nicht bitten. „Ich bin davon überzeugt und ich hab mich auch gefreut, dass ich benannt worden bin“, sagt sie.
Das Wort „bedingungslos“ zieht an
Was Schulze an der Idee anzieht, ist das Wort „bedingungslos“. „Ich musste immer aufstocken und diese ewige Lauferei zum Amt hat mich extrem fertig gemacht“, sagt sie. Diese Bittstellerfunktion, obwohl sie Steuern zahle, arbeiten gehe, Care-Arbeit übernehme, das zehre sehr. „Immer die Frage: Schaffe ich das? Komme ich bis zum Ende des Monats?“ So ein Grundeinkommen würde für jemanden wie sie Sicherheit bedeuten. „Ich leiste ja was für die Gesellschaft, und dann bekäme ich was zurück.“
Am Wochenende nach ihrem ersten Treffen haben sie losgelegt. 80 Prozent der Unterschriften sammelten sie bei Großveranstaltungen, auf Demos und in Fußgängerzonen – in den anderen Bundesländern geht das nun nicht mehr. In Brandenburg, wo sie schon mit dem Sammeln begonnen hatten, sollen nun längere Fristen eingeführt werden. In Berlin haben sie vergangene Woche eine Crowdfunding-Kampagne über 50.000 Euro gestartet, weil sie nun Geld brauchen, um die fehlende Fußarbeit durch eine bessere Online-Präsenz auszugleichen. Sie müssen die potenziellen Unterstützer*innen dazu bringen, die Unterschriften per Post zu schicken – keine leichte Aufgabe.
Vielen Befürworter*innen des bedingungslosen Grundeinkommens geht es um eine Entkopplung von Arbeit und Lohn. „Bisher musste ich mir immer einen Job suchen, um mein Leben zu finanzieren, es war immer ein Kampf“, sagt Schulze. Sie habe ihren Arbeitgebern immer erklären müssen, warum sie nur in Teilzeit arbeiten könne.
Es werde besser, jetzt wo ihr Sohn älter werde. Aber sie erinnert sich auch daran, wie es war, als das Amt ihr auftrug, sie müssten sich in die 49 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung in Hamburg-Bahrenfeld für 700 Euro Miete einen Mitbewohner holen, weil die Wohnung zu teuer sei nur für sie und ihren damals kleinen Sohn. Den Kampf hat sie zwar gewonnen, sie durfte in der Wohnung bleiben, ohne Mitbewohner, aber vergessen hat sie das nicht. Die Erklärungsnöte, die Angst, die Fragen, die Abwertung.
Gefühl der fehlenden Augenhöhe
Die aktuelle Corona-Krise wirft Schlaglichter auf prekäre Bereiche unserer Gesellschaft. So hat SPD-Chef Norbert Walter-Borjans in der taz erklärt, dass die von der deutschen Regierung bevorzugten Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in Empfängerländern wie Italien oder Spanien auch deswegen „verpönt“ seien, weil sie „als eine Art Hartz IV für bedürftige Mitgliedstaaten“ gelten.
Dieses Gefühl der fehlenden Augenhöhe kennen auch Menschen wie Daniela Schulze. Sie hat zwar seit 2018 einen unbefristeten Job, aber noch immer in Teilzeit. Zwar sei sie „aus Hartz IV raus“, aber es reiche dennoch noch nicht, sie bekomme Wohngeld. „Dieses ganzen Aufwand könnte sich der Staat sparen und ein bedingungsloses Grundeinkommen zahlen. Denn das Geld wird ja ohnehin gezahlt, aber für die Leute wäre der Druck weg.“
Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens wie Dominik Enste vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft und Autor des Buches „Geld für alle“, warnen gern vor der Faulheit der Menschen, die sich ausbreiten und das Sozialsystem sprengen würde, wenn es Geld vom Staat gäbe. Schulze sagt, es gehe ihr nicht darum, nicht mehr zu arbeiten. „Ich müsste mir dann aber keine Gedanken machen, was passiert, wenn die Waschmaschine kaputtgeht. Ich könnte mir einen Puffer anlegen, wäre freier in den Gedanken und freier in meinem Tun und freier in meinen Entscheidungen.“
Corona sei auch ein Schub für die Idee. „Die Krise ist natürlich schlecht, könnte aber für unser Anliegen wichtig sein“, sagt Schulze. „Aber im Moment ruhen die Seen.“
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