Verfassungsgericht urteilt: Kein Grundeinkommen für Hamburg

In Hamburg darf ein Volksbegehren für ein bedingungsloses Grundeinkommen erstmal nicht durchgeführt werden. Das lässt sich aber korrigieren.

Vier Aktivist*innen der Initiative Expedition Grundeinkommen stehen vor dem hanseatischen Oberlandesgericht. Sie halten Plakate in den Händen.

Nun haben sie die Antwort: Das Volksbegehren darf in der jetzigen Fassung nicht durchgeführt werden Foto: dpa / Ulrich Perrey

HAMBURG taz | Das Volksbegehren „Hamburg soll Grundeinkommen testen!“ darf nicht durchgeführt werden. Der Gesetzesentwurf der Volksinitiative „Expedition Grundeinkommen“ ist nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Entwurf sei missverständlich, Bür­ge­r*in­nen könnten nicht angemessen nachvollziehen, welche Konsequenzen die Forderungen der Initiative haben.

In seiner Urteilsbegründung widerspricht das Gericht aber explizit dem Argument des rot-grünen Senats, Hamburg dürfe sich auf Länderebene gar nicht mit diesem Thema auseinandersetzen und nur der Bund sei dafür zuständig.

„Das Volksbegehren wahrt nicht den Anforderungen, die sich aus dem Demokratieprinzip zum Schutz der Freiheit der Stimmberechtigten ergäben, sich für oder gegen den Vorschlag zu entscheiden“, urteilte das Hamburgische Verfassungsgericht am Mittwoch. Für Rainer Ammermann von der Volksinitiative ist das hingegen nicht die wichtigste Aussage des Urteils: „Das Gericht hat festgestellt: Ein Modellversuch zum bedingungslosen Grundeinkommen ist prinzipiell mit Landesrecht vereinbar“, sagt Ammermann.

Die Initiative „Expedition Grundeinkommen“ war 2020 in Berlin gegründet worden. Sie will wissenschaftlich begleitete Modellversuche für das bedingungslose Grundeinkommen durchführen. Auch in Hamburg hatte sich daraufhin eine Un­ter­stüt­ze­r*in­nen­grup­pe gebildet.

Höchstens 40 Millionen Euro

Sie fordert, dass in Hamburg mindestens 2.000 Personen eine monatliche Geldzahlung zur Verfügung gestellt werden soll – voraussetzungslos und ohne Bedürftigkeitsprüfung über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Gesamtkosten dafür sollten bei höchstens 40 Millionen Euro liegen. Wie sie sich das Ganze konkret vorstellten, formulierten sie in einem Gesetzesentwurf.

Nachdem sie für diese Forderung im ersten Schritt der Hamburgischen Volksgesetzgebung Anfang 2020 mehr als 10.000 Unterschriften von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen an den Senat übergeben hatten, beantragten sie die Durchführung eines Volksbegehrens. Der Senat wollte sich zuvor das Ansinnen nicht zu eigen machen und lehnte eine Umsetzung ab. Zugleich äußerte er „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit des Volksbegehrens und klagte entsprechend vor dem Verfassungsgericht.

Der Senat bemängelte unter anderem, dass das Land Hamburg keine Gesetzgebungskompetenz für den Gesetzesentwurf habe – diese würde in Bundeskompetenz fallen. Dass diese Argumentation wackelig ist, hätte dem Hamburger Senat schon im März 2021 auffallen können.

Die Berliner Kol­le­g*in­nen in der dortigen Senatskanzlei kamen damals zu dem Schluss, dass ein derartiges Volksbegehrens zulässig und insbesondere mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Die Berliner Volksinitiative scheiterte jedoch letztlich, weil sie nicht genug Un­ter­stüt­ze­r*in­nen fand.

Rainer Ammermann, Sprecher der Volksinitiative

„Für Hamburg hat uns das Gericht einen guten und detaillierten rechtlichen Rahmen vorgegeben“

Und so führte diese Argumentation am Mittwoch auch nicht dazu, dass das Gericht die Durchführung des Volksbegehrens dann ablehnte: Zwar handele es sich um Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge, denn die potenzielle Bedürftigkeit der Teilnehmenden solle minimiert oder beseitigt werden. Der Bund könne hier also ohne Einbeziehung der Länder Gesetze erlassen.

Indes: „Wenn Materien der öffentlichen Fürsorge nur Bür­ge­r*in­nen eines bestimmten Landes betreffen, ließen die bundesrechtlichen Vorschriften jedoch Raum für Landesgesetze, die ein Modellvorhaben zur Weiterentwicklung des Systems der sozialen Grundsicherung ermöglichen, ohne das bestehende System zu unterlaufen.“

Dass das Volksbegehren dennoch nicht durchgeführt werden darf, liegt am Gesetzesentwurf, der einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip darstellt – da gebe es zu viele Widersprüchlichkeiten und Lücken. So werde es den Abstimmenden nicht ausreichend ermöglicht, die Auswirkungen des Vorhabens zu überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abzuschätzen. Die Stimmberechtigten müssten die Rahmenbedingungen des Versuchs und ihre Auswirkungen verstehen können.

Unter anderem sei irreführend, dass von einem „bedingungslosen“ Grundeinkommen gesprochen werde – dabei enthalte der Entwurf Regelungen zu einer Einkommensanrechnung und zur Prüfung individueller Bedarfe. Auch würde er das falsche Bild erwecken, mit den monatlich 1.120 Euro für Erwachsene und 560 Euro für Minderjährige bestehe eine ausreichende Grundsicherung. Ebenfalls könnten sie nicht überblicken, ob der mit dem Modellversuch anvisierte Erkenntnisgewinn erreicht werden könnte.

„Verloren und doch gewonnen“

Rainer Ammermann gibt sich deshalb zuversichtlich, einen neuen Anlauf nehmen zu können: „Für Hamburg hat uns das Gericht einen guten und detaillierten rechtlichen Rahmen vorgegeben. Es ist positiv, dass das Gericht die Anforderungen an die Ausgestaltung des Gesetzes präzisiert hat.“

Remo Klinger, Anwalt der Volksinitiative, sieht das Urteil positiv. Es habe ihnen für das weitere Vorgehen die nötige Anleitung an die Hand gegeben. „Wir haben verloren und doch gewonnen“, sagt er. Das Gericht habe die grundsätzlichen Bedenken an der Gesetzgebungskompetenz ausgeräumt.

Joy Ponader, Mitgründerin der Expedition Grundeinkommen, will nun mit ihren Mit­strei­te­r*in­nen prüfen, wie sie weitermachen wollen. „Allerspätestens zur Bundestagswahl möchten wir einen Volksentscheid in Hamburg. Daher bräuchten wir jetzt rasch einen neuen Gesetzentwurf und den zweiten Anlauf“, sagt Ponader.

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