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Rechter Anschlag in HanauPsychologen in die Behörden!

Benno Stieber
Kommentar von Benno Stieber

Die steile These: Der Amoklauf von Tobias R. hätte durch psychologisch geschultes Personal in der Justiz eventuell verhindert werden können.

Hätte psychologische Hilfe die Morde verhindern können? Foto: Nicolas Armer/dpa

H ätte es eine Chance gegeben, die schreckliche Tat von Hanau zu verhindern, wenn man vorher erkannt hätte, wie gefährlich der Sportschütze Tobias R. ist?

Wer kann das schon mit Gewissheit sagen. Aber es lässt natürlich aufhorchen, dass die Bundesanwaltschaft diese Woche bestätigt hat, dass sie bereits im November einen Brief erhalten hatte, in dem Tobias R. seine wahnhaften Ideen über seine angebliche Überwachung durch fremde Geheimdienste ausbreitete.

Es ist unklar, ob sich aus dem Schreiben schon eine Gefahr herauslesen ließ. Es bestand wohl nur zum Teil aus dem sogenannten Manifest, jenem von Rassismus und Wahn durchsetzten Konvolut, das nach dem Tod des Attentäters gefunden wurde. Und all jene, die der Bundesanwaltschaft da jetzt eine Mitverantwortung zuweisen, machen es sich nach heutigem Stand zu einfach.

Für die Juristen in Karlsruhe wird R. damals nur einer von Hunderten gewesen sein, die sich jeden Tag mit zum Teil abstrusen Klagen an deutsche Gerichte, Behörden und auch Redaktionen wenden. Menschen schreiben von Verschwörungen oder – ähnlich wie Tobias R. – von Außerirdischen, die ihnen Chips eingepflanzt hätten. Sie schicken Steuerunterlagen in Kartons, um eine Staatsverschwörung gegen sie zu beweisen. Auch haben viele Rechtspfleger und Richter schon vor Jahren Bekanntschaft mit Reichsbürgern gemacht, als dieses Phänomen noch wenig beachtet wurde.

Die sinnlosen Eingaben verstopfen den ohnehin zähen Aktenfluss. Beim Bundesverfassungsgericht zum Beispiel sorgen offensichtlich unbegründete Verfassungsklagen für hohen Arbeitsaufwand, weil jeder Bürger erst einmal ohne jede formale Voraussetzung Klage einreichen kann. Es kommen so viele Beschwerden, dass schon mal eine Strafgebühr für offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerden im Gespräch war.

Querulanten heißen solche Leute unter Juristen. Es gibt eine regelrechte Szene, die sich in Internetforen über die richtigen juristischen Wendungen austauscht, mit denen sie erreichen können, dass sich ein Gericht mit ihrer Klage beschäftigen muss. Es gibt auch pensionierte Richter, die die Querulanten beraten, um ihren ehemaligen Kollegen etwas heimzuzahlen. Die Diagnose für dieses Verhalten lautet „krankhafter Querulantenwahn“, auch wenn sie unter Experten umstritten ist.

Menschen helfen, wo sie auffällig werden

Die wenigsten Querulanten greifen später zur Waffe. In dem roten Band „Querulanz in Gericht und Verwaltung“, einem der wenigen Bücher, in dem sich Psychologen mit dem Phänomen anhand empirischer Daten beschäftigen, kann man nachlesen, dass ein wesentliches Bedürfnis vieler darin liege, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und es gebe nur ein Rezept, das hilft: „Erfahrene Juristen berichteten, dass durch ausführliche Gespräche hartnäckige juristische Auseinandersetzungen beendet werden konnten“, schreiben die Autoren.

Dafür ist im Alltag von Behörden allerdings wenig Zeit, und Juristen sind dafür auch nicht qualifiziert. Deshalb wäre es geboten, dass Behörden bei solchen Fällen mit Psychologen oder Sozialarbeitern zusammenarbeiten, statt die Briefe der nervigen Beschwerdeführer mit einem Aktenzeichen im Archiv zu entsorgen.

Aber dazu müssten erst einmal rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden. Denn Behörden dürfen Anzeigen oder Eingaben nicht einfach an den Psychologischen Sozialdienst weitergeben. Das verhindert der Datenschutz. Nur wenn offensichtliche Gefahr droht oder eine Straftat angekündigt wird, müssen die Behörden handeln.

Der Fall von Tobias R. zeigt, dass vielleicht Schlimmstes hätte verhindert werden können, wenn qualifiziertes Personal dieses Dokument des Wahnsinns nicht nur unter juristischen, sondern auch unter psychologischen Gesichtspunkten geprüft und mit dem Absender Kontakt aufgenommen hätte.

Man sollte Menschen da helfen, wo sie auffällig werden. Gerichte und Behörden sind ein Magnet für Querulanten – und übrigens auch Journalisten. Vor einigen Jahren stand ein Mann mit einem Rollkoffer voller Papiere vor meiner Tür. Nachdem er bei der Bundesanwaltschaft abgeblitzt war, wollte er nun einem Journalisten Beweise dafür vorlegen, dass ihn eine Stadtsparkasse im Schwäbischen um sein Haus gebracht hatte.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Aus den Dokumenten konnte man das nicht so einfach herauslesen, Kopien wollte er mir nicht überlassen. Nach zweieinhalb Stunden zog er weiter. Er war zornig, aber wahrscheinlich nicht gefährlich. Psychologische Betreuung hätte er mit Sicherheit gebrauchen können.

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Benno Stieber
taz-Korrespondent BaWü
Benno Stieber ist seit 2015 Landeskorrespondent der taz in Baden-Württemberg. In Freiburg als Österreicher geboren, lebt er heute als eingefleischter Freiberufler wieder im badischen Landesteil. Er ist Absolvent der "Deutschen Journalistenschule" in München und hat dort auch Geschichte und Politik studiert. Er schrieb unter anderem für die "Financial Times Deutschland", hat einen erfolgreichen Berufsverband gegründet und zwei Bücher geschrieben. Eins über Migranten nach der Sarrazin-Debatte und eins über einen Freizeitunternehmer aus dem Südwesten.
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10 Kommentare

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  • Ihre sog. Steile These geht in die richtige Richtung. Es handelte sich um einen rassistisch motivierten Täter. Gleichzeitig war dieser Mensch zweifellos schwer psychisch erkrankt - seit Jahren, chronifiziert und unbehandelt. Es ist Aufgabe des ÖGD (Öffentlichen Gesundheitsdienst) sich eben um diese schwer(st) kranken Menschen zu kümmern (sog. vor- und nachsorgende Hilfen im PsychKG (welches allerdings länderspezifisch ausformuliert ist)). Der ÖGD - zumindest auf kommunaler Ebene - wurde seit Jahren kaputt gespart (was auch aktuell an anderer Stelle deutlich wird: Stichwort "Corona"). Diese chronische Unterfinanzierung des ÖGD ist durchaus ein erhebliches Problem - mit Folgen. Den Beweis im Einzelfall zu führen, dass entsprechende Hilfsangebote eine konkrete Tat hätten verhindern können, ist natürlich nicht bzw. kaum möglich. Statistisch betrachtet gibt es gute Gründe für die Annahme, dass ein stärkerer ÖGD auf kommunaler Ebene mehr Menschen erreichen könnte - und in Einzelfall ggf. sie und Dritte vor Schaden schützen würde. Mehr psychologische bzw. psychiatrische Expertise und mehr Personal im ÖGD und in der Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften wäre eine wichtige quasi primärprophylaktische Strategie unserer Gesellschaft. Leider wurde eine solche in den letzten Jahren nicht verfolgt,(auch) weil sie nicht für kurzfristige Erfolgsmeldungen in der Politik geeignet ist und sich somit nicht für Profilierungen einzelner Politiker nutzen lässt.



    Herr Stieber, Dank für diesen Beitrag - und bleiben Sie bitte mit Ihrer "steilen These" am Ball, denn es bedarf diesbzgl. noch einer Menge Aufklärungsarbeit (wie auch die versch. Kommentare dieser Meinungsspaltespalte zeigen, die a.e. fehlende Sach- und Fachkenntnis bei gleichzeitigem Drang, die eigene undifferenzierte Meinung hinauszuposaunen, eindrucksvoll dokumentiert). Viele Erfolg dabei!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Mit dem Helfen ist das so eine Sache. Nicht nur in Deutschland, aber offenbar besonders hier.

    Manch Einer kam in den Genuss von 'Hilfen', die er nie wollte und brauchte.

    Ich kenne das Leben auf beiden Seiten der Barrikaden. Deshalb:

    Bitte, nicht helfen. Es ist auch so schon schwer genug.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      absoluter Brüller, leider ist es auch noch wahr. Danke

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Wechseln wir mal die Perspektive.



    Betrachten wir die Realität aus den Augen des Bürgers.



    Sind dann nicht Behörden, ihre Ver(w)altungsrichtlinien, eine Beamtenmentalität, die sich seit den Zeiten preussischer Ordnung scheinbar nicht weiter entwickelt hat und eine zunehmende Missachtung gesellschaftlichen Miteineinanders IN DEN Behörden ein Symptom des Niederganges unserer Gesellschaft?

  • Der Vorschlag geht in die Irre.



    Wenn solche Leute bei den Behörden auch noch Aufmerksamkeit und Betreuung erfahren, dann werden noch mehr sich noch nachdrücklicher äußern.



    Und was bringt das?



    Nix!



    So viele Psychologen gibt es gar nicht, wie dafür nötig wäre...

  • Treffen sich zwei Psychiater, fragt der eine den anderen: "Was sind sie eigentlich, Lügner oder Scharlatan?" Antwortet der andere: "Scharlatan!"

    An manchen Anschuldigungen des Hanauer Attentäters könnte durchaus was dran sein, dass wissen auch Journalisten. Aber wir sind sportlich und wissen das wir lügen aber glauben unseren Lügen? Jedenfalls hätte der Anschlag vermutlich verhindert werden, wenn die Behörden dem mal nachgegangen wären. Im Gegensatz zu Frankreich ist allerdings die gezielte seelische Schädigung von Erwachsenen in Deutschland, solange dies keine körperliche Schädigung zur Folge hat, nicht strafbar.

  • Die große Frage dabei ist, was Psychologen in solchen Fällen überhaupt zuverlässig leisten können und wie groß das Risiko übschießender Beurteilungsmanien ist. Was wir gar nicht brauchen, das sind moderne Formen der Kaffeesatzleserei und der Drangsalierung ungeliebter Personen unter dem Deckmantel "psycholigisches Gutachten", denn da ist es bereits ein Zuviel, daß sich solche Mißstände vor den Gerichten ausgebreitet haben.

    • @wxyz:

      volle Zustimmung

    • @wxyz:

      Darum geht es meiner Ansicht nach gar nicht. Selbstverständlich ist es nicht möglich, allein aus verschwurbelten schriftlichen Eingaben zu einer medizinischen Diagnose zu gelangen. Dazu benötigt geschultes Personal oft Monate mit unzähligen Sitzungen.



      Man kann jedoch rote Linien ziehen, z.B. querolatorisches Verhalten von wahnhaft-aggressiven unterscheiden. Würde dann im letzteren Fall ein Abgleich mit dem Waffenregister einen Treffer bringen, wäre es möglich, weitere Schritte in die Wege zu leiten, z.B. die Waffen einzuziehen.



      Daher wäre es meiner Ansicht nach auch erforderlich, die Namen naher Angehöriger mit in das Waffenregister aufzunehmen. Diese haben zwar keine Berechtigung, eine Waffe zu führen, aber die Möglichkeit, sie an sich zu nehmen und zu benutzen.

      • @Cerberus:

        Die nahen Angehörigen mit einzubeziehen, bringt da nur wenig bis gar nicht. In Betracht kommen auch Freunde, Bekannte und Gelegenheitsbekanntschaften. Weiterhin läßt sich so ziemlich alles auch als Waffe einsetzen, egal, ob Auto, Benzinkanister usw.

        Ich meine, man muß damit leben, daß auch unser Staatsgefüge nicht frei von Risiken ist. Anzunehmen, daß drastischere Maßnahmen bzgl. Waffenbesitz etwas nützen, dürfte da wohl nur für Menschen interessant sein, die meinen, daß Kriminelle die Gesetze einhalten.