Streit über Lebensmittelpreise: Lobbyisten fürs Essen
Die Kanzlerin weist Forderungen nach staatlicher Preisregulierung zurück. Ihre Landwirtschaftsministerin droht mit Bußgeldern.
Das Ergebnis des Spitzentreffens, an dem auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) teilnahmen, ist allerdings dürftig. Merkel stellte klar, dass es keine von der Politik verordneten Mindestpreise für Lebensmittel geben wird. Das hatten Politiker der Linken gefordert. Stattdessen setzte die Kanzlerin auf „faire Beziehungen“ zwischen Lieferanten und Verkäufern. Das soll die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette, die sogenannte UTP-Richtlinie, sicherstellen. Sie müsste zwar erst im kommenden Jahr in deutsches Recht umgesetzt werden, doch Klöckner drückt aufs Tempo. „Ich will das sehr schnell umsetzen“, kündigte sie an.
Die vier großen Handelsunternehmen Edeka, Lidl, Rewe und Aldi beherrschen 85 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland. Die Marktmacht nutzen sie nach Einschätzung Klöckners unredlich aus, um die Erzeuger unter Druck zu setzen. Zu den Praktiken gehört, Ladungen von Frischware kurzfristig zu stornieren, ohne die Landwirte dafür zu entschädigen. Auch mit der Bezahlung der Ware dauert es schon mal drei Monate. Erwartet wird von den Handelsketten auch, dass sich Erzeuger und Industrie an Werbeaktionen oder Sonderangeboten beteiligen. Wer nicht spurt, wird von den Einkäufern mitunter nicht mehr berücksichtigt. Derlei Praktiken werden mit der Umsetzung der UTP-Richtlinie verboten oder nur noch erlaubt, wenn dies die beiden Vertragsparteien vereinbaren.
Klöckner kündigte Sanktionen für Verstöße gegen die Regelung an. Dann gebe es Bußgelder für die Unternehmen. Damit den Behörden unlautere Methoden bekannt werden, will sie eine Beschwerdestelle für die Lieferanten einrichten, an die sich betroffene Lieferanten wenden können, ohne Angst vor einer Auslistung ihrer Produkte. Auch eine weitere Sektoruntersuchung über die Konzentration im Lebensmittelhandel sei geplant. „Wir machen keine Preise in der Politik“, sagte die CDU-Politikerin. Gleichwohl hält sie die gängigen Rabattaktionen für falsch. „Zwei Kilogramm Äpfel für 1,11 Euro“, fragte sie, „wie soll das funktionieren?“
Lockangebote für die Kunden
Die Debatte um den Preiswettbewerb im Handel kocht seit vielen Jahren immer wieder hoch, ohne dass sich an der Billigstrategie der Ketten etwas geändert hätte. Ein Grund dafür sind die Verbraucher, die bei Rabattaktionen kräftig zugreifen. Wer auf Sonderangebote verzichtet, verliert Kunden. So mahnt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentrale (vzbv), Klaus Müller, die Interessen der Verbraucher an preiswerten Lebensmitteln nicht außer Acht zu lassen. Viele Kunden seien bereit, für mehr Qualität mehr zu bezahlen. Doch laut Müller können sie die Qualität anhand des Preises gar nicht einschätzen.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch sieht es ähnlich. „Ein höheres Preisschild an Lebensmitteln ist eben kein verlässlicher Indikator für eine höhere Qualität, eine bessere Tierhaltung oder eine faire Bezahlung der Landwirtinnen und Landwirte“, sagt Geschäftsführer Martin Rücker. Foodwatch macht ein Versagen in der Agrar- und Kartellpolitik für die Missstände verantwortlich. Grünen-Chef Robert Habeck fordert derweil einen Fleisch-Cent Aufschlag, mit dessen Einnahmen Investitionen der Landwirte ins Tierwohl gefördert werden könnten. Das lehnte Klöckner prompt ab.
Rewe-Chef Lionel Souque verteidigte dagegen die Preisgestaltung des Handels. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze“, sagte er der dpa. „Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“
Die Debatte ist zwar in vollem Gange, tritt aber inhaltlich bisher auf der Stelle. „Es ist der Start eines Prozesses“, räumte Klöckner nach dem Spitzentreffen auch ein. Im Dezember hatte sich Merkel bereits mit Vertretern der Landwirte getroffen. Die Bundesregierung bemüht sich sichtlich um eine Moderation des Konfliktes zwischen der konventionellen Nahrungsmittelwirtschaft und Klimaschützern nebst Biobranche sowie den Verbraucherinteressen. Sehr viel näher gekommen, das zeigte der neuerliche Gipfel, sind sich die Beteiligten bisher noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“