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Was tun mit linkem Shoah-Relativierer?Der meint das ernst

Alexander Diehl
Kommentar von Alexander Diehl

Ein 18-jähriger Hamburger Linken-Parlamentskandidat twittert von den Nazis als „größten Klimasünder*innen“. Nur ein Ausrutscher?

Diese Frau ist gerade ausgerutscht Foto: Lukas Barth/dpa

D er „Klima-Holocaust“ also tötet „in diesem Moment Millionen Menschen und Tiere“? Die Nazis, ausgerechnet, gehören „zu den größten Klimasünder*innen“?! Sicher: Er ist noch jung, jener Hamburger Linken-Kandidat, der solches getwittert hat. Aber er ist alt genug, um Kraftfahrzeuge zu führen – in der Welt des @tomradtkede vielleicht gleich das nächste Verbrechen –, Geschäfte abzuschließen und zu wählen. Und: drei Tweets derselben Tonart, auch wenn recht flott hintereinander weggerülpst?

Mit 18 ist so einer doch ein Digitaler Eingeborener, kann sich also nicht rausreden mit irgendwelchen Ausrutschern. Zumal: Ausdrücklich die Netzpolitik nennt er das zweite „Thema mit dem ich mich beschäftige“ (sic!). Und nachdem er spät am Dienstag sogar noch nachgelegt hat, auf Anfrage einer Nachrichtenagentur, werden wir annehmen müssen: Der meint das ernst.

Nun ist es ja nicht das allererste Mal, dass sendungsbewusste Überzeugungstäter*innen sich solcher Rhetorik bedienen, um ihr Anliegen stärker zu machen. Da war ja nicht mal dieser Extinction-Rebellion-Guru Avantgarde, der dann, nachdem die deutschen Mitstreiter*innen ihn ermahnten, ein wenig weinerlich Reue bekundete. Nein, an die Relativierung der Schoah reicht gefühlt auch jeder zweite ach so clevere PR-Coup der Tierschützer von Peta heran – und die so beliebte Rede vom KZ-Huhn erst recht.

Wen es nun nicht überzeugt, im naiven Jung-Linken einen Nachweis anzutreffen fürs Verkommene dieser Klimafanatiker*innen insgesamt; wem es nicht behagt, gleich wieder Sportwagen fetischisierenden Mitte-Gläubigen zuzusehen, wie sie nun „linken“ Antisemitismus entlarvt haben wollen: Was tut der (oder die)?

Ein Klagelied anstimmen übers Schulsystem, das 18-Jährige mit derart haarsträubendem Faktenwissen ausstattet (respektive dessen Abwesenheit)? Nach den Eltern rufen? Oder lieber Trolle am Werk sehen und eine Verschwörung – immerhin gibt’s das Profil, unter dem die anstößigen Zeilen getwittert wurden, ja erst seit diesem Monat?

Man könnte, mit sehr viel Wohlwollen, ja eine geschickte Provokation in all dem erkennen können: ein gezieltes Pieksen an einer neuralgischen Stelle, einen Move gegen das zunehmend in Andacht erstarrende Gedenken, so eine Art missverstandene „Zentrum für Politische Schönheit“-Nachahmung. Aber damit lägen wir daneben bei diesem Hamburger Daneben-Greifer.

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Alexander Diehl
Redakteur taz nord
Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.
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10 Kommentare

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  • Warum wird die fast vollständige Vernichtung einer Volksgruppe durch den Vergleich mit der fast vollständigen Vernichtung der Menschheit, Pflanzen- und Tierwelt relativiert?



    Ich hätte jetzt erwartet, das letzteres durch den Vergleich verharmlost wird nicht umgekehrt.



    Kann mir das einer erklären ... der Artikel versucht es leider nicht mal?

    • @Franz Georg:

      this.is.ridiculous, boidsen und SchnurzelPu, eure Antworten gehen in die gleiche Richtung, beispielhaft: "Weil Ersteres mit voller Absicht und Niedertracht getan wurde."



      Der Klimawandel ist spätestens seit den 1970ern zweifelsfrei belegt, doch statt zu reagieren wird nur beschwichtigt und gelogen ... und weiter Gewinne gemacht ... das ist schon sehr viel Absicht und Niedertracht bzw. Bösartigkeit dabei :-/



      Jeder kennt die Folgen der neoliberalen Politik, jeder sieht sie, keiner kann sagen "Ich hab von nichts gewusst" (trotzdem wird es jeder machen ... genauso wie im/nachm 3. Reich).



      Bis auf den Unterschied, dass die damals die Menschen, die sie ermordeten, auch aus tiefsten Herzen gehasst haben, werden die Opfer heute nur aus Rücksichtslosigkeit und Gier getötet.

      Es ist ja nicht nur die Anzahl der Toten, das persönlich Elend und Leid der Opfer ist auch vergleichbar. Warum ist die Komponente des Hasses hier so entscheidend, wenn die Folgen doch schwerwiegender sind?

    • @Franz Georg:

      Der Unterschied liegt in der bösen Absicht. Die kann man beim Klima auch unterstellen, der Vergleich hinkt aber.

      Ich bin auch der Meinung, dass die Klimakatastrophe, in die wir immer tiefer reinschlittern, die wohl krassere Zäsur darstellen wird. Und trotzdem finde ich den Vergleich nicht angebracht, da das moralische Versagen beim Holocaust doch deutlich schwerer zu ertragen ist als die Unvernunft, und die Trägheit, in der wir uns viel eher selbst erkennen.

    • @Franz Georg:

      Der Unterschied ist ein ganz entscheidender. Er liegt nicht in Anzahl tatsächlicher oder in Zukunft zu befürchtender Opfer. Er leigt vielmher darin, dass der Holocaust bewusst, geplant und mit voller Absicht ausgeführt wurde, während Umweltzerstörung nicht absichtlich, sondern sozusagen als Kollateralschaden unseres von Gier und Selbstsucht geprägten Lebenstils entsteht.



      Die Relativierung des Holocaust besteht in diesem Fall deshalb darin, dass er beim Vergleich mit dem anthropogenen Klimawandel als eine Art Unfall dargestellt wird. Das ist, neben der Leugnung, übrigens auch eine Variante, wie der Rechtsextremismus mit der Schoah umgeht: Der Massenmord der Nazis wird als unvermeidbare Folge des Abwehrkampfes der Deutschen gegen ihre Feinde bezeichnet.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Franz Georg:

      Weil Ersteres mit voller Absicht und Niedertracht getan wurde.



      Letzteres en passant stattfindet, aus dem Streben heraus, gute Lebensbedingungen für alle Menschen zu erreichen. Oder aus Profitgier. Das können sie betrachten wie sie wollen.

      Profitgier ist aber nicht verboten, Völkermord schon.

      PS: Mit 18 ist man meistens nicht erwachsen - jedenfalls nicht in Deutschland.

  • Wenn man über den Holocaust nicht angemessen reden kann, sollte man lieber schweigen. Das gilt sowohl für den Heißsporn, als auch für die reflexartigen, aber völlig unreflektierten Reaktionen.



    Empörung über Relativierungen des Holocaust sind angebracht, wo es darum geht die Shoah zwecks Schuldentlastung kleinzureden oder aufzurechnen oder im nächsten Schritt dann gleich ganz zu leugnen. Das tun Antisemiten, Rechtsextremisten und Deutschnationale.



    Ich glaube nicht, dass dies die Motivation oder die Absicht Hallams oder Radtkes war. Beide haben - ausgesprochen ungelenk und historisch naiv - versucht mit einer Referenz zum Holocaust die Tragweite der Klimakrise zu betonen. Das ist nicht sinnvoll, da es sich um zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte handelt, selbst wenn sie in ihrer Tragweite für die Menschheit ähnliche Dimensionen haben werden bzw. der body count der Klimakatastrophe, wenn XR richtig liegt, höher sein wird als der aller Kriege und Genozide zusammen.



    Man sollte also präzise klarstellen und einordnen, aber dieses blinde verbale Einprügeln auf die Leute und das in- die-Ecke-stellen mit Neonazis ist wirklich nicht angebracht. Wie bei der Goldhagen-Debatte seinerzeit brennen scheinbar sofort alle Sicherungen durch bei vielen Leuten und Institutionen, was nur zeigt, dass es mit der Fähigkeit zu trauern wohl doch nicht so weit her ist, denn weniger komplexbeladen fände sich der richtige Ton wohl einfacher.

  • Liebe Redaktion, ist das Bild witzig gemeint? Oder meint die taz das ernst.



    Und dann noch die Bildunterschrift: Frau ist grade ausgerutscht. Ich glaube: Bildredaktion grade ausgerutscht.

  • Man darf bei all dem auch nicht vergessen: der Junge ist gerade 18 Jahre alt.



    Macht die Aussage nicht besser aber das Geschick sich so auszusdrücken wie man es normalerweise machen sollte ist bei nem Teeny evtl schon geringer ausgeprägt.



    Fragen sie mal dessen Altersgenossen.



    So auf jeden Fall wirkt der Artikel nicht nur wegen des eigenen Fails ziemlich schwach und ziemlich gewollt.

  • 0G
    06032 (Profil gelöscht)

    Die gestrige Headline zu diesem Artikel war schon. . . ziemlich erstaunlich. Da passierte dem Autor genau das selber, was er in seinem Artikel kritisiert.



    Ein Ausrutscher???



    Für welche "Vergleiche" soll der Holocaust eigentlich noch herangezogen werden?



    Immerhin, heute ist die Überschrift geändert.

  • Hamburger Kommunikations-Holocaust. Ist auch eine Relativierung. Ist das in Ordnung, wenn es gegen einen Relativierer geht?