piwik no script img

Falschmeldungen im NetzTeile und herrsche

Aufregung, Klick, geteilt: Die meisten Nutzer lesen nicht mehr als die Überschrift. So können sich Fake-News leicht verbreiten. Das hilft Hetzern.

Wegen des „Falls Lisa“ – ein angeblich von Flüchtlingen vergewaltigtes 13-jähriges Mädchen – demonstrierten Berliner Russlanddeutsche sogar vor dem Kanzleramt in Berlin Foto: dpa

„Alles Satire“ steht oben. Darunter finden sich dann Holocaust­relativierungen, Bürgerwehrpropaganda und Flüchtlingshetze: Willkommen auf der Seite schutzengel-orga.de.

Eine der vielen Seiten, die die Frage aufwerfen, ob alles, was sich im Internet Satire nennt, auch Satire ist. Oder ob sich überhaupt alles Satire nennen darf, was sich Satire nennt. Vor allem aber stellt sich die Frage, welchen Schaden es anrichten kann, wenn Fake-News, gefälschte Nachrichten, durchs Netz schweben.

Die Nachrichten, die schutzengel-orga.de verbreitet, sind zumeist blanker Unsinn. „Der 3. Weltkrieg soll im August 2016 beginnen!“, steht da; oder: „Alarm für Deutschlands Kindergärten – Warum deutsche KITAs keine deutschen Kinder mehr nehmen“.

Dass es Fake-News im Internet gibt, ist nicht neu. Ebenso wenig, dass sie regelmäßig viral gehen – über Facebook und Twitter verbreitet werden – und Verschwörungstheoretikern jeder Couleur in die Hand spielen, oder gleich aus deren Händen stammen.

Liken und Sharen

Ihr Erfolgsmodell ist simpel und effektiv, weil es auf die Ignoranz und Faulheit setzt. Eine schmissige Überschrift erzeugt in den Lesern einen kurzen Moment der Rage, der sie durch einen Klick auf den Like- oder Share-Button bei Facebook Ausdruck verleihen.

Eine Studie an der Columbia University und des Microsoft Research Inria Joint Centre hat herausgefunden, dass 59 Prozent der Links zu Nachrichten von etablierten Medien (u. a. CNN, Huffington Post, New York Times) nicht geklickt werden: Dass also nur die Überschrift wahrgenommen wird. Das ist bei ausgewogenen, recherchierten Artikeln ärgerlich, gefährlich wird es aber, wenn Menschen von diesem Effekt profitieren wollen.

Verschwörungs­theorien sind die Vernunft der Idioten

hoax-info.de

Die amerikanische Seite fakenewswatch.com kennt drei Kategorien von Fake-News:

1. Fake-/Hoax-News, die bewusst Unsinn verbreiten, meistens um Menschen reinlegen.

2. Satireseiten, die im Prinzip das Gleiche machen, dabei aber lustig sind, als Satire erkannt werden und häufig noch eine tiefere, politische Aussage haben.

3. Clickbait schließt alle News mit ein, die dazu da sind, schnell die Aufmerksamkeit der Nutzer einzufangen, häufig durch verfremdete Darstellungen echter Geschehnisse.

Häufig, so fakenewswatch.com, seien hierbei Verschwörungstheoretiker zugange. Von der Definition her scheint also diese dritte Kategorie am ehesten rechte Hetze zu beschreiben.

„Wenn Leute Fake-News verbreiten, geht es ihnen meistens um Aufmerksamkeit. Manche wollen natürlich auch bewusst schaden“, sagt Frank Ziemann, seit zwanzig Jahren Betreiber der Seite hoax-info.de.

Ziemann sammelt auf der Seite, die er für die TU Berlin betreibt, Fake-News, die ihm Nutzer melden. Ursprünglich wurde sie gegründet, um über die Gefahren von Viren zu warnen. Mittlerweile geht es viel um Fake-News.

Ein Beispiel aus dem Januar 2016: Es handelt von einem 13-jährigen Mädchen, das angeblich von zwei Flüchtlingen vergewaltigt worden sein soll. Zahlreiche Medien verbreiteten die Nachricht. Erst Wochen später das Eingeständnis: ein Fake.

Verschwörungstheorien

Da war die Stimmung gegenüber Flüchtlingen aber bereits weiter vergiftet worden. Verschwörungstheorien zu Chemtrails, der Deutschland GmbH oder Reptiloiden im Bundestag verbreiten sich ebenfalls auf diese Weise.

Kurze Empörung der Leser lässt sie einen Artikel teilen, der viral geht und durch die enorme Verbreitung wiederum Authentizität suggeriert: Wenn Hunderttausende das teilen, muss doch etwas dran sein. Rechte Gruppen nutzen die Viralität, die falsche Tatsachen über soziale Netzwerke erlangen können, für ihre Zwecke.

„Der Unterschied zwischen Fake-News und Satire ist, dass die einen bewusst falsche Dinge streuen wollen, aus welchen Gründen auch immer, und die anderen auf gesellschaftliche Absurditäten hinweisen möchten“, sagt Peer Gahmert, einer der beiden Betreiber der Seiten Die-Luegenpresse.de und freier Autor für das Online-Satiremagazin Postillon.

Die eine Website sammelt Falschmeldungen rechter Hetzer aus dem Netz, die andere macht Satire. „Wir haben ‚Die Lügenpresse‘ Ende 2014 gegründet, als Pegida gerade immer größer wurde. Die Idee war, all den Lügen und der Voreingenommenheit im Internet etwas entgegenzusetzen.“

„Lügenpresse“

„Verschwörungstheorien sind die Vernunft der Idioten“, steht auf der Seite hoax-info.de von Frank Ziemann. Er selbst fühlt sich mittlerweile ziemlich immun gegen Fake-News. „Aber ich weiß auch, wo ich mich informieren kann, wenn mir so etwas unterkommt. Viele Leute nehmen solche Sachen einfach nur hin.“

Vor allem unter Menschen rechts der politischen Mitte haben traditionelle Medien an Glaubwürdigkeit verloren. „Lügenpresse“ wird sie geschimpft. Fake-News helfen mit, diese Medien weiter zu diskreditieren.

Dadurch, dass falsche Informationen genauso verbreitet werden wie wahre, weiß mancher nicht, was wahr ist und was nicht. „Das ist sicher ein Teil des Problems“, meint Ziemann, „auch wenn man das natürlich nicht messen kann.“

„Die Leuten sollten sich einfach angewöhnen, Artikel komplett zu lesen“, sagt Peer Gahmert: „Mein Tipp: Geht doch mal zur Schule, lernt doch mal ein paar Jahre was. Und wenn es sein muss, braucht es vielleicht eine Funktion bei Face­book, dass man Dinge erst nach drei bis fünf Minuten teilen kann. Wenn es wirklich wichtig ist, teilt man das auch nach fünf Minuten noch. Wenn man sich aber nur kurz aufregen will, ist das nach fünf Minuten vielleicht wieder vorbei.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Die Frage die bleibt, wer definiert was eine "Verschwörungstheorie" ist?

     

    Mittlerweile ist schon so, dass das Hinterfragen von Meldungen eine Verschwörungstheorien sein kann.

     

    Das es viele Hoax gibt ist unumstritten. Früher nannte man sowas auch "Zeitungsente". Da hat man sich aber anscheinend weniger Gedanken über Feindbilder gemacht und man musste nich gleich jeden diffamieren der diese in die Welt gesetzt hat.

     

    Heute geht es um die Deutungshoheit und da wird grosses Geschütz aufgefahren.

  • Ich bleibe dabei: Internet ist viel zu billig! Man sollte dem rechten Kommentarspalten-Krakeelern die Computer wegnehmen und sie heim zum Saufen in ihre miefigen Vorstadtkneipen schicken! Früher (als ja nach Miefbürger-Meinung alles besser war) kamen sie schließlich auch ohne Internet aus!

  • Nun, was ist da anders als bei "seriösen" Medien?

    Dass der Putsch in der Türkei von Erdogan selbst inzeniert sei, war doch in FAZ, Welt, SPIEGEL und ZEIT zu lesen.

    • @Richard Kotlarski:

      Sie sind ja ein ganz Schlauer - und dazu ein vorbildliches Beispiel für ein Schaf, welches Artikel überfliegt und dann in einem Satz, stark verfälscht, weiter verbreitet. Danke dafür.

    • @Richard Kotlarski:

      Es ist ein Unterschied, ob ich etwas als Tatsache behaupte oder zumindest die Vermutung anstelle, da der Putschversuch sehr dilettantisch und schlecht vorbereitet schien und Erdogan nicht mal 24 Stunden später bereits knapp 3.000 Richter absetzen ließ.

      Ich bezweifle, dass die von Ihnen genannten Medien die Inszenierung als Fakt hingestellt haben. Aber Sie können mich gern mit einer gegenteiligen Quelle überzeugen.

    • @Richard Kotlarski:

      In der Zeit und im Spiegel stand, dass es Gerüchte darüber gibt, Erdogan habe den Putsch selbst inzeniert.

      Dabei wird exakt benannt, dass es sich nicht um belegte Tatsachen handelt. Der Spiegel nennt das wörtlich eine "Verschwörungstheorie", die Zeit sagt klipp und klar: "Das ist Spekulation."

      Und darin liegt genau der Unterschied zwischen seriösen Medien und Fake-News.

      Aber auch um das zu erkennen, muss man sich die Mühe machen, den Artikel zu lesen und genauer hinzuschauen, was da denn wirklich gesagt wird.

      Die Behauptung "Die sind doch eh alle gleichschlimm!" lässt sich natürlich weitaus leichter hinausposaunen. Schnelle Empörung in der Hoffnung auf schnellen Jubel und Bestätigung, wenn der Nächste schreibt "Ja, genauso isses! Endlich sagt es mal jemand!"

      Letztendlich liegt es an der individuellen Medienkompetenz, ob man Nachrichten als das erkennen kann, was sie sind. Wer sowas schreibt wie Sie, macht deutlich, dass er sich die Mühe gar nicht erst machen will.