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Connewitz, der WDR und Lindners ZukunftDie große Krankheits-Show

Deutschland diskutiert über einen unaufgeklärten Polizeieinsatz und Umweltsäue. Und die FDP soll in die Regierung. Nur auf die Borussen ist Verlass.

Polizeigewusel in Connewitz: Kann man ja mal diskutieren – auch wenn man nichts sicher weiß Foto: Sebastian Willnow / dpa

t az: Herr Küppersbusch, im Leipziger Stadtteil Connewitz wurde an Neujahr ein Polizeibeamter bei Ausschreitungen verletzt. SPD-Co-Chefin Saskia Esken fordert nun, es müsse geklärt werden, ob der Polizeieinsatz in Leipzig an Silvester angemessen war. Die Deutsche Polizeigewerkschaft sieht unterdessen schon den „Geist der RAF“ am Werk. Was sehen Sie?

Friedrich Küppersbusch: Eine Massenschlägerei. Um die Deutungshoheit. Die Polizei ermittelt „wegen Mordversuchs“ an einem Beamten, der je nach Recherchestand „lebensgefährlich verletzt“, „notoperiert“, dann wieder „ambulant behandelt“ und schließlich zwei Tage drauf „aus dem Krankenhaus entlassen“ wurde. Politiker der Linken und SPD beklagen „ekelhafte Polizeigewalt“ und „kalkulierte Provokation“, immerhin lancierte die Polizei die auf Connewitz gerichtete „Soko LinX“ bereits zwei Monate vor der Eskalation. Beiläufig sickert die Wendung „linksgerichteter Stadtteil“ in den Sprachgebrauch ein, während man Sachsen nicht als „rechtsgerichtetes Bundesland“ drumherum diskriminiert. Eskens Forderung ist so vernünftig, wie sie fruchtlos bleiben wird.

Nach der Aufregung über das umgedichtete Kinderlied zur „Umweltsau“ ließ WDR-Intendant Tom Buhrow das Video löschen. Zuvor hatten Mitarbeitende Beschimpfungen und Drohungen erhalten. Ist das jetzt noch Satirefreiheit?

Wenn ein paar Millionen Türkdeutsche im ZDF der Ziegenfickerei beigewitzt werden, hagelt es alle Fernsehpreise Deutschlands und Bild schwingt sich zur heldenmütigen Schildmagd der Satirefreiheit auf. Wenn ein paar Millionen Senioren im WDR als Umweltsäue provoziert werden, wird das Stück gelöscht, der Intendant zum Zensor und in Bild deliriert Wagner von „der Entlassung der Verantwortlichen“. So viel zum „linken Mainstream“ in diesem Land.

Interessanter Beifang der Posse: Vor gut einem Jahr präsentierte der WDR die Ergebnisse der Studie „Mehr als #metoo – die Verantwortung des WDR als Arbeitgeber“. Überraschend war die Gewerkschaftsveteranin Monika Wulf-Matthies auf der Fährte sexueller Belästigungen im Sender bei „weit mehr“ gelandet. Es gehe nämlich „häufig auch um das Erleben von Machtmissbrauch oder eine Unzufriedenheit mit dem Betriebsklima“. An dieser Stelle müsse man ansetzen, so Wulf-Mathies – „es gehe um mehr Wertschätzung untereinander und einen besseren Umgang miteinander“. „Die interne Kommunikation muss gestärkt, mehr Feedbackmöglichkeiten geschaffen und ein nachhaltiger Kulturwandel angestoßen werden.“ (Zitate: WDR-Homepage)

Statt sich hinter Mutter Beimer auf den Sozius zu schwingen und ein cooles Hühnerstall-Pressefoto rauszuhauen, erklärt der Intendant in einem Spiegel-Interview: Die „zuständigen Programmverantwortlichen“ hätten „das Video bereits aus dem Netz entfernt“, noch bevor er sich geäußert habe. Drei Absätze später: er „erlebe den WDR nicht so, dass hier eingeschüchterte Redakteure herumlaufen“. Vielleicht kann in der „Sendung mit der Maus“ erklärt werden, wie das mit der Zeitachse so ist und warum der WDR erst eine Studie vorstellt – und ein Jahr später die Krankheitssymptome öffentlich vorführt.

Ab März wird der öffentliche Nahverkehr in Luxemburg kostenfrei. Was müsste in Deutschland passieren, damit wir hier auch in so einen Genuss kommen?

Am Ende der ebenfalls empfehlenswerten „Vennbahn“-Radstrecke von Aachen nach Luxemburg plumpsten wir erschöpft in den örtlichen ÖPNV. Er kostete damals schon nur 2 Euro nach Egal-wo-willst-du-denn und luxurierte erstklassig furniert und gepolstert. Kann nicht Luxemburg die Bahn kaufen?

Die Deutsche Bahn plant nun für 2020 aber zumindest ein flächendeckendes W-LAN-Netzwerk für Bahnhöfe und Züge. Reicht das für ein paar Lobesworte?

„Ich bin in der Bahn“ weist Telefonpartner aus, die für ein blankes „Kein Bock, mit dir zu telefonieren“ zu diplomatisch sind. Hier sehe ich die Bahn gefordert, belästigungsfreie Zone zu bleiben. Leider funktioniert das W-LAN an Bord schon jetzt meist sehr gut.

Am Montag veranstaltet die FDP ihr jährliches Dreikönigstreffen. Über die Führungsfrage in der Partei müssen wir nicht sprechen, Christian Lindner gab sich in einem Interview schon gewohnt selbstbewusst. Er sieht die Partei am Ende des Jahrzehnts sogar in der Regierung. Wo sehen Sie die FDP in den kommenden Jahren?

„Nach 12 Jahren fehlt schlicht der Mut zu Neuem und zur Korrektur alter Fehlentscheidungen“, meint Linder selbst – allerdings über Merkel. Dann hat er ja noch fünf Jahre als FDP-Chef.

Die österreichischen Grünen haben am Samstag über den Koalitionsvertrag mit der ÖVP abgestimmt. Was sagen Sie: ein guter Deal für die linke Partei oder ein sicherer Weg zurück unter die 4-Prozent-Hürde?

Wenn das gelingt, wird es eng für Schwarz-Grün-Gegner bei den deutschen Grünen.

Und was machen die Borussen?

Erling Haaland verpflichtet. 11 Freunde hat ein Rap-Video des damals 16-Jährigen aufgetrieben. Man sieht es und weiß: Gut vom BVB, den Jungen zum Fußball zu holen.

Fragen: lam, hdl

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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
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2 Kommentare

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  • ÖPNV kostenlos ist eine reine Frage des Wollens. ÖPNV ist heute schon zu 30 bis 40% subventioniert. 100% wäre kein allzu großer Schritt - immerhin würden auch Kosten für Fahrkartenautomaten, Werbung/Kommunikation, Kontrolleure und Prozesse gegen Schwarzfahrer entfallen. Sogar die Gefängnisse würden entlastet. Ein Großteil der verlorenen Einnahmen würde für andere Dinge ausgegeben und somit über Verbrauchssteuern wieder in die Staatskasse zurückfließen. Im Grunde gäbe es nur Gewinner.

    • @Winnetaz:

      Es sollte grundsätzlich nichts auf dieser Welt kostenlos geben. Dieses Gefühl ruiniert nur diesen Planeten. Daher sollte immer ein kleiner Beitrag gefordert werden.