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Von der Leyen als EU-KommissionschefinPersonalie mit Sprengkraft

Die SPD ist dagegen, Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission zu machen. Bringt die Empörung der GenossInnen die Groko zu Fall?

Ursula von der Leyen am 3. Juli im Europäischen Parlament Foto: ap

Berlin taz | Die Überraschungskandidatin begann sofort mit der Diplomatie in eigener Sache. Ursula von der Leyen, plötzlich nicht mehr mäßig erfolgreiche Verteidigungsministerin, sondern auch Kandidatin für den wichtigsten Job in der EU, reiste am Mittwoch stante pede nach Straßburg. Die Lage im Europäischen Parlament sondieren, Gespräche führen, Skeptiker überzeugen.

Die Widerstände gegen die 60-jährige Christdemokratin sind groß. Seit die EU-Staats- und Regierungschefs von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin aus dem Hut zauberten, geistern Fragen durch die Berliner Koalition: Kann die das? Warum ausgerechnet sie? Und darf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Spitzenkandidatenprinzip abweichen, das man für die Kommissionspräsidentschaft verabredet hatte?

Nein, darf sie nicht, findet die SPD – und stemmt sich entschieden gegen den Vorschlag, den EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend bekannt gegeben hatte. Die kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig gaben die Linie vor.

Sie verwiesen darauf, dass sich die SPD dem Prinzip verpflichtet fühle, nur SpitzenkandidatInnen der Parteienfamilien für das Amt zu berücksichtigen. Mit dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans, dem CSUler Manfred Weber und der Liberalen Mar­grethe Vestager seien drei veritable Kandidaten bei der Europawahl angetreten, argumentierten die SPD-ChefInnen.

Koalitionskrise mit Sprengkraft

Dass nun keiner der drei zum Zuge kommen solle, sondern jemand, der nicht zu Wahl gestanden habe, könne nicht überzeugen. „Damit würde der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt.“ Deshalb lehne die SPD Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ab.

Damit führt die Personalie zu einer Koalitionskrise mit Sprengkraft. Könnte es zum endgültigen Ermüdungsbruch kommen? Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach dieses Szenario offen an.

Von der Leyens Benennung gegen den Willen der SPD sei ein „beispielloser Akt der politischen Trickserei“, sagte er dem Tagesspiegel. Die SPD müsse das Vorhaben im Kabinett aufhalten. Ein einseitiges Vorgehen der Union wäre „ein Grund, die Regierung zu verlassen“.

Gabriel will auch einen Hebel entdeckt haben: Von der Leyen müsse erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staatschefs als Kommissionspräsidentin nominiert werden könne. Dafür sei das Bundeskabinett zuständig, also auch die SPD-MinisterInnen. Aber diese Deutung ist faktisch falsch.

Artikel 17 des EU-Vertrags sieht ein solches nationales Kabinettsvotum nicht vor. Dort heißt es lediglich, dass der Europäische Rat dem EU-Parlament „nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit“ einen Kandidaten vorschlage. Hinzu kommt: Gabriel, der schon früher mit einem Koalitionsbruch liebäugelte, hat in der SPD nichts mehr zu sagen.

Mehrere Motive hinter SPD-Protest

Aber wahr ist: Der Unmut unter den SozialdemokratInnen ist groß. Von der Leyen werde im Europäischen Parlament keine Mehrheit bekommen, twitterte Seeheimer-Chef Johannes Kahrs. Der SPD-Linke Karl Lauterbach schimpfte: „Die EU ist keine Versorgungsstruktur für schwächelnde Minister.“ Der Vorgang gefährde die Entwicklung des EU-Parlaments und sei nicht demokratisch.

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Auch Stephan Weil, der mächtige Ministerpräsident Niedersachsens, kritisierte die Nominierung als schweren Fehler. „Man kann nicht bei Wählerinnen und Wählern wochenlang mit bestimmten Personen für europäische Parteifamilien um Stimmen werben, ihre Bilder an die Straßen hängen, um nach der Wahl zu erklären, dass diese Personen jetzt keine Rolle mehr spielen.“ Das EU-Parlament würde, würde es dies absegnen, „auf Dauer seine eigene Herabstufung mitbeschließen.“

Hinter dem Protest der SPD stecken mehrere Motive. Viele SozialdemokratInnen hatten gehofft, den eigenen Mann Frans Timmermans durchbringen zu können. Merkel und Macron hatten sich zwischendurch für ihn starkgemacht, waren aber am Widerstand der Konservativen der Visegrád-Gruppe gescheitert.

Dann ist da das Lebenswerk von Martin Schulz. Schulz, ehemals EU-Parlamentspräsident, hat das Prinzip der SpitzenkandidatInnen einst mit erfunden, um BürgerInnen für die EU-Wahlen zu begeistern. Bis heute ist die SPD stolz auf das engagierte Europakapitel im Koalitionsvertrag.

Von der Leyens wäre ein progressives Signal

Die Koalition, heißt es darin, wolle Europa „bürgernäher und transparenter machen“, sie wolle „ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten Europäischen Parlament“. Im Grunde liest sich das wie ein Bekenntnis zum Spitzenkandidatenprinzip.

Gerade passiere das Gegenteil dessen, was verabredet worden sei – so empfinden es viele SPDler. Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin im Europawahlkampf, erklärte bereits im „ZDF-Morgenmagazin“, dass sie im EU-Parlament nicht für von der Leyen stimmen werde.

Die Frage ist allerdings, ob die SPD wegen der Personalie am Ende wirklich die Eskalation sucht. Merkel hat ja immerhin versucht, Timmermans nach vorne zu schieben. Und eine Kommissionspräsidentin von der Leyen vorzuschlagen ist nicht ungeschickt: Die Christdemokratin, die in Brüssel aufwuchs, ist ein Vollprofi mit 14 Jahren Erfahrung im Bundeskabinett.

Die Wege der EU sind eben manchmal unergründlich

Sie ist klar proeuropäisch positioniert und sprach schon 2011 von ihrer Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“. Außer­dem wäre sie die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission überhaupt.

Kann die SPD ignorieren, dass von der Leyen angesichts der verfahrenen Lage ein progressives Signal wäre? Eine Ironie ist es ja, dass die Rechtspopulisten der Visegrád-Staaten, etwa der Ungar Viktor Orbán, eine erklärte Proeuropäerin unterstützen. Die Wege der EU sind eben manchmal unergründlich.

In der Kabinettssitzung am Mittwoch spielte die Empörung der Sozialdemokraten jedenfalls keine Rolle. Drei SPD-Minister fehlten, Olaf Scholz, Heiko Maas und Hubertus Heil sind schon im Urlaub. Merkel habe über den EU-Sondergipfel vom Vortag berichtet, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Eine Diskussion habe es nicht gegeben. Business as usual also.

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18 Kommentare

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  • Ich wäre dagegen weil es eigentlich schon eine Frechheit ist dass diese Frau immer noch Ministerin ist, und ich finde nicht dass die EU Ursula verdient hat. Die SPD zeigt nur wieder einmal wie wenig sie dafür ein Gespür hat was den Menschen wichtig ist, wenn sie ernsthaft einen Aufstand macht wegen dem Spitzenkandatenprinzip und nicht aus ganz anderen Gründen. Wenn ausgerechnet daran die Koalition scheitert fühle ich mich insofern verarscht von der SPD als dass es wirklich einleuchtendere Begründungen gegeben hätte und gibt aus der Koalition heraus zu gehen.

  • "Gabriel hat in der SPD nichts mehr zu sagen". Ich glaube, er hat seine Rolle an der Seitenlinie gefunden, wird viel gedruckt und gepostet. Er erinnert an einen Vater, der seine Tochter etwas übereifrig beim Fußballspielen anfeuert: Hör auf, das kannst du noch nicht, aber jetzt, hau ihn rein. Bin sehr dafür, dass Politik Spaß macht.

  • Na Freunde - wenn die SPD dagegen ist, dann ist doch praktisch schon alles geritzt für die Uschi. Die ist Merkel dann auch los. Läuft doch!

  • "Kann die SPD ignorieren, dass von der Leyen angesichts der verfahrenen Lage ein progressives Signal wäre?"



    Lieber Herr Schulte, was bezeichnen Sie als progressiv?



    Halluziniere ich, oder war Frau von der Leyen nicht gerade ein Fall für eine Untersuchung, in dem esum massive Verschwendung von Steuergeldern ging bzw. um sehr dubiose Beraterverträge, die fast schon an ein Amigo-Prinzip denken lassen?



    So eine Person soll jetzt noch mehr Verantwortung bekommen?



    Oder nennen Sie es progressiv, dass Frau von der Leyen so geschickt der eventuell notwendigen Strafverfolgung entzogen wird?

  • >>Eine Ironie ist es ja, dass die Rechtspopulisten der Visegrád-Staaten, etwa der Ungar Viktor Orbán, eine erklärte Proeuropäerin unterstützen. Die Wege der EU sind eben manchmal unergründlich.

  • Ob die SPD meint, irgendeinen Wähler mit dem Beharren auf dem "Spitzenkandidatenprinzip" hinterm Ofen vorlocken zu können? Darauf, dass Weber Kommissionspräsident wird, dürfte kaum ein Unionswähler hoffen, geschweige denn ein SPD-Wähler.

    Außerdem hält die SPD das Spitzenkandidatenprinzip selbst nicht konsequent durch. Spitzenkandidat der Fraktion der Sozialdemokraten im Europaparlament war (und ist) Frans Timmermans. Davon war aber im Wahlkampf nicht viel zu sehen. Statt dessen hat die SPD Katarina Barley als "Spitzenkandidatin" präsentiert ( www.spd.de/archivi...t/katarina-barley/ ).

  • "... mäßig erfolgreiche Verteidigungsministerin"



    Der war gut.

  • Wie immer wird die SPD erst nen lauten machen und dann doch wieder einknicken. Steigbügelhalter ist echt noch zu nett formuliert für diese Ansammlung von rückratlosen jammerlappen.

  • "Bringt die Empörung der GenossInnen die Groko zu Fall?"



    Ach wäre das schööön. Wäre…

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Würde von der Leyen an ihre Vision glauben, würde sie nicht für einen Neuanfang als Kommissionspräsidentin zur Verfügung stehen.

  • Wie gesagt - “Schachern is was für Dummies“ & das …öh Ergebnis spricht je für sich - als Personalie mehr als sowieso & überhaupt. Wollnichwoll.



    Aber eben auch flurschadenmäßig. Gell



    In der Sache. 👹

    kurz - “Wer lange siebt - Siebt Kaff!“ •

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Die SPD wird buh, buh machen, nicht die richtige SCHLUSSfolgerung ziehen und der(alte) Parteivorstand wird weiter an der Absicherung des Lebensabends wirken.

  • 9G
    91751 (Profil gelöscht)

    Also die SPD hat sich bisher wirklich alles gefallen lassen, auch wenn zum wiederholten Male über ein bevorstehendes Ende der Groko geschrieben wurde.



    Ich glaube kaum, dass sie jetzt ohne Vorsitzt und bei den Umfragewerten irgendetwas riskieren

  • ein progressives Signal?

    Würde v. d. Leyen zum Ergebnis dieses verlogenen EU-Wahlkampfs, der alle Probleme zukleisterte, dann würde wenigstens deutlich, dass die EU als "Friedensprojekt" längst ausgedient hat.

    Der "Vollprofi" aus allerhöchsten Kreisen steht für die freihändige Verteilung von Staatsknete an die Berater-Industrie, d. h. für staatsmonopolistischen Kapitalismus in der Art des Militärministeriums.

  • "Kann die SPD ignorieren, dass von der Leyen angesichts der verfahrenen Lage ein progressives Signal wäre?"

    Wieso ist es ein progressives Signal, eine offensichtlich unfähige Person zu befördern?

    Mal abgesehen davon, dass damit auch die Aufklärung in D sehr erschwert wird.

  • Eine geniale Demontage von Merkel für Ursula von der Leyen. Das Europaparlament tobt wegen der Spitzenkandidatensache.

  • Republik = res publica = öffentliche Sache. Das EU-Konstrukt ist das Gegenteil.

  • Die SPD wird die Koalition ganz bestimmt nicht auflösen. In aktuellen Umfragen liegen die Genossen mit 12 bis maximal 14 Prozent (2017 noch 20,5 Prozent) zum Teil noch hinter der AfD. Es wäre eine Katastrophe für die SPD, wenn jetzt neu gewählt werden würde. Der Schreckenstag 24. Oktober 2021 wirft seine Schatten voraus.

    Die CDU hat freie Hand. Sie kann mit der SPD machen, was sie will. Deutschland wird heute faktisch schon längst nicht mehr von der SPD regiert, sondern nur noch von der CDU.