Debatte Politische Gewalt: Antifa ohne Faschismus
Wann ist politische Gewalt legitim? Viele Linke begehen einen großen Denkfehler, wenn sie sich in der Tradition des Widerstands in der NS-Zeit sehen.
A us heutiger Sicht wäre man gerne Claus Schenk Graf von Stauffenberg gewesen. Ein mutiger Mann, der bereit war, alles zu riskieren, um Hitler zu beseitigen. „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ gehören zu den Lehren aus der Zeit der NS-Zeit, auf die sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland inzwischen ohne Weiteres einigen kann.
Die autonome Antifa-Szene hat diese Leitmotive des postnationalsozialistischen Deutschlands schon immer besonders ernst genommen. Sie wehrt den Anfängen – oder das, was sie dafür hält –, wo immer sie kann und mit allen Mitteln. Sie mag zwar kein Fan der Stauffenberg-Gruppe sein. Dazu war die zu militärisch, konservativ, zu adelig.
Doch auch die Antifa hält es für legitim, ja, geboten, im Zweifel mit Gewalt Widerstand zu leisten – als eine Form der vorwärtsgewandten Notwehr im Angesicht einer zerstörerischen Macht. Und möchte jemand ernsthaft behaupten, dass nicht auch jenseits des schwarzen Blocks mindestens klammheimliche Schadenfreude empfunden wird, wenn dieser durchaus nicht gewaltfreie Widerstand unsympathische Rechte trifft? Etwa den AfD-Politiker Frank Magnitz, der in Bremen von bislang noch Unbekannten zu Boden getreten wurde?
Die Antifa und ihre Sympathisanten begehen jedoch einen gewaltigen Denkfehler, wenn sie sich als die Erben des Widerstands gegen die Nazis sehen. Aus einem schlichten Grund: Wir leben nicht in einem faschistischen Staat. Die Antifa geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Mancherorts mag der Rechtsstaat schwach sein, die Polizei gegenüber Neonazis zu passiv und der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind. Hier muss man die Durchsetzung von Recht, Gesetz und den Schutz von bedrohten Menschen einfordern, statt die Dinge als linksautonome Bürgerwehr selbst in die Hand zu nehmen und es Widerstand zu nennen.
Nun könnte man argumentieren, dass die heutige autonome Antifa anknüpft an die Antifaschisten aus der Weimarer Republik, die – ebenfalls mit allen Mitteln – versuchten, Aufstieg und Machtergreifung der NSDAP zu verhindern. Doch auch dieser Vergleich ist anmaßend und ahistorisch. In der Weimarer Republik war die Demokratie für viele politische Akteure eine Option unter vielen. Sie bestand aus Menschen, die noch von der Untertanenmentalität des Kaiserreichs geprägt waren und sich in der politischen Instabilität, die folgte, verloren fühlten. Demokraten gab es einige, aber eine demokratische Grundhaltung war nicht gerade ein Massenphänomen.
Für manche sind sie eine abstrakte, für viele bereits eine reale Bedrohung. Sie sind Nachbarn, Familienmitglieder, Politiker*innen: Leute, die sich menschenfeindlich äußern, oder die schon über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügen.
Soll man mit Rechten reden, muss man es überhaupt? Wie wehrt man sich, mit welchen Mitteln? Wie kann man der Gruppe ausweichen, wie sich dem Menschen annähern? Und wie schützt man sich, wenn die rechte Bedrohung allgegenwärtig ist?
In dieser Serie gehen wir auf die Suche nach Menschen, die über diese Fragen nachdenken, oder sie schon ganz konkret für sich beantworten mussten.
Bisherige Texte der Reihe:
Heute dagegen blicken wir auf eine 70-jährige Demokratie in West- und eine 30-jährige in Ostdeutschland zurück. Nur weil die neurechte Bewegung dem übrigen politischen Spektrum schwer auf die Nerven geht, geht nicht gleich die Demokratie unter. Das politische System in Deutschland ist viel widerstandsfähiger, als viele Linken zu glauben scheinen. Es hält aus, dass ein paar Neurechte Plakate an die Türen von Medienhäusern kleben und dass 10 bis 15 Prozent der Wähler*innen keine multikulturelle Gesellschaft und weniger EU wollen. Solange gegen keinen Artikel des Grundgesetzes verstoßen wird – was der Verfassungsschutz gerade prüft –, müssen alle Übrigen das aushalten und die Gelegenheit nutzen, um die eigenen Argumente zu schärfen. Wann hat denn zuletzt mal jemand im Bundestag überzeugend ausbuchstabiert, was für die multikulturelle Gesellschaft spricht und warum wir sie brauchen?
Was dagegen gar nichts bringt für den Diskurs, ist, ständig von „den demokratischen Parteien“ unter Ausschluss der AfD zu sprechen. Besonders linke Politiker formulieren es gerne so, doch das ist gefährlich. Es zeugt von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Kontrollmechanismen unserer Demokratie. Denn wer das sagt, behauptet im Grunde: Unser politisches System hat versagt, weil es zulässt, dass eine nicht-demokratische Partei in den Bundestag gewählt werden konnte. Würde das stimmen, könnte tatsächlich nur noch Widerstand helfen.
Tatsächlich aber werden nicht-demokratische Parteien nicht zugelassen zur Wahl. Kommen später Zweifel auf, sind Verfassungsschutz und – etwa bei der Leugnung des Holocausts – Strafverfolgungsbehörden zuständig. Politische Gegner als undemokratisch zu bezeichnen, ist vor allem eines: sehr bequem, bequemer, als sich gute Argumente zu überlegen und bei einem öffentlichen Wortgefecht zu bestehen.
Das Grundgesetz hat uns mit allem ausgestattet, was wir brauchen, um als Demokratie auch Krisen zu meistern. Politische Gewalt ist deshalb falsch, nicht nur taktisch, weil es die AFD und die neurechte Bewegung stärkt, sondern grundsätzlich. Sie schwächt die Demokratie und verharmlost die echten Nazis und ihre verbrecherische NS-Diktatur.
Die Antifa-Aktivisten möchten gerne Helden sein, die Widerstandskämpfer von heute. Das ist verständlich. Die meisten haben vielleicht auch die richtigen Ziele, nämlich eine gerechte Gesellschaft. Doch gerade der schwarze Block mit seinem brutal zur Schau gestellten Männlichkeitskult wirkt zuweilen eher wie ein Trupp veganer Taliban und so gar nicht wie die letzte Verteidigungslinie der Demokratie gegen den Faschismus.
Frank Magnitz ist ein demokratisch gewählter Politiker. Er vertritt unappetitliche, teils haarsträubende Ansichten und gehört einem Teil der AfD an, der gerade vom Verfassungsschutz überprüft wird. Das aber macht ihn noch nicht zum Faschisten oder zu menschlichem Unrat. Sich auf Twitter darüber zu freuen, dass er angegriffen wurde und eine Kopfverletzung erlitt, kommt einer Entmenschlichung gleich, die eher dem politischen Lager zugerechnet wird, das man zu bekämpfen vorgibt. Mit echtem Antifaschismus hat das nichts zu tun. Wer ständig „Feuer!“ schreit, wird nicht gehört, wenn es wirklich brennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke