Gaulands Relativierung der NS-Zeit: Empörung wegen „Vogelschiss“
War die Nazi-Zeit „ein Vogelschiss in der Geschichte“? Der AfD-Chef sorgt für Aufregung. Thüringens Parteichef Höcke will einen Rentenaufschlag nur für Deutsche.
Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag hatte am Samstag beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach gesagt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“
Dieser mit Beifall quittierte Satz fiel nach einem Bekenntnis Gaulands zur Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. „Ja, wir bekennen uns zur Verantwortung für die zwölf Jahre“, sagte Gauland. Er machte aber auch deutlich, dass das nur ein Teil der deutschen Geschichte sei: „Wir haben eine ruhmreiche Geschichte – und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre.“
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer schrieb auf Twitter: „50 Mio. Kriegsopfer, Holocaust und totaler Krieg für AfD und Gauland nur ein „Vogelschiss“! So sieht die Partei hinter bürgerlicher Maske aus.“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: „Das ist eine erschreckende Verharmlosung des Nationalsozialismus. Es ist eine Schande, dass solche Typen im Deutschen Bundestag sitzen.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am Sonntag: „Wer heute den einzigartigen Bruch mit der Zivilisation leugnet, kleinredet oder relativiert, der verhöhnt nicht nur die Millionen Opfer, sondern der will ganz bewusst alte Wunden aufreißen und sät neuen Hass, und dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen“. Steinmeier ging in seiner Rede bei einem Festakt in Berlin nicht direkt auf die Äußerungen des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland ein.
Erst eurokritisch, dann ausländerfeindlich, jetzt völkisch
Sätze wie dieser seien „keine Ausrutscher, sondern System“, erklärte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. Die AfD schreibe die Geschichte um. „Die Kurve der AfD von eurokritisch über ausländerfeindlich zu völkisch ist steil und abschüssig.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, twitterte: „Gauland unterschreitet wieder jedes Niveau.“
Martin Schulz (SPD)
Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, nannte Gaulands Äußerungen „zynisch und geschichtsvergessen“. „In diesen zwölf Jahren war Deutschland für den Tod von mehr Menschen verantwortlich als in allen Epochen zuvor. Spätestens jetzt weiß jeder, woran er bei dieser Partei ist“, sagte er. „Wer die Untaten der alten Nazis verharmlost, ist der Steigbügelhalter der neuen Nazis“, schrieb der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz.
Thüringens Partei- und Fraktionschef Björn Höcke, der auch Gast des Bundeskongresses der Jungen Alternative war, hatte im vergangenen Jahr mit der Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ für heftige Debatten gesorgt. Ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke, das noch der alte Bundesvorstand unter der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry eingeleitet hatte, hat das Thüringer Parteischiedsgericht inzwischen beendet. Es lehnte einen Parteiausschluss Höckes ab.
Rentenstreit in der AfD
Am Samstag schlug Höcke einen steuerfinanzierten Rentenaufschlag nur für deutsche Beitragszahler vor. Der „Staatsbürgerzuschlag“ sei Teil eines umfangreichen Rentenkonzepts, sagte ein Mitarbeiter Höckes am Samstag am Rande des Bundeskongresses der Jungen Alternative. Es solle von Höcke und dem Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl am Montag in Berlin vorgestellt werden.
Vorgesehen sei, dass kleine Renten von Versicherten im Durchschnitt um 180 Euro pro Monat aus Steuerermitteln aufgestockt werden. Die Zahlung solle an eine bestimmte Zahl von Beitragsjahren und andere Bedingungen geknüpft werden, sagte der Höcke-Mitarbeiter.
Derzeit zählt die Rentenkasse laut Spiegel fast 38 Millionen aktiv Versicherte, mehr als 5 Millionen dieser Beitragszahler hätten einen ausländischen Pass. Deren Rentenansprüche würden nicht angetasftet, heißt es in der Thüringer AfD.
In der AfD gibt es einen länger schwelenden Streit um den Kurs der Partei in der Renten- und Steuerpolitik. Laut Spiegel will die Thüringer AfD mit dem Papier vor allem um verunsicherte Wähler im Osten werben. „Die AfD hat die große Chance, die Sozialdemokratie im Osten zu beerben“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Pohl.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 13.06 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
BSW in Thüringen
Position zu Krieg und Frieden schärfen