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Zeev Sternhell über Faschismus„Faschistische Mentalität war nie tot“

Für Faschisten ist die Gesellschaft ein lebender Organismus: der israelische Politologe Zeev Sternhell über die Aktualität ihres Denkens.

Die Eigentumsverhältnisse blieben unangetastet: italienische Faschisten in den zwanziger Jahren Foto: afp
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

taz: Herr Sternhell, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Holocaust dachte die Welt, die faschistische Gefahr sei vorüber. War das eine unsinnige Diagnose?

Zeev Sternhell: Das war das Ergebnis davon, das Wesen des Faschismus und auch des Nazismus zu missverstehen. Für die meisten Menschen in Europa war es sehr bequem zu denken, dass die 1920er und 1930er nicht mehr waren als ein unglückliches Ergebnis des Ersten Weltkrieges. Ein Unfall, der nicht wirklich zur Geschichte dieser Länder gehörte. Für Benedetto Croce war der italienische Faschismus ein Phänomen „in Klammern“, das nicht zur italienischen Geschichte gehörte. In Frankreich wurde die Vichy-Diktatur als ein unbedeutendes Übergangsphänomen zwischen der Dritten und Vierten Republik gesehen.

Das kennt man auch aus Deutschland.

Richtig. Für konservative Historiker wie Ernst Nolte wurde der Nazismus nicht durch die deutsche Kultur produziert, sondern war eine Imitation des Bolschewismus und eine Antwort auf den Stalinismus und die vom Kommunismus ausgehende Gefahr für die deutsche Bourgeoisie. Er hatte demnach nichts zu tun mit der langen Kampagne gegen die Aufklärung, die Französische Revolution und die Menschenrechte weit vor 1914.

Wie haben die Mentalitäten der Faschisten überlebt?

Faschistische Mentalitäten mussten nicht überleben, weil sie nie tot waren. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Zivilisation. Ein Produkt der Krise der Zivilisation am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die wissenschaftliche Revolution stieß die Sicht um, die Menschen von sich selbst und dem Universum, das sie bewohnten, hatten. Eine wirkliche intellektuelle Revolution bereitete die Erschütterungen vor, die bald das europäische Disaster der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts produzieren würden. So muss die faschistische Indoktrinierung erklärt werden: Die extreme, präfaschistische und bereits vollständig faschistische Rechte waren das direkte Ergebnis dieser Krise der Zivilisation in einem noch nie da gewesenen Ausmaß. Deshalb konnte der Faschismus eine Massenbewegung und gleichzeitig ein elitäres intellektuelles Phänomen werden. Welches fähig war, einige der fortschrittlichsten Elemente der Avantgarde dieser Zeit anzuziehen.

Müssen wir in Deutschland einen neuen Nationalismus fürchten, einen neuen europäischen Faschismus?

Die extreme Rechte ist in Frankreich, Holland oder Israel nicht weniger stark. Faschismus gehört zu unserer Geschichte. Er ist eine permanente Bedrohung für die liberale Demokratie und für die soziale Demokratie, die beide im Geist der Aufklärung verwurzelt sind. Es ist ein ruhendes Phänomen: In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz nicht. Aber in schwierigen Zeiten wie jenen, die wir gerade erleben, gewinnen faschistische Ideen an Stärke und treten zutage. Faschismus befasste sich und befasst sich weiterhin mit einem realen Problem: Die Natur von sozialen Beziehungen.

privat
Im Interview: Zeev Sternhell

Geboren 1935 im polnischen Przemyśl, überlebte Zeev Sternhell die nationalsozialistische Besatzung Polens durch Aufnahme bei katholischen Helfer*innen. Zeev Sternhell gilt als einer der einflussreichsten Politikwissenschaftler in der ­Auseinandersetzung mit der sogenannten Zwillingsthese von Ernst Nolte. 2008 wurde Sternhell Opfer eines Bombenanschlags, nachdem er die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten scharf kritisiert hatte.

Wie geht er mit diesem Problem um?

Der Faschismus lieferte attraktive Antworten auf einige der Fragen, die die Leute in den letzten zwei Jahrhunderten beschäftigten: als Erstes, was bringt eine Gruppe von Menschen in eine Gesellschaft? Was ist die Natur der Beziehung zwischen Individuum und dem Kollektiv, und was ist die Grundlage von politischer Legitimität? Was macht eine Nation aus? Ist sie eine Option, frei geäußert von Individuen mit gleichen Rechten, so wie es die Französische Revolution in ihren ersten Jahren beibehielt? Oder sind es Geschichte, Kultur, Religion, die ethnische Gruppe, die Nation definieren? Was ist die Natur des gemeinsamen Nenners, der Menschen dazu befähigt, ein Minimum an Solidarität zu entwickeln, das ein Zusammenleben möglich macht? Was gibt dem Leben in der Gesellschaft eine Bedeutung? Daher war der Faschismus, bevor er eine politische Kraft wurde, ein kulturelles Phänomen.

Wovor fürchten sich Faschisten und Rechtspopulisten? Was hassen sie?

Faschisten und alle extremen Rechten hassen die Prinzipien der Aufklärung. Das Erbe des 18. Jahrhunderts, die Menschenrechte und die Idee, dass die Gesellschaft ein Gesamtwert von Individuen ist und nicht ein organischer Körper. Das ist sehr wichtig: Aus ihrer Sicht ist die Beziehung zwischen einem Individuum und der Gesellschaft vergleichbar mit der Beziehung, die zwischen einem Baum und einem Blatt oder Ast besteht: Individuen gehören auf die gleiche Weise zur Gesellschaft. Gesellschaft ist eine Nation, ein lebender Organismus. Und eine Nation ist das Produkt von Geschichte, Ethnizität, Kultur. Sprache ist kein Kommunikationsmittel, es ist der perfekte Ausdruck des Volksgeistes. Für sie sind die Liberalen und Sozialisten, welche die Nation für alle, für jeden Immigranten, jeden Ausländer, zugänglich machen möchten, Feinde der Nation, deren Kultur und Geschichte.

Peter Weiss 100

Unter dem Titel seines Buchs „Die Ästhetik des Widerstands“ erinnert das Berliner Theater Hebbel am Ufer vom 28.9. bis 8. 10.2016 an Peter Weiss, der vor 100 Jahren geboren wurde. Neben Theaterstücken, Videoinstallationen und Lesungen aus dem Roman gehört dazu eine fünfteilige Gesprächsreihe über die „Wiederkehr des europäischen Faschismus“, die am 1. Oktober beginnt. Zeev Sternhell hält den Eröffnungsvortrag.

Was können wir gegen diese Tendenzen tun?

Vor allem gilt es an den Prinzipien der Aufklärung festzuhalten. An Kant, Rousseau und Voltaire und damit an der Idee der Autonomie des Individuums. Es ist besser, eine Wahl zu verlieren, als Kompromisse zu machen und seine Seele zu verlieren.

Sie schreiben in Ihren Büchern, dass es einen großen Unterschied zwischen der konservativen Mentalität und der faschistischen Mentalität gibt. Worin besteht dieser Unterschied für Sie?

Die faschistische Mentalität ist eine revolutionäre Mentalität, keine konservative. Faschisten haben nichts aufrechtzuerhalten in der modernen Welt, außer den Kapitalismus. Faschisten kämpfen gegen die intellektuellen und moralischen Prinzipien des Liberalismus. Nicht gegen die liberale Wirtschaft. Die kommunistische Revolution war die Art von Revolution nach den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts: eine wirtschaftliche und soziale Revolution. Die faschistische Revolution war jedoch recht unterschiedlich: eine echte Revolution des 20. Jahrhunderts. Es war eine kulturelle, moralische, psychologische und politische Revolution. Aber eine, die nie die Grundlage der existierenden Wirtschaftsordnung berührte. Somit wurde eine neue menschliche Ordnung geschaffen, aber soziale sowie wirtschaftliche Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten wurden nicht beseitigt. Den Kapitalismus als das natürliche Fundament von Gesellschaft zu akzeptieren war ein grundlegendes Merkmal von Faschismus. Denn der Kapitalismus kommt mit den schlimmsten Tyranneien genauso problemlos zurecht wie mit der Demokratie.

Aus dem Englischen von Marion Bergermann

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46 Kommentare

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  • Danke für die Ergänzungen!

     

    Was ich nicht so recht verstehe ist dein erster Satz, "Nein, diese Idee ist nicht zutreffend.", da der Rest deines Posts nicht dem, was ich geschrieben habe, widerspricht, sondern einige Details ergänzt/weiter ausführt sowie meine Aussagen zusätzlich argumentativ untermauert.

     

    Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt. Was bei solchen Themen aber auch verdammt schwierig ist.

     

    Wie verstehen wir uns?

    Ich versuche es mal, indem ich auf das Bild mit den "Stämmen" zurückkomme:

    Die völkische Ideologie unterscheidet zwischen _verschiedenen_ Stämmen. Ich sprach von _einem_ Stamm, der die ganze Menschheit (oder: die ganze Erde) umfasst. Und wir wachsen aus diesem Stamm heraus, wie Blätter.

     

    Mit meinen Ausführungen ging ich übrigens konkret auf die Formulierung des zitierten Satzes in dem Artikel ein. Und dort steht nichts von verschiedenen Stämmen. Natürlich war mir bewusst, dass Faschisten solche völkischen Ideen, von voneinander verschiedenen und verschiedenwertigen Stämmen, vertreten. Das heiße ich keinesfalls gut, und darum ging es mir auch nicht.

     

    Ansonsten finde ich spannend, wie sich in deinem Post auch dieses "zwei Seiten einer Medaille" wieder findet (oder ein noch besseres Bild wäre vermutlich eine Möbius-Schleife):

    "Die Aufklärung betont, dass das Gemeinsame, Verbindende der Menschheit größer ist, als die Unterschiede zwischen den Individuen."

    &

    "[im völkischen Ansatz] werden [individuen] nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern ihre Eigenschaften anhand derer, die "ihrem Stamm" zugeschrieben werden, bestimmt."

     

    Bitte nicht falsch verstehen: das soll keine Kritik an einem Widerspruch in deinen Ausführungen sein! Im Gegenteil, ich will nur zeigen, dass da etwas ist, was wie ein Widerspruch aussieht, es aber eigentlich nicht ist. Was ein Beispiel für etwas ist, was ich versucht habe, zu verdeutlichen.

     

    Ich finde diese Unterhaltung sehr anregend und hoffe auf weitere Kommunikation.

  • "Aus ihrer Sicht ist die Beziehung zwischen einem Individuum und der Gesellschaft vergleichbar mit der Beziehung, die zwischen einem Baum und einem Blatt oder Ast besteht: Individuen gehören auf die gleiche Weise zur Gesellschaft."

     

    Diese Idee gibt es aber nicht nur im Faschismus und ist grundsätzlich auch erstmal zutreffend (da nichts und niemand sich unabhängig von seinem Kontext verhalten kann) und eine wertvolle Sichtweise. Solange sie nicht "zu weit getrieben", also als Rechtfertigung für Autoritarismus etc. verwendet wird.

     

    Ich selbst würde mich als vehementen Befürworter der Aufklärung bezeichnen, aber gleichzeitig sehe ich die Aufklärung nicht als etwas abgeschlossenes, was sich als die heute so bezeichnete Epoche der Geisteswissenschaft beschränkt, sondern als einen laufenden Vorgang der längst nicht abgeschlossen ist.

     

    Die Autonomie des Individuums zu betonen war in dem historischen Kontext wichtig, aber auch hier gibt es wieder das Potential, genau wie bei dem Kollektivgedanken von oben, dass es "zu weit getrieben wird". Wohin das führen kann sieht man z.B. an solchen Phänomenen wie der "Reichsbürgerbewegung", wo diese Idee der Autonomie/Souveränität in ein geradezu grotestkes Extrem übersteigert wird.

     

    Ich denke, hier ist eine Art Balance, ein Mittelweg angebracht.

     

    Und vor allem auch, festzustellen, dass/inwiefern diese oft als polare Gegensätze hingestellten Sichtweisen sich eigentlich gar nicht widersprechen müssen, sie letztlich zwei Seiten einer Medaille sind.

     

    Tatsächlich denke ich, darin liegt ein wichtiges Puzzleteil für die Zukunft der Menschheit. Wenn ich mir die jüngere Geschichte anschaue, fällt vor allem die Zeit der "68er" auf, die erste, vielleicht etwas unbeholfene aber sehr wichtige, Schritte in diese Richtung unternommen hat.

     

    Aber auch das war nur eine Etappe des Weges, nicht das Ende.

    • @Existencielle:

      (dies war eigentlich als Antwort auf den Beitrag von "Cursed With A Brain" unten gedacht... ich weiß nicht, warum es als eigenständiger Beitrag auftaucht; vielleicht weil ich zunächst eine Fehlermeldung bekam, dass mein Beitrag ein paar Zeichen zu viel hatte)

    • @Existencielle:

      Nein, diese Idee ist nicht zutreffend.

       

      Die Aufklärung betont, dass das Gemeinsame, Verbindende der Menschheit größer ist, als die Unterschiede zwischen den Individuen. Der völkische Ansatz behauptet das Gegenteil.

       

      Die Menschheit wird dabei in "Stämme" aufgeteilt und die Individuen (jeweils) "einem (Volks)Stamm zugewiesen. Die Unterschiede zwischen den Blättern zweier Stämmen sind größer, als ihre Gemeinsamkeiten, und die Gemeinsamkeiten zwischen den Blättern eines Stammes größer als ihre Unterschiede.

       

      Individuen werden nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern ihre Eigenschaften anhand derer, die "ihrem Stamm" zugeschrieben werden, bestimmt.

       

      Dieses Gedankengut von der grundlegenden Verschiedenheit der Menschen und ihrer Eigenschaften anhand ihrer "Stammeszugehörigkeit" bildet die Grundlage für die Rassenideologie, das "Stammes-Ranking" von "arisch" über "minderwertig" bis "unwert".

       

      Die wahren Grenzen unserer Tage verlaufen aber nicht zwischen den Völkern, sie trennen "arm" von "reich".

    • @Existencielle:

      Hola - & Ja wie? Lebt denn der alte Holzmichel noch? Fällt's Blatt nicht weit vom Baum - Wenn man's nicht übertreibt! - Jau - Da sans all wedder!

       

      "Die zwischen den Zeilen

      Widerstand leisteten,

      damals,

      die sich zurückzogen

      in das Reich Beethovens,

      damals,

      und dann wieder herauskamen

      und immer noch schreiben,

      die heben jetzt mahnend die Stimme:

      Maßhalten, sagen sie, maßhalten,

      ihr Polizisten,

      maßhalten, ihr Studenten,

      maßhalten,

      ihr Exploiteure und Gouverneure,

      maßhalten,

      ihr Arbeiter, Chinesen und Neger,

      maßhalten, ihr Mörder,

      maßhalten, ihr Opfer. …"

      http://www.golyr.de/franz-josef-degenhardt/songtext-notar-bolamus-629995.html &

       

      "Der alte Notar Bolamus,

      der muss weit über neunzig sein,…"

       

      Ich frag ja nur mal?:)

      Vehementer der Aufklärung & Wertvoller Sichtweise.

      Geht's noch!

       

      "…Aber auch das war nur eine Etappe des Weges, nicht das Ende."

      Naja dann! & ich dacht schonn!

  • "Was gibt dem Leben in der Gesellschaft eine Bedeutung? Daher war der Faschismus, bevor er eine politische Kraft wurde, ein kulturelles Phänomen."

     

    Zeev Sternhell bringt es auf den Punkt. Faschistoide Gesinnungen sind weniger Ausdruck politischen Handelns, sondern das Ergebnis misslungener sozialer Anpassungsstrategien. Faschisten reagieren wie manche Kinder, die man nicht mitspielen lässt, weil sie dem Spiel nicht gewachsen sind und sich nicht einordnen können: sie zerstören, das woran sie eigentlich teilhaben wollen.

     

    Das Attraktive am Faschismus wird für Menschen, die einfach zu befolgende Regeln und leicht zu erbringende Voraussetzungen dafür suchen, einer vermeintlich starken und mächtigen Gruppe anzugehören, sein, dass es ihn überhaupt gibt. Überemotionalisierung, Pathos, Massenhysterie und die rigide Abgrenzung gegen über den "Anderen" werden Personen anziehen, die in ihrer Kindheit nicht lernen konnten, mit Widersprüchen zu leben, ihre Gefühle zu regulieren und denen ihre nächsten Bezugspersonen keinen Halt boten. Nicht ohne Grund weisen alle faschistischen Führungspersönlichkeiten eine von extremen Misshandlungen gekennzeichnete Kindheit auf, in der sie von ihren eigenen Eltern ausgebeutet und misshandelt wurden. (Sexueller?) Missbrauch durch Mütter liegt nahe http://kriegsursachen.blogspot.de/2014/04/die-kinder-der-ns-tater-und-die.html

    Unterdrückte Homosexualität und Probleme, eine erwachsene Männlichkeit zu entwickeln, sind ebenfalls Kennzeichen faschistoider Männerbünde. http://www.psychohistorie.de/

  • Wilhelm Reich schreibt: „Es besteht eine wichtige Beziehung zwischen der ökonomischen Struktur der Gesellschaft und der massenpsychologischen Struktur ihrer Mitglieder; nicht nur in dem Sinne, dass die herrschenden Ideologien die Ideologien der herrschenden Klasse sind, sondern, was für die Lösung von praktischen Fragen der Politik bedeutsamer ist: auch die Widersprüche der ökonomischen Struktur einer Gesellschaft sind in den massenpsychologischen Strukturen der Unterdrückten verankert. Anders wäre nicht denkbar, dass die ökonomischen Gesetze einer Gesellschaft nur durch die Tätigkeit der ihnen unterworfenen Massen zur konkreten Auswirkung gelangen können.“

     

    In: W. Reich: Die Massenpsychologie des Faschismus. 3. Die Fragestellung der Massenpsychologie.

    • @Reinhold Schramm:

      Das gefällt mir. W. Reich ist wie sein Schüler E. Fromm aus dem gleichen Denkkreis. Psychoanalytiker, die über das Individuum hinaus gesellschaftliche Schlussfolgerungen daraus zogen. Sie werden heute nur generell ver-/missachtet, weil auch einige Fehlleistungen wie die "Entdeckung" der Orgonstrahlung oder weltanschaulische Besonderheiten, wie Hinwendung zum Kommunismus ihnen anhaften.

      • @lions:

        „Den Kapitalismus als das natürliche Fundament von Gesellschaft zu akzeptieren war ein grundlegendes Merkmal von Faschismus. Denn der Kapitalismus kommt mit den

        schlimmsten Tyranneien genauso problemlos zurecht wie mit der Demokratie.“

         

        „In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz nicht. Aber in schwierigen Zeiten wie jenen, die wir gerade erleben, gewinnen faschistische Ideen an Stärke und treten zutage.“

         

        Kapital+Faschismus = Kapitalfaschismus - im 20. und 21. Jahrhundert!

      • @lions:

        Die Hinwendung zur Aufhebung der Klassengesellschaft sollte man nicht als "Fehlleistung" interpretieren. Allenfalls wäre die "Orgonstrahlung" zu hinterfragen. Die Persönlichkeitsentwicklung kann auch einen Bruch enthalten. Aber auch damit werden nicht unbedingt vorausgegangene Erkenntnisse in Frage gestellt.

         

        Die kapitalistische Gesellschaftsformation, der Kapitalismus, -- neubürgerlich-demagogisch: "Soziale Marktwirtschaft" --, ist nicht das Ende der Geschichte.

        • @Reinhold Schramm:

          Die Fehlleistung sollte nicht für den Kommunismus als Idee gelten. Semantisch eigentlich ganz eindeutig, Nur die Orgonstrahlung war damit gemeint.

  • Ein Problem stellt sicher die zurückhaltende Verwendung des Begriffs 'Faschismus' dar. Eigentlich sei es nur in Italien und eigentlich nur von 1919 bis 1921 und nur wenn eine bestimmte Fahne geweht wird und eigentlich sei alles schon zu lange her.

     

    Wir sollten Faschisten Faschisten nennen, wenn sie sich so verhalten. Denn sie stellen eine Bedrohung für die Gesellschaft dar, egal wann und wo sie auftreten. Wehret den Anfängen!

  • "Faschisten und alle extremen Rechten hassen die Prinzipien der Aufklärung. Das Erbe des 18. Jahrhunderts, die Menschenrechte und die Idee, dass die Gesellschaft ein Gesamtwert von Individuen ist und nicht ein organischer Körper."

     

    Zudem man dann per Geburtsrecht dazugehört - oder eben nicht.

     

    Nach dieser Definition wird klar, dass die AfD eine im Kern faschistische Partei ist. Sie fordert nichts weniger als eine

    umfassende Revision der essentiellen Werte des humanistischen, rationalistischen und optimistischen Erbes der Aufklärung. Der exzessive vorgetragene Kampf gegen die "political correctness" ist da nur ein Baustein, ebenso die permanente heuchlerische Darstellung als "Opfer" eines vermeintlich "repressiven" und "undemokratischen" Zeitgeistes.

     

    Die AfD ist in Deutschland die aktuelle Speerspitze im Kampf gegen alle politischen Errungenschaften der Neuzeit, so wie es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die faschistischen und nationalchauvinistischen Bewegungen vor allem in Italien, Deutschland oder auf dem Balkan gewesen sind.

    • @cursed with a brain:

      "Faschisten und alle extremen Rechten hassen die Prinzipien der Aufklärung. Das Erbe des 18. Jahrhunderts, die Menschenrechte und die Idee, dass die Gesellschaft ein Gesamtwert von Individuen ist und nicht ein organischer Körper."

       

      Kommt mir auch sehr bekannt vor... Wie war das noch mal mit der Kairoer Erklräng der "Menschenrechte", Ablehnung der Aufklärung usw.

      Seien wir froh, dass Hitler nicht auf die Idee kam sich zum Propheten zu erklären, sonst wäre die Geschichte dank Religionsfreiheit wohl anders ausgegangen^^

      • @karlei:

        Es gab da mal so einen Mufti, der hat das damals durchaus versucht, den Adolf als einen "Propheten des Herrn" zu verkaufen...

      • @karlei:

        Was Sie dabei anscheinend bewußt ignorieren, ist die Tatsache, dass es sich bei der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte um „eine säkulare Interpretation der judäo-christlichen Tradition, die von Muslimen nicht ohne Bruch des islamischen Rechts befolgt werden könne“ handelt. Im übrigen gibt es neben der "Kairoer Menschenrechtserklärung" von 1990, herausgegeben von der "Organisation für islamische Zusammenarbeit" (OIC) auch eine "Arabische Charta der Menschenrechte" der Arabischen Liga von 2004, in welcher die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" in der Fassung der UN anerkannt werden. Sie trat 2008 in Kraft.

         

        Die westliche Welt war vor dieser Erklärung ja auch nicht per se "faschistisch". Und hätte die römisch-katholische Kirche oder der jüdische Weltkongress die Menschenrechtserklärung ausgearbeitet, wer weiss, was dabei herausgekommen wäre.

         

        Der Führerkult um die Person Hitlers läßt sich in weiten Teilen nur so erklären, als dass die deutsche Bevölkerung in ihm einen Befreier, Heilsbringer, einen (heidischen) Erlöser und Heiligen sah.

        • @cursed with a brain:

          Wenn, wie Sie es formulieren, die Menschenrechte nicht ohne Bruch des islamischen Rechts befolgt werden können - macht es Ihnen dann keine Sorgen, dass muslimische Einwanderer eventuell das islamische Recht über die Menschenrechte und das Grundgesetz stellen könnten?

          • @karlei:

            ob Sie wohl alle menschenrechte Ihrer mitmenschen kennen, welche Sie zu "respect, protect, fullfill (das sog. menschenrechtliche mantra)" hätten? oder ob Sie nicht gelegentlich den knigge über die menschenrechte+das GG stellen?

        • @cursed with a brain:

          danke-

          im übrigen bleibt anzumerken, dass egal wer welche menschenrechtserklärung in die welt setzt, jedes mensch menschenrechtssubjekt ist. und als solches behandelt gehört.

  • "Die der linken Philosophie entsprechende Haltung zur Autorität ist durch ein Verlangen nach Freiheit der eigenen Person wie aller Menschen gekennzeichnet, einer Freiheit, die dem Individuum erlaubt, sein eigenes Glück und seine Entfaltung zum obersten Gesetz seines Lebens zu machen, ohne dass aber diese individuelle Entfaltung im Gegensatz zu der anderer Menschen steht; die angestrebte Freiheit soll vielmehr gerade auf der Basis einer solidarischen Beziehung zu ihnen ermöglicht werden. Andere Charakteristika sind der Hass auf alle Mächte, die die Freiheit des Individuums für irgendwelche ausserhalb seiner selbst liegenden Zwecke einschränken, sowie eine identifizierende Sympathie mit allen Unterdrückten oder Schwachen. Insgesamt handelt es sich somit um eine Haltung, die der Welt kritisch gegenübersteht, die geschichtliche Vorgänge nicht als das unvermeidliche Walten höherer Mächte ansieht, sondern als das Resultat bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse, durch deren Veränderung scheinbar ewige und notwendige Züge des menschlichen Schicksals geändert werden können."

     

    "Die autoritäre Haltung bejaht, ja, erstrebt und genießt das Unterworfensein des Menschen unter höhere, ausser ihm stehende Mächte, seien diese Mächte nun der Staat oder ein Führer, das Naturgesetz, die Vergangenheit oder Gott. Der Starke und Mächtige wird eben um dieser Eigenschaften willen bewundert und geliebt, der Schwache und Hilflose gehasst und verachtet. Nicht Lebensgenuss und Glück, sondern Opfer und Pflicht sind die leitenden Ziele der autoritären Haltung."

     

    Erich Fromm, "Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches" (1929)

    • @Mustardman:

      Ich wünschte sehr, der gute Erich Fromm hätte sich nicht nur unter Arbeitern und Angestellten umgesehen seinerzeit. Hätte der Sohn einer Rabbiner-Dynastie und studierte Psychoanalytiker nicht (berechtigte) Skrupel gehabt, sich auch unter seinesgleichen brutalstehrlich zu bilanzieren, wäre ihm vermutlich aufgefallen, dass autoritäre Haltungen keineswegs nur an der Basis der Gesellschaftspyramide angesiedelt sind. Im Gegenteil: Wie alles Kulturelle werden auch autoritäre Haltungen vor allem von denen kultiviert, die davon am meisten profitieren.

       

      Leider kann man Erich Fromm mit der Erkenntnis, dass wir alle eine dunkle Seite haben, offenbar nicht ganz so gut zitieren, sonst hätten Sie es sicherlich getan, verehrteR MUSTARDMAN, oder hab ich mich da in Ihnen sehr geirrt?

      • @mowgli:

        Dafür hat ja dann Klaus Theweleit

        Mit - Männerphantasien - et al.

        Gut nachgelegt!

  • Eine gelungene Skizze via Interview.

    Die Faschismus & Nazismus benennt & unterscheidet. Das & alles - ja.

     

    Die aber Roß&Reiter weder qua Frage noch in den Antworten benennt - Allenfalls zur intellektuellen Ebene - öh andeutet.

    (Nolte ist ja postpost!)

    Eine eklatante Schwäche.

     

    Namen wären da - sehr nützlich;

    Nur so wäre/ist die Kontinuität bis heute nämlich greifbar. Schade!

     

    Ich sag mal Carl Schmitt ~> Otto Depenheuer ~> Wolfgang Schäuble. http://www.zeit.de/2007/33/Schaeubles_Nachtlektuere https://www.welt.de/welt_print/article1418727/Schaeubles-schauderhafte-Nachtlektuere.html - aber ok -

     

    Wer da lieber den "bohrenden Denker" Martin Heidegger - gar - den ans Ende der Nacht reisenden -

    Louis-Ferdinand Céline oder denn doch eher - In Stahlgewittern - des Ernst Jünger anzieht -

    Um nur einige dieser Ekelheroen zu nennen! Alles unbenommen!

    Paßt always & fugenbreitdicht.

     

    kurz - dennoch Danke.

    • @Lowandorder:

      Ichsachmaso: Zu meiner Schulzeit 70er 80er Jahre, legte man beim Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht großen Wert auf Aufklärung bezüglich NS, Diktaturen, Totalitarismus. Hat nicht bei allen gefruchtet, aber bei den meisten. Heute aber, wo eher die Arbeitgeberverbände den Lehrplan gestalten und das eher so: "...politische Bildung, wozu? Der Dreher an seiner Drehbank braucht das später nicht..."

       

      Wen wundert´s, dass man vergisst?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Sehr gewagte und ziemlich platte. unbelegte Thesen, lieber Chef.

        Meine Frau, Lehrerin, erlebt das ganz anders: sie wird in ihrem Bemühungen, Unterricht zu Totalitarismus und Faschismus stark unterstützt - von allen Seiten.

        Es hapert aber nicht zu knapp bei der Unterstützung wenn es darum geht, in einer Gemeinschaft Regeln aufzustellen und auch durchzusetzen, damit Unterricht (auchzu Totalitarismus!) effizient und störungsfrei zu gestalten. Vor allem sogenannte Linksliberale haben das Gefühl, es wäre Kindsmissbrauch, wenn man ihren Kids mal etwas verbietet oder bei fortgesetzter Missachtung einfachster Regeln (Unterricht nicht stören) eine Strafarbeit aufbrummt.

        Aber solche Einsichten passen halt nicht in ihr einseitiges Weltbild...

        Ansonsten stimme ich Lowandorder volkommen zu.

        • @Blacky:

          "Vor allem sogenannte Linksliberale..."

           

          Komisch. An unserer Schule tun sich eher die pegida-konformen Durchschnittsdeutschen diesbezüglich hervor.

  • Mir fehlt da der individuell psychologische Ansatz. Der Faschismus hat seine Heimat in jedem Menschen, der ihm von da heraus auch folgen wird. Man möchte meinen, die Menschen würden zum Faschismus verführt, wie das gerne nach dem dritten Reich attestiert wurde. Nein, es ist eine Anlage im Verfechter des Faschismus, die in dessen Kindheit angelegt wird. Kinder werden den Staat erwachsen als das erleben wollen, was die Eltern ihnen bedeuteten. Das ist die Keimzelle des Faschismus. Zwang, Züchtigung, einfache Antworten, die Familie als uneingeschränkte, nicht zu hinterfragende Körperschaft, autoritäre Bestrafung und die Folge: keine autonome Entwicklung des Kindes und generalisierte Angst. Die gesellschaftliche Potenzierung ist eine Folge dessen, die bei Bedarf von den faschistischen Ideologen lediglich gehoben wird, also ein sekundärer Prozess. Der autoritäre Charakter nach Erich Fromm, (Letzteren kann ich zum Verständnis der Faschismus-Problematik nur empfehlen), wird einen Staat für sich anerkennen, der ihm seine erworbene existenzielle Angstnatur stillt. Das kann eben auch die Demokratie ethischer Prägung sein. Versagt diese, wird der autoritäre Charakter dem diktatorischen Überbau folgen, analog zum Elternbild.

    Wer den Hort des Faschismus sucht, ohne das Individuum in seiner charakterlichen Besonderheit zu betrachten, hat sich darin disqualifiziert. Das gilt auch für Herrn Sternhell. Die Quelle des Faschismus ist die Kinderstube.

    • @lions:

      Faschismus ist eine vorzivilisatorische, quasi "natürliche" Organisationsform, bzw. eine, die sich auf instinktive, animalische Verhaltensweisen und Gefühlen stützt, die aber in Staaten schlicht nicht funktionieren. Sie sprechen aber genug Leute an, um damit erstmal an die Macht zu gelangen. Dann knallt es erst.

      • @Mustardman:

        Was ist daran natürlich, wenn eine Ethnie der anderen unterstellt, sie wolle die Vernichtung des einen betreiben. Das ist reine Fiktion. Es ist die Kultivierung der Angst; Eine Fehlbildung der Hochzivilisation.

    • @lions:

      Bin bei Ihnen und gehe sogar so weit zu sagen, dass Faschismus gar ein biologisches Prinzip von Gruppen ist.

      Das biologische Prinzip der Hierarchie, Autorität und Dazugehören oder eben nicht hat das Überleben der Menschen, der Sippen gesichert.

      Mussolini, der Faschismus hat das letztlich auf eine ganze Nation übertragen.

      Faschismus abzulehnen ist hingegen ein Akt der Kultur, der Weiterentwicklung des Archaischen zum Modernen.

       

      Der Faschismus wird nie überholt sein, denn er steckt in jedem von uns drin. Darauf auzupassen, dass er sich in einer organsierten Struktur keinen Nährboden findet ist unser aller Aufgabe.

    • @lions:

      Die Kinderstube ist sicher eine wichtige Quelle, aber nicht DIE. Auch autoritäre Charaktere können sich später im richtigen Umfeld entwickeln – und auch nicht-autoritär Erzogene können Faschisten werden.

      Fromm dennoch ein stabiler Typ.

    • @lions:

      Sie haben recht, ANAMOLIE: Die Familie ist die "Keimzelle" jeder Gesellschaft, auch die faschistischer Gesellschaften. Wer in der Familie auf Zucht und Ordnung, Zwang und simple Antworten, geprägt wird, wer gelernt hat, eine auf der Bereitschaft zur Brutalität beruhende Autorität als Basis des Zusammenlebens zu akzeptieren, der überträgt seine ganz persönliche Sozialisation (die in dem Fall eher eine Indoktrination ist) nur in ganz seltenen Ausnahmefällen nicht in die Gesellschaft hinein, in der er später lebt.

       

      Überforderte, indoktrinierte Eltern wird es vermutlich immer geben. Der Eltern-TÜF ist ja nicht wirklich eine gute Lösung. Er stinkt zu sehr nach Machtmissbrauch und Unterdrückung. Wir sollten uns also alle miteinander an den Gedanken gewöhnen und darauf einrichten, dass faschistische Tendenzen überall und immer auftreten könne. Auch und gerade da, wo sie nicht zu vermuten waren. Die Welt muss lernen, damit umzugehen. Nicht auf die alte, restriktive Art, sondern auf neue, wirklich aufgeklärte.

    • @lions:

      booey - mal sauber Karte für Karte runtergespielt! - korrekt.

      "Anlage" & "Quelle" - wenn das keine

      Monokausalen Erklärmuster sein sollen - stimm ich tuto completto zu.

      (am Schluß a weng harsch - odr?

      JAF JAF hat ja auch nicht gefragt; &

      Glaube schonn - daß Herr Sternhell das locker drauf hat!;)

      • @Lowandorder:

        Was höre ich? Sie jaulen doch nicht etwa auf? Ist das nicht etwas für getroffene Hunde?

         

        Könnte es sein, verehrteR LOWANDORDER, dass auch in Ihrer Familie einfache Antworten als das Nonplusultra gegolten haben? Ich meine: Einfach nicht im Sinne von simpel, sondern im Sinne von ablesbar. Namen, Namen Namen. Die sogenannten "Quellen", Sie verstehen? Wer aufgeschrieben steht, hat einfach recht gehabt, auch wenn es noch ein Internet gegeben hat zu seiner Zeit und die Kritik deswegen eher etwas für die Oberlehrer war.

         

        Unter solchen Bedingungen, stelle ich mir vor, muss es recht schwierig gewesen sein, das Selbstdenken richtig gut zu lernen. Wenn man nicht einen "Paten" vorzuweisen hatte, den man zitieren konnte, hatte man schon aus Prinzip nicht recht, nicht wahr?

         

        ANOMALIE scheint anders aufgewachsen zu sein. Vielleicht stammt er/sie/es nicht aus dem Bildungsbürgertum. Vielleicht hat er/sie/es es also nicht so schwer gehabt wie Sie. Aber kein Neid: Das Überlieferte muss ja ganz schlecht nun wieder auch nicht sein. Zumindest ist das Neue manchmal echt der letzte... - sagen wir mal so: Murx, der für Marx gehalten wird.

        • @mowgli:

          Häh? Er hat doch recht. Monokausal mit Kinderstube lassen sich Faschismus und autoritäres Denken nicht erklären. Ich will den Familieneinfluss überhaupt nicht wegreden, aber wenn das alles wäre, würde es ja bedeuten, dass diese autoritäre Anlage immer weitergereicht würde ohne Chance auf Veränderung. Das wird der Realität und der Fähigkeit der Menschen zu Veränderung und Selbstbestimmtheit einfach nicht gerecht. Als Bsp. fallen mir gerade 68er und ff. in Deutschland ein, die hier die antiautoritäre Erziehung gerade als Reaktion auf ihre eigenen Nazieltern eingeführt haben. Und andersrum gibt’s dann diejenigen, die wieder zurückwandern, weil ihre Eltern ihnen viel zu soft waren.

          • @Ruhig Blut:

            Teil 1

             

            Monokausal wäre wohl vermessen. Vielmehr ist autoritärer Charakter eine Grundvoraussetzung, um den Verlockungen des Totalitären anheim zu fallen. Insofern ist die Kinderstube die Quelle. Die kann versiegen, wenn die Widersprüche des Elternhauses zu offensichtlich werden, dass eine Abkehr nötig wird. Die 68er sind dafür ein gutes Beispiel. Das dritte Reich haftete der Elterngeneration und auch der damaligen Politik noch deutlich an. Das hatte einen Heilungsprozess zur Folge, der in selbsterzieherische und selbstreflektierender Weise einen Paradigmenwechsel der Kindererziehung in West-D zur Folge hatte. Der autoritäre Charakter ist also wandelbar, wenn die Widersprüchlichkeit der Eltern zu groß wird; Eine große Leistung, aber auch Notwenigkeit mit Betonung auf Not. Was Sie Selbstbestimmtheit nennen, hat die historische Last geradezu erzwungen. In Ost-D hat rechtes Gedankengut genau deshalb solch fruchtbaren Boden, da der Bruch mit dem Erbe eben wie in West- D nie stattgefunden hat. Der autoritäre Charakter war dort weiterhin en vogue.

          • @Ruhig Blut:

            Teil 2

             

            "Und andersrum gibt’s dann diejenigen, die wieder zurückwandern, weil ihre Eltern ihnen viel zu soft waren."

            Zu soft oder zu schwach ? Soft ist ein Gemeinplatz. Soll heißen, die Erziehung zum autonomen Charakters ist keine, die alles durchgehen lässt. Vielmehr haben vom letzteren Betroffene Kinder, die ohne Grenzen erzogen wurden, oft an der Schmerzgrenze des Aushaltbaren schwerwiegend falsche Erziehungseingriffe auszuhalten gehabt, die eine Korrektur darstellen sollten, aber damit nicht zum autonomen Charakter führten. Der kann sich nur entwickeln, wenn auch die Eltern mit ausreichend Selbstwert und Grenzsensibilität ausgestattet sind. Also, autonome Charakterbildung ist auch kein Ponyhof, nur die Konsequenzen aus Fehltritten sind nicht mit Demontage der sich bildenden Persönlichkeit des Kindes verbunden; Die Integrität muss gewahrt bleiben. Mal aus der Praxis: "Du bist dumm" versus "Du hast eine Dummheit gemacht". Das ist der Unterschied. Das Wichtigste in der Vermeidung autoritärer Charakter ist also Gewaltlosigkeit seelischer und körperlicher Art, aber Konsequenz ist ein absolutes Muss.

            • @lions:

              Ja, ich denke da bin ich in allen Punkten Ihrer Meinung.

              Mit soft meinte ich nicht nur Schwäche sondern auch ein intendiertes Unterlassen von Regeln aufstellen, Grenzen setzen. Um Kindern eine maximale Entfaltung zu ermöglichen. So habe ich das von Leuten meiner Elterngeneration mitbekommen.

              Im Ergebnis mag das aber bei vielen aufs gleiche hinauslaufen. Ich kenne Kinder aus dieser Zeit, heute Erwachsene, die dadurch v. a. ihren Schweinehund maximal entfaltet haben. Weil sie, so meine Interpretation, nicht gelernt haben, Bedürfnisse anderer ernst oder überhaupt richtig wahrzunehmen. Und das führt dann wiederum zu einem ziemlich autoritären Verhalten.

              Allerdings, unbegrenzt verallgemeinern lässt sich das nicht. Es gibt immer welche, die es auch ziemlich autonom hinbekommen, sich, warum und wie auch immer, von üblen Prägungen freizumachen. Das zur Selbstbestimmtheit.

              • @Ruhig Blut:

                Ach und zu soft fällt mir noch ein: Ich kannte zu Schulzeiten auch einige, die auf konservativ und deutschnational gemacht haben, sowohl lifestylemäßig als auch ideologisch, um sich damit gezielt von ihren pädagogisch und politisch liberalen Elternhäusern abzugrenzen.

                Das passt traurigerweise gut zu den Ansichten von heutigen Neuen Rechten und AfD-Anhängern, die konservativ sein als neuen Rebellismus betrachten und damit Parallelen zu den 68ern ziehen.

                • @Ruhig Blut:

                  Ja, gibt es leider zu oft. Die 68er Generation hat sich im Gro nicht vollends befreit Auch unter diesen gibt´s Scheinliberale, die sich wohl vor ihren Kindern als "Gutmenschen" im schlechtesten Sinn aufbauten und diesen ihre Moral ständig um die Ohren hauten.

                  Autoritäre Charakter, die sich mit Aufgeklärtheit und Individualität schmücken, nach dem Motto: Irgendwas muss man ja hassen, sind die, die Sie beschreiben.

                  Das Mitgefühl auch für Menschen, die es nicht schaffen, sich aus den Zwängen zu befreien, macht den autonomen Charakter aus. Er ist ein ausgesprochener Empath. Er wird bspw. auch mit verkappten Menschen, wie von der AfD reden. Sachlichkeit in der Diskussion bewahren, Schubladen vermeiden, das Gegenüber nicht sofort erklärt wissen - das ist der autonome Freigeist.

                  • @lions:

                    Ein sehr sympathischer Charaktertyp, den Sie da skizzieren. Ob sich der unbedingt mit autonomer Freigeistigkeit decken muss, hm, weiß nicht. Aber das ist eine interessante Aussage, die ich mir merken und drüber nachdenken werde.

            • @lions:

              ;)) - leg ich mal den Fehltritt der

              Schwarzen Pädagogik beiseite -;)

              Jau - so isses.

              So - werden die Bojen fürs Leben

              Ausgeworfen! Gute Reise.

          • @Ruhig Blut:

            ;)) - aber gemach -

             

            's Mowgli - fitte Kappe - hat's ja schonn ganz selbst geschnallt -

            nicht hier - sondern da - zumal - & http://www.taz.de/!5339171/#bb_message_3413615. - ganz multikausal.

            "…Die familiäre Prägung, scheint mir einmal mehr, ist wohl nicht alles.…"

             

            Das ist fein & wollemers sodenn auch nicht mit "Es flattert das Blatt am Stege" vermelodein, nein.

            Sondern Selbständige Denke nennen - zu recht & nicht allein familiengeneriert & zudem selbstfinanziert!

            Alles gewonnen - doch doch -

            Im Steifen Stiem des Lebens!

            Normal - ebens;)

            • @Lowandorder:

              Überrascht mich gar nicht. Denke eher, sie hatte den Punkt nicht recht verstanden/verstehen wollen. Das lässt zumindest der vierabsätzige Diss vermuten. Aber nu, wat solls.

              • @Ruhig Blut:

                - genau - Ruhig Blut!;)

        • @mowgli:

          's Mowgli - "aufjaulen¿" -

          kurz - wie meinen?!;()