Dalí, Freud und der Faschismus: Essen und gegessen werden
Faschismus ist, wenn das Verdrängte ausgelebt wird: Salvador Dalís Kochbuch „Die Diners mit Gala“ als Kommentar zu 2016.
Dalí sagt, essen bedeute stets ‚über alle Maßen sterben‘ “, schreibt Salvador Dalí in seinem surrealistischen Kochbuch „Die Diners mit Gala“ über sich selbst. Von der französischen Originalausgabe des Buchs, die 1973 erschienen ist, sind angeblich nur noch 400 Exemplare erhalten. Eine deutsche Ausgabe hatte 1974 der Propyläen Verlag herausgebracht.
Nun wurde das schwere Buch mit dem goldenen Cover vom Taschen Verlag wieder veröffentlicht. Es ist voller Illustrationen: Gemälde von Dalí selbst, aber auch Reproduktionen und Ausschnitte aus Werken etwa von Hieronymus Bosch sind zu sehen. Dazwischen Fotografien von einzelnen Gerichten und mit Speisen überladenen Tischen, die wie neobarocke Installationen wirken. Mittendrin der Meister selbst, und es scheint, dass auch die Meisterköche der Restaurants darauf abgebildet sind, von denen sich Dalí inspirieren ließ.
Dalí inszeniert sich hier als Dichter des Unbewussten, als Meister der Triebe und Sehnsüchte, deren Material und Ausdruck das Essen ist – zugleich delikat und abstoßend, spektakulär und ekelerregend, glamourös und dreckig. Essen steht dabei auch für den menschlichen Körper und die Vorstellung vom Essen und Gegessenwerden.
Herbstliche Kannibalismen
„Die Diners mit Gala“ ist in zwölf Kapitel aufgeteilt. Sie tragen Titel wie „Herbstliche Kannibalismen“. Darin sind Rezepte für Eier und Meeresfrüchte zu finden, die dem berüchtigten bretonischen Baron Gilles de Rais gewidmet sind. Der Waffenbruder Jeanne d’Arcs ist in die Geschichte eingegangen als Serienmörder von hunderten Kindern. Aus ihrem Schrecken und langsamen Tod zog er angeblich sexuellen Genuss.
Das Kapitel wird mit einer großen Illustration von Dalí aus dem Jahr 1971 eröffnet. Sie zeigt eine große Platte voller Langustenschwänze, die in Form eines Kuchens aufgetürmt sind. Oben thront eine Frau, deren Arme abgeschlagen wurden. Aus den Stümpfen spritzen Blutfontänen. Zu Füßen des Langustenbergs liegen verstümmelte Kindergestalten. Vom Himmel regnet es munter Scheiße.
Katholik ohne Glauben
Das größte gastronomische Raffinement bestand für Dalí darin, „gekochte und zugleich lebendige Wesen“ zu verspeisen. Das festige ihn im „Fundamentalgesetz unserer katholisch-apostolischen römischen Religion: den lebendigen Gott in sich aufnehmen, wie es im heiligen Abendmahl praktiziert wird.“
Dalí hatte seine künstlerische Karriere als Atheist begonnen. Als er aber nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Amerika 1948 nach Spanien zurückkehrte, erklärte er Franco und der Kirche seine Loyalität. Er bezeichnete sich als „Katholik ohne Glauben“, in seinen Bildern erschienen nun häufig religiöse Symbole.
Schwebende Augen schmelzende Räder
Seine angebliche Nähe zum Faschismus führte schon 1939 zu Dalís Ausschluss aus der Surrealistengruppe. André Breton warf ihm außerdem Kommerzialismus vor. Fortan ignorierte ihn auch die Kunstkritik, die ihn verachtete, während das Publikum ihn zu lieben begann.
Tatsächlich nahm Dalí die Pop-Art vorweg. Er arbeitete für die amerikanische Bildindustrie in Werbung und Unterhaltung, auf eine Weise, die man später „Appropriation“ nennen würde. Er schuf etwa die Traumsequenz von Alfred Hitchcocks „Spellbound“, die voller psychoanalytischer Symbole ist – schwebende Augen, aggressive Scheren, schmelzende Räder und ein gesichtsloser Mann.
Angst vor Genitalien
Vor allem aber entwarf er sich selbst als Celebrity-Figur mit entsprechenden Ritualen und Kostümen. Diese performative Dimension treibt auch „Die Diners mit Gala“ an.
Im Kapitel „Ich esse Gala“ findet man „Aphrodisiaka“ wie Rumpsteak „Eros“ oder Aphroditen-Püree. Dalís Ehefrau und Muse Gala galt als sexuell hochaktiv. Er tolerierte ihre Liebhaber und behauptete, er habe Angst vor (weiblichen) Genitalien, sei impotent und masturbiere nur.
Salvador Dalí: „Die Diners mit Gala“. Taschen Verlag, Köln 2016, 320 Seiten, 49,99 Euro
Freud hatte die sexuellen Triebregungen als „außerordentlich plastisch“ bezeichnet. Die eine Triebregung könne die andere ersetzen, wenn es nötig sei. Sie verhielten sich zueinander „wie ein Netz von kommunizierenden, mit Flüssigkeit gefüllten Kanälen“.
Plastizität der Triebe
Galas großer Appetit und Dalís Zurückweisung intimer Nähe scheinen wie ein Kontrapunkt funktioniert zu haben, in denen ästhetische Freuden und Blicke physischen Kontakt ersetzten. Die Plastizität der Triebe und die scheinbar endlosen Variationen des Vergnügens werden im Buch durch die Beschreibungen von Gerichten auf beinahe groteske Weise vorgeführt.
Essen verbindet Mund und Anus miteinander. Dalí hatte ein obsessives Verhältnis zu seinen Ausscheidungen, was er nicht als sündhaft betrachtete. So wie der Tod zum Leben gehört, verhält sich der Anus zum Mund.
Das Verdrängte wird angezapft
Im Jahr, als das Buch erschien, kam auch die Satire „Das große Fressen“ von Marco Ferreri in die Kinos: Vier reiche Männer schließen sich ein, um mit einem Übermaß an Essen und Sex ihr Leben zu beenden. Ästhetisch sind sich Buch und Film ähnlich. Aber während der Film die sich zu Tode fressenden und Sex konsumierenden Überflussgesellschaft kritisiert, feiert Dalí Essen und Geschlechtsverkehr ungebrochen.
Zwei Jahre später erschien Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“. In einer Szene werden die jungen Gefangenen gezwungen, Kot zu essen. Der Film zeigte die andere Seite von Dalís Faszinationen: Im Faschismus wird das Verdrängte angezapft und in Gewalt verwandelt. Genuss, Gewalt und Tod gehören nicht mehr nur psychisch, sondern wirklich zusammen.
Der Herr über Gold
Und so kann man die Wiederveröffentlichung dieses goldenen Buchs als unheimlichen Kommentar auf die Realität des Jahres 2016 lesen. Als Herr über Gold und Kommerz übernahm Donald Trump nun auch die Kontrolle über das amerikanische Unbewusste. Scham scheint nicht mehr als Bremse zu dienen, das Verdrängte kehrt aus den Kloaken zurück. Verdrängung und Sublimation sind untrennbar mit dem Prozess der Zivilisation verbunden. Wenn sie verschwinden, beginnt eine neue Phase der Evolution in Richtung des Animalischen.
Am Ende seines Lebens konnte Dalí nicht mehr essen. Er wurde intravenös ernährt und starb 1989.
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