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Verschwörungstheorien in RusslandHeimtückische Bedrohung

Die russische Gesellschaft verlottert. Schuld sind die USA, sie beeinflussen die Jugend. Diese Botschaft wird Schülern in einem Video nahegebracht.

Laut Kreml negativ von den USA beeinflusst: junge Leute in Moskau. Foto: ap

Moskau taz | Schüler der 8. Klasse in Korenowsk im Süden Russlands erfuhren von der neuen amerikanischen Verschwörung aus dem Unterricht im Fach „Sicherheitsrelevante Grundlagen der Lebensfunktionen“. Lehrer Ljatif Bruki veranschaulichte die heimtückische Bedrohung anhand eines Videos zum Thema „Fortpflanzung – Grundlage für die Gesundheit von Mensch und Gesellschaft“.

Die These ist einfach. Russland verlottert. Schuld sind die USA, die die russische Jugend verführen. Hatten 1996 junge Frauen erst mit 19 Jahren Geschlechtsverkehr, sank das Durchschnittsalter 2014 bereits auf unter 14 Jahre ab. Freimaurer, Schwule und Lesben hätten der russischen Gesellschaft den Krieg erklärt, kommentiert eine alarmierte Stimme. „Wir kriegen euch schon über eure Kinder“, wird ein schwuler Amerikaner zitiert.

Die zentrale Botschaft lautet indes: Sexuell aktive Frauen stellen eine Gefahr dar. Wer vor der Ehe mit mehreren Partnern sexuelle Beziehungen pflegte, sei eine „pomoika“ – eine „Müllhalde“, in der sich die Gene aller früheren Männer vermischten.

Mit anderen Worten: Die dünnen krummen Beine des Ex können sich bei späterer Gelegenheit fortpflanzen. Dies entspricht der Vererbungslehre der Telegonie, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, wissenschaftlichen Kriterien indes nicht standhält. Abgesehen von einer Ausnahme allerdings: bei der Fliege Telostylinus angusticollis, die in Australien zu Hause ist. Bei ihr stellten australische Wissenschaftler eine Akkumulation des Genkapitals fest.

Nur unbefleckte Jungfrauen als Mütter

Jungen Männern wird geraten, sich keine „Hörner aufsetzen“ zu lassen und sich unbefleckte Jungfrauen als Mütter für ihre Kinder zu suchen. „Eine Frau hat im Leben nur einen Mann. So war es und so wird es sein“. Punkt.

Urheber des Films ist ein Fonds namens „Kampf für Moral“, der bislang öffentlich noch nicht aufgetreten ist. Die verdichtete Videobotschaft könnte aber auch aus den propagandistischen Traditions-Werkstätten der Orthodoxen Kirche oder des Kreml stammen.

In der Schlacht um die Moral wird schließlich auch die Generation der Urgroßmütter noch einmal wiederbelebt. Heinz Bar, ein deutscher Arzt, schreibt 1942 angeblich an Hitler: „Russland ist nicht zu besiegen, solange das Volk über eine so hohe Moral verfügt“.

Das soll er in „panischer Angst“ dem Führer gemeldet haben. Bar will Zwangsarbeiterinnen im Alter von 15 bis 25 Jahren untersucht und festgestellt haben, dass 99,9 Prozent der Frauen noch Jungfrauen waren. Dass dies ein ziemlich tadelloses Bild des deutschen Kriegsherrn zeichnet, scheint den Filmemachern nicht aufgefallen zu sein.

Vier bis fünf Kinder pro Familie

Die Gesundung der Nation verfolgt unterdessen ein übergeordnetes Ziel: den Lauf der Weltgeschichte zu ändern und Russland zu einem starken geopolitischen Spieler zu machen. So strebt der Fonds eine Verdreifachung der Bevölkerung auf 420 Millionen an und fordert mindestens vier bis fünf Kinder pro Familie.

Das wird dann angereichert mit russisch-orthodoxen Werten und dem „Kult des starken Mannes, eines kräftigen Wirtschafters, der seine Sache beherrscht und Kopf einer großen Familie ist“. Um den Erfolg zu sichern, soll der Konsum reinen Alkohols im Jahr auf 0,5 Liter pro Kopf reduziert werden.

Der Direktor der Schule fand an dem Video nichts Verwerfliches. Er hätte „nichts Kriminelles“ entdecken können, sagte er dem Internetdienst Medusa. Ihm fehle auch die fachliche Kompetenz, die unterschiedlichen Ansätze der Vererbungslehre wissenschaftlich zu bewerten.

„Sagen Sie Nein zur US-amerikanischen Attacke gegen unsere Frauen und Kinder. Verteidigen Sie die Heimat. Wir stoppen die Unzucht“, so entlässt das Video die Schüler in die Pause.

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6 Kommentare

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  • Welche geisteswissenschaftliche Qualität im allgemeinen, soll man denn den bildungsspeziellen Aussagen Klaus-Helge Donaths beimessen, der an anderer Stelle in der Taz folgende, absurde Leserzumutung formulierte:

     

    " George Soros, US-Investor und Währungsspekulant setzt sich ein für die Wiederbelebung der geisteswissenschaftlichen Bildung in Russland."

     

    Gute Nacht Mattes.

  • Wird dieses unsägliche Video nur an einer Schule in Korenowsk vorgeführt oder bekommen das alle russischen Schüler zu sehen?

     

    Das erinnert ja stark an den Unsinn, den z.B. evangelikale in den USA ihren Kindern in Schulen vorführen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Tja, so ist das wohl, wenn es Direktoren und anderen Chefs an sachlich-inhaltlicher Kompetenz fehlt. Sie können dann nicht erkennen, dass ein Schwachsinn ein Schwachsinn ist und ein Faschismus ein Faschismus. Nur, dass sie der richtige Mann für den wichtigen Direktoren-Job sind, das wissen sie genau, und zwar auch ohne jede Kompetenz.

       

      Sie haben völlig recht, verehrter WARUM_DENKT_KEINER_NACH: Dieser Unsinn erinnert tatsächlich "stark an den […], den z.B. evangelikale in den USA ihren Kindern in Schulen vorführen". Wobei dem Direktor dieser Schule in Korenowsk im Süden Russlands dieser Umstand vermutlich nicht bewusst ist. "Der Westen" ist für ihn vermutlich genau das, was "der Westen" für sich selbst (bzw. für Männer wie Klaus-Helge Donath) so gerne ist: Ein Monolith, und zwar ein völlig einzigartiger.

       

      Gut möglich, dass es auch im weiten Russland Täler der Ahnungslosen gibt. Beziehungsweise Täler der Unkritischen. Zum Beispiel da, wo die Krim quasi in Sichtweite liegt. Allerdings braucht sich die taz gar nicht so weitaus dem geöffneten Fenster zu hängen, so lange sie noch Bildunterschriften wie die unter dem Foto zum Text abdruckt. Das steht nämlich was von "jungen Leuten in Moskau". Und zwar ohne Rücksicht darauf, dass Moskau mehr als 15 Eisenbahnstunden weit weg liegt von Korenowsk. Aber das, nicht wahr, ist sicher auch völlig egal. Die Russen, schließlich, sind ja doch alle irgendwie gleich. Zumindest aus Sicht der Leute, die "der Westen" sein wollen.

       

      Ach ja, eins noch: Selbst diejenigen unter uns, die sich gelegentlich mit einer Fliege der Gattung Telostylinus angusticollis verwechseln, brauchen nicht unbedingt auf jede sexuelle Erfahrung zu verzichten. Es gibt schließlich Kondome. Kann allerdings sein, dass man auch davon nie etwas gehört hat in Korenowsk ganz unten im Südwesten Russlands - und in gewissen Gegenden der USA.

  • Wenn das das neue Bildungsziel ist, dem sich auch die Naturwissenschaften unterzuordnen haben, braucht Westeuropa keine Angst zu haben.

  • Will die TAZ uns erzählen die USA hätten irgendwo auf der Welt mit Kultur geglänzt.

    Dieser Staat ist seit seiner Gründung im Kriegszustand. Erst gegen die Urbevölkerung, dann Nord gegen Süd und seit dem 1. WK gegen die ganze Welt. Da ist das was Russland sagt sicher keine Verschörungstheorie. Wir wurden schon 1960 also als Jugendliche von unseren Eltern vor den US GI´s gewarnt. Damals waren diese USA noch ein anderes Land, längst nicht so verkommen wie jetzt. Ich bin heute sehr froh nicht in die USA oder nach Australien ausgewandert zu sein.

  • Warum sollte diesen Schwachsinn auch der Kreml inszeniert haben können? Würde eher auf D. Trump tippen!