Änderung im Sexualstrafrecht: Gegen das Ausnutzen der Angst
Derzeit können viele Arten von sexuellen Übergriffen nicht bestraft werden. Das Justizministerium will die Lücken nun schließen.
Der Justizminister hat jetzt einen Gesetzentwurf erarbeitet, der der taz vorliegt. Er hat 19 Seiten und wurde vorige Woche an die anderen Ministerien zur Ressort-Abstimmung geschickt. Kern des Entwurfs ist ein neuer Paragraf 179 im Strafgesetzbuch, der die Überschrift „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ tragen soll. Neben der Ausnutzung der Angst des Opfers soll dort auch der überraschende sexuelle Angriff unter Strafe gestellt werden.
Seit den 1990er Jahren ist das Grunddelikt des Sexualstrafrechts die sexuelle Nötigung (Paragraf 177). Als „Vergewaltigung“ wird diese bezeichnet, wenn der Täter dabei in den Körper des (weiblichen oder männlichen) Opfers eindringt. Nach derzeitigem Recht gilt ein Geschlechtsverkehr nur in drei Konstellationen als Vergewaltigung: wenn er entweder mit Gewalt oder mit bestimmten Drohungen erzwungen wird oder wenn der Täter eine schutzlose Lage ausnutzt. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig Nein sagt und der Mann dann trotzdem in sie eindringt.
Zahlreiche Handlungen, die Frauen als Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung ansehen, sind deshalb im Sexualstrafrecht nicht erfasst. So verneint die Rechtsprechung eine „sexuelle Nötigung“, wenn der Täter die Frau so schnell packt, dass sie gar keinen entgegenstehenden Willen fassen oder gar äußern kann. Teilweise werden solche überraschenden Griffe an die Brust oder zwischen die Beine dann als Beleidigung (mit niedrigem Strafrahmen) bestraft, weil sie eine „entwürdigende Herabsetzung“ beinhalten. Das ist aber schon lange umstritten, weil es ja nicht um die Ehre, sondern die sexuelle Selbstbestimmung geht.
Zentrale Vorschrift im Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas ist ein neu formulierter Paragraf 179 im Strafgesetzbuch, „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“.
Dort heißt es: „Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person 1. aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist, 2. aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder 3. im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren [...] bestraft.“ (chr)
Auch bei Drohungen des Täters, die nicht auf eine „Gefahr für Leib und Leben“ abzielen, versagt das Sexualstrafrecht. Der Gesetzentwurf nennt nun den beispielhaften Fall, dass ein Täter droht, „mit seinem Auto in ihr Wohnzimmer reinzufahren und die Wohnung kurz und klein zu schlagen“.
Keine Vergewaltigung ist bisher auch, wenn der Täter einer Frau mit unklarem Aufenthaltsstatus droht, er werde beim Ausländeramt ihre Abschiebung veranlassen. Solche Taten können bisher nur als einfache Nötigung (mit niedrigem Strafrahmen) bestraft werden.
Andere Konstellationen können bisher gar nicht bestraft werden. So erkennt die Rechtsprechung nur dann das Ausnutzen einer „schutzlosen Lage“ an, wenn die Lage objektiv schutzlos ist. Das sei aber zum Beispiel nicht der Fall, wenn andere Menschen in Hörweite sind und durch Rufe alarmiert werden könnten. Es genügt bisher also nicht, dass die Frau davon ausgeht, sie sei in einer schutzlosen Lage, weil sie von den potenziellen Helfern nichts weiß oder in der Bedrängnis nicht an sie denkt.
Auch wenn die Frau Angst vor der Gewalt des Mannes hat, dieser in der konkreten Situation aber weder Gewalt anwendet noch Gewalt androht, kann sich der Mann bisher straflos über die erkennbare Ablehnung der Frau hinwegsetzen. Typischer Fall ist eine Beziehung, in der ein allgemeines Klima der Gewalt herrschte, das auch jenseits konkreter Akte des Mannes wirkt.
Missbrauch von schwachen Lagen
Künftig sollen alle diese Konstellationen im Sexualstrafrecht erfasst werden. Maas will sie allerdings nicht unter „sexueller Nötigung“ in Paragraf 177 regeln, sondern in Paragraf 179. Es gehe in diesen Fällen nämlich weniger darum, den Willen der Frau zu brechen (wie bei der Gewaltanwendung und der Drohung mit Gewalt), sondern um den Missbrauch ihrer schwachen Lage.
Bisher hatte Paragraf 179 die Überschrift „sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“. Der Missbrauch von Kranken, Behinderten und Drogenabhängigen soll auch weiterhin ein Unterfall dieser Vorschrift sein. Er soll aber durch zwei weitere Tatformen ergänzt werden, bei denen ebenfalls „besondere Umstände“ ausgenutzt werden, etwa wenn jemand „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist“.
Kern der neuen Strafvorschrift soll es aber sein, wenn der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer im Fall seines Widerstandes „ein empfindliches Übel befürchtet“. Hierzu soll künftig zum Beispiel das Ausnutzen der (tatsächlich oder vermeintlich) schutzlosen Lage gehören. Auch die Drohung mit Abschiebung, Sachbeschädigung oder sonstigen erheblichen Nachteilen würde hier erfasst. Vor allem aber geht es hier um Fälle, bei denen das Opfer latent Angst vor der Gewalt des Täters hat und der Täter diese Angst ausnutzt, um den Willen des Opfers zu übergehen.
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