Arbeiten mit Flugscham: Als ich neulich in Neuseeland war
Eigentlich hat der Autor Probleme mit langen Flugreisen. Zumindest seine rechte Gehirnhälfte. Die linke Hälfte sagt: Die Pflicht ruft.
A ls ich neulich in Neuseeland war, hätte es mich fast … („Du? In Neuseeland? Was hast du denn da verloren?“, höre ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf, gleich neben dem rechten Ohr. „Wie kommst du als Ober-Öko denn ans andere Ende der Welt? Mit dem Fahrrad?“ Dann ein schrilles Lachen. Hallo, liebe rechte Hirnhälfte, zuständig für Gefühl, Spontaneität, Halligalli. „Nein, natürlich nicht mit dem Fahrrad, da ist doch Wasser dazwischen“, klingt es ruhig und in tiefer Tonlage aus der Region in meinem linken Kiefer. „Du weißt doch, dass er mit der Außenministerin im Flugzeug nach Neuseeland gereist ist.“ Ah, willkommen auch an die linke Hirnhälfte. Die Stimme der Vernunft, der Ratio, der Logik.)
Also, als ich neulich in Neuseeland war, hätte es mich fast … („Ja, wie jetzt?“, tönt es von rechts. „War mir schon klar, dass wir geflogen sind, ich bin ja nicht doof. Ich wollte nur wissen, wie der feine Herr seine Klimaschuld rechtfertigt. Gerade er, der immer über die Fliegerei für den Kurzurlaub seiner Freunde lästert. Wie lange waren wir noch mal in Neuseeland?“ Von links kommt die ruhige Antwort: „Einen Tag. Genauso wie vorher in Australien. Und danach waren wir noch zwei Tage auf Fidschi. Es ist der Job von Journalisten, das Regierungshandeln zu beobachten und zu begleiten.“ – „Ja, ja, und sich die Welt auf Staatskosten anschauen, was?“, schreit es von rechts, „kritische Distanz zu den Mächtigen?“ Von links wieder ein Brummen: „Du weißt genau, dass wir das nicht auf Staatskosten machen. Wir zahlen die Flüge und Hotels selbst. Wir reisen mit, sammeln eigene Informationen und stellen so dumme oder kritische Fragen wie zu Hause. Vielleicht solltest du mal ein bisschen nachdenken, ehe du redest, Rechts! Aber das war noch nie deine Stärke!“ – „Oh, Links, du wirst ja richtig emotional, kenne ich gar nicht von dir“, gackert es von rechts. „Da habe ich wohl einen Nerv getroffen“ – „Ja, das mit dem Nerven stimmt schon.“)
Also, Ruhe jetzt mal da oben. Was ich eigentlich denken wollte: Als ich also neulich in Neuseeland war … („Das sieht dir ähnlich! Immer so liberal tun, und wenn es ernst wird, den Autoritären rauskehren. Aber meine Gedanken sind frei: Du bist ein verdammter Heuchler! Den Leuten von Flugscham, Verzicht und „gutem Leben mit weniger“ predigen und sich dann auf einem 21-Stunden-Flug im Regierungsflieger amüsieren …“ Ein Ächzen an meinem linken Backenzahn: „Amüsieren? Hast du Alzheimer da drüben? Erinnerst du dich an diese Sitze, wo wir die Beine nicht ausstrecken und nicht schlafen konnten und an die Angst vor der Thrombose? Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man im Urlaub freiwillig nach Neuseeland fliegt, um die Gletscher zu sehen, die schmelzen, weil man dahin fliegt – oder ob das globale Thema eines Klimajournalisten nun mal bedeutet, Entwicklungen auch an diesen Orten genau zu beobachten. Wäre er für Berliner Politik zuständig, säße er nicht in diesen Flugzeugen.“ – „Ausreden, alles Ausreden“, kam es wieder von links.)
Achtung, hier meldet sich das Kontrollzentrum zwischen Links und Rechts. Wir bitten um Entschuldigung für diese Unterbrechungen und liefern die Idee für diese Kolumne hier nach: Der Autor war beim Besuch in Auckland vom Linksverkehr und dem ungewohnten Sonnenstand (mittags im Norden) überfordert. Er dachte: Auch die Klimaneutralität, die wir alle wollen, verschiebt alle gewohnten Koordinaten. Also verständlich, dass so viele Leute davon überfordert sind. Das Down Under der Klimapolitik sozusagen. Diesen schlichten Gedanken wollte er gewohnt langatmig ausführen, kam aber (siehe oben) nicht dazu.
Der Autor verspricht: Das nächste Mal hat er seine Gedanken wieder unter Kontrolle. Und jetzt muss er mal ein ernstes Wort mit Links und Rechts reden.
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