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Antrittsbesuch in BrüsselMerz will EU-Lieferkettengesetz abschaffen

Zu viel Bürokratie: Der neue Bundeskanzler will nach der deutschen auch die Regelung auf europäischer Ebene canceln. Die Grünen protestieren.

Kommandoton gegenüber der EU? Friedrich Merz beim Antrittsbesuch bei Ursula von der Leyen Foto: AP/dpa

Brüssel dpa/taz | Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz fordert von den EU-Institutionen, die europäische Lieferkettenrichtlinie abzuschaffen. „Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt“, sagte der CDU-Politiker bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Er begrüße, dass die EU-Kommission systematisch Bürokratie abbauen wolle. Das werde die deutsche Bundesregierung unterstützen. „Wir werden auch Vorschläge machen, wie wir weiter darüber hinausgehen können“, so Merz. Neben einer Verschiebung von Rechtsvorschriften sei die vollständige Aufhebung einiger europäischer Regeln der nächste logische Schritt.

Das europäische Lieferkettengesetz wurde erst vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken und Umweltverschmutzung in den Lieferketten zu begrenzen. Große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren und wenn sie mit ihrer Produktion die Umwelt verschmutzen.

Aus der Wirtschaft gibt es große Kritik an dem Vorhaben. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Lasten auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten. Von der Leyen hatte nach der Neuwahl des EU-Parlaments angekündigt, der Wirtschaft stärker entgegenkommen. Anfang 2025 schlug sie vor, dass die Unternehmen nur noch für ihre direkten, also weniger Lieferanten mitverantwortlich sein sollen, ihre Haftung beschränkt und das Inkrafttreten der Richtlinie verschoben wird.

Grüne sehen Widerspruch zum Koalitionsvertrag

Anfang April machte das Europäische Parlament den Weg für eine Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes frei. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Straßburg dafür, dass erste Regelungen des Vorhabens erst ein Jahr später in Kraft treten sollen. Den Aufschub bis zum 26. Juli 2028 hatte die EU-Kommission vorher vorgeschlagen.

Der stellvertretende Parteivorsitzende und Europa-Sprecher der Grünen, Sven Giegold, sieht in der Forderung von Merz einen Widerspruch zum Koalitionsvertrag. „Sein Kommandoton gegenüber Ursula von der Leyen ist verstörend“, sagte Giegold. Der Vorstoß sei „völlig deplatziert“.

Im Koalitionsvertrag von SPD und Union steht auf Seite 60, dass das deutsche Lieferkettengesetz durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt werden soll, „das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt“.

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22 Kommentare

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  • Da wo andere Menschen Anstand haben, besitzt der Herr Merz ein Bankkonto. Einmal Geldsack, immer Geldsack.

  • Bürokratie wird oft pauschal verdammt, aber sie ist die Grundlage des Zusammenlebens und hat meist ihre Berechtigung zum Schutz von Mensch und Umwelt, bis hin zu Vorschriften, wie hoch Treppenstufen sein dürfen (oder möchte man bei jeder Treppe jede Stufe bewusst machen müssen?).



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    Mehr Augenmaß ist nötig, keine pauschale Verurteilung, sondern Wegfall der wirklich weniger sinnvollen.

  • Ohne empirische Studien die die Effizienz solcher Gesetze belegen ist es einfach nur hohe Kosten und Bürokratie.

    • @Machiavelli:

      Hört sich toll an, dieser Vorschlag.



      "Empirische Effizienzstudien zu einem Gesetz, das es noch garnicht gibt !" Empirisch bedeutet Erfahrung !!



      Also: Woher soll die Erfahrung denn kommen ??



      (Problem Prognose: ...schwierig, besonders dann, wenn sie in die Zukunft gerichtet ist !! :-) :-) )

      • @Thüringer:

        Es gibt ja schon Gesetze in diese Richtung aber null Studien ob die was bringen.

  • Die Kapitalisten bestellen, Merz liefert.



    Also alles wie erwartest und vom dummen deutschen Michel wider seine Interessen auch so für gut befunden..

  • Das Lieferkettengesetz ist eine Fehlkonstruktion. Abschaffen ist vollkommen richtig, aber ebenfalls richtig ist, die Ziele nicht aus dem Blick zu verlieren. Nur dazu gehört eine Bürokratieumkehr: Die EU-Kommission soll das selbst machen; das kann eine Agentur übernehmen. Und im Falle von Verstößen die Firmen auffordern, die Missstände abzustellen. Ähnlich geht die Wettbewerbsbehörde vor.

    Hinter diesem Ansatz steht die Idee der Steinbrück-deMaiziere-Kommission ein neues Staatsverständnis zu schaffen: Mehr Vertrauen, weniger bürokratische Kontrolle und bürokratisches Misstrauen - bei Verstößen aber höhere Strafen.

    Was gut daran ist? Die für die Bürokratie eingesparten Kosten fließen in die Verbesserung der Menschenrechts- und Umweltbedingungen statt die Bürokratie zu mästen.

    • @rakader:

      Ohne Gesetze geben die Konzerne einen Dreck auf Menschenrechte. "die Firmen auffordern, die Verstöße abzustellen". Weil sie das in der Vergangenheit getan haben? Nee, haben sie nicht.

    • @rakader:

      "Die für die Bürokratie eingesparten Kosten fließen in die Verbesserung der Menschenrechts- und Umweltbedingungen..." Ich lach mich schlapp, was für ein Blödsinn.

  • Das Lieferkettengesetz ist ja gut gemeint... und das ist das Problem!



    Am Ende profitieren einfach die davon , die es nicht so gut meinen. Dafür aber bei gleicher Qualität billiger produzieren. Und das wird dann eben auch in der EU von den Verbrauchern gekauft. Die Lösung wären dann Strafzölle,mit denen man sich aber auch ins Knie schießt.



    Und letztlich geht es doch darum, das auf dem Papier alles stimmt. Da besorgt man sich eben ein paar Zertifikate und /oder verschleiert Produktionswege und voila! Oder reisen da wirklich EU-Fahnder in die Lithiumminen im hintersten "Outback" um zu kontrollieren,ob auch stimmt? Bestenfalls Stichproben würde ich mal vermuten.

  • Da die CDU/CSU ja auch die Arbeitszeitgesetze aufweichen will, ist wohl der langfristige Plan, in Deutschland mittels Kinderarbeit billige Benziner zusammen zu schrauben, die die Umwelt weiter zerstören ...

    • @Leslie Gurkensalat:

      Die 'Kinderarbeit' wieder einzuführen wird sich die Merz-Union wohl nicht trauen, aber zurück ins 19. Jahrhundert, wo es einen 14 bis 16 stündigen Arbeitstag an sechs Tagen pro Woche gab, dahin möchte die Merz-Union sicherlich wieder sehr gerne. Und aus diesem Grund sollen jetzt ja auch Bürgergeldbezieher wieder härter angefasst werden, denn dann mucken die kleinen Arbeitnehmer nämlich nicht auf, weil sie Angst haben auch als Bürgergeldempfänger zu enden. Wenn man einen ehemaligen BlackRock-Lobbyisten zum Kanzler macht, dann bekommt man eben auch BlackRock-Politik. Mit Friedrich Merz, der die klimaschädliche Industrie und deren Aktionäre wieder nach ganz oben bringen möchte, werden die kleinen Bürger mehr arbeiten müssen und die Armen in diesem reichen Industrieland werden sogar noch ärmer gemacht.

  • Warum sollte F.M. in einem anderen Ton agieren als A.D. ?



    Wie der Herr, so das Gscherr!



    Und scheinbar beide gerne bei D.T. in die Schule gegangen

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Wer ist A.D. ?

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Ich stehe auf dem Schlauch: Wer ist A.D.?

      • @Francesco:

        Der Möchtegern - Seehofer mit dem Grenzquatsch



        Ich mach doch nicht auch noch Reklame für die feinen Herrschaften

  • Was soll dieser Unsinn? Wir haben doch alle mitbekommen, wie wichtig das Thema ist, als BMW und VW in den USA über in China produzierte Zulieferteile stolperten, die im Verdacht standen, mit Hilfe von Zwangsarbeit in China hergestellt worden zu sein. Herr Merz sollte es tunlichst unterlassen, die Standards wieder abzusenken. Das würde uns irgendwann um die Ohren fliegen.

  • Mich erstaunt immer wieder das magische Denken, die Welt würde durch noch mehr Berichte besser, sicherer und gerechter.

    Spoiler: Wird sie nicht.

    • @Frauke Z:

      Exakt. Es ist vor allem ein Selbstbeschäftigungsprogramm der Bürokratie selbst, das Geld und Investitionsmittel von den eigentlichen Zielen abzieht.



      Niklas Luhmann hat in seinen Arbeiten diesen Selbsterhalt der Bürokratie einst beschrieben.

      • @rakader:

        Meiner Meinung nach ist es sogar noch schlimmer. Das Gesetz kommt diesmal von der Lobby der Großkonzerne, die darin einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren kleineren Konkurrenten sehen. Man muss sich ja nur ansehen, wer vehemt für dieses Gesetz kämpft.

        taz.de/EU-Lieferkettengesetz/!5985548/

        Der Grund ist ganz einfach. Großkonzerne juckt es nicht, wenn sie 5 Vollzeitstellen extra einrichten müssen, die sich nur um Dokumentation kümmern. Das ist in deren Bilanz nicht mal ein Fliegensch.... Für ein Unternehmen mit 50 Mitarbeitern wären 5 extra Stellen aber 10% mehr Personalkosten.

  • Die Union hält also (wieder mal) nichts von Arbeitnehmer/innenrechten und Umweltschutz.



    Man hofft immer, dass sie Einsicht zeigen, aber nun ja, sie bestätigen gerade immer wieder die entgegengesetzten Befürchtungen.