Anton Hofreiter zum Konjunkturpaket: „Druck kann etwas bewirken“
Für besser als befürchtet hält Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter das Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Aber es habe eine soziale Schieflage.
taz: Herr Hofreiter, gerade erst haben die Grünen ein kurzfristiges Konjunkturprogramm in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro gefordert, und jetzt verständigen sich Union und SPD auf ein Paket von 130 Milliarden Euro. Wie begeistert sind Sie von dieser großkoalitionären Planübererfüllung?
Anton Hofreiter: Das Konjunkturpaket ist besser geworden als von unserer Seite befürchtet. Besonders freut mich, dass der Druck der Klimabewegung, aber vielleicht auch von uns Grünen dazu geführt hat, dass die fatale Verbrennerprämie nicht dabei ist.
Sie finden nichts falsch an dem Paket?
Das Problem scheint mir weniger, was an Falschem darinsteht, sondern was fehlt oder zumindest nicht ausreichend enthalten ist.
Anton Hofreiter, geboren 1970, gehört seit 2005 dem Bundestag an und zwischen 2013 und 2021 war er mit Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der grünen Fraktion. Er ist promovierter Biologe.
Und das wäre?
Was mich sehr stört, dass so viel Geld bereitgestellt wird, und dann gibt es nichts für die Ärmsten der Armen, für die Hartz-IV-Empfänger. Das Konjunkturpaket hat eine soziale Schieflage.
Von der Senkung der Ökostrom-Umlage bis hin zur Entlastung der Kommunen durch eine 75-prozentige Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für Menschen in der Grundsicherung: Man könnte meinen, die Große Koalition hat sich freigiebig aus Ihrem „Zukunftspakt“ bedient, oder?
Manche Teile hat sie übernommen, ja. Daran lässt sich gut illustrieren, wo die Koalition zu kurz springt. Nehmen Sie die Erneuerbaren Energien: Natürlich ist es zu begrüßen, dass sie nicht weiter abgewürgt werden. Aber es bleibt unkonkret, wie der Ausbau beschleunigt werden soll. Wenn man sich insgesamt den Klimaschutz anschaut, dann sind die in dem Konjunkturpaket enthaltenen Maßnahmen immerhin kein Rückschritt.
Aber Klimaschutz muss halt Priorität haben, geht es hier doch um eine gigantische Menschheitsaufgabe, die wir zu stemmen haben. Da fehlt dann doch einiges. Schauen Sie sich nur die Wasserstoffstrategie an: Für die gibt es einiges an Geld, das ist gut. Aber wenn es um verbindliche Maßnahmen wie Quoten geht, finden sich bloß Prüfaufträge. Es fehlt mir an Entschlusskraft bei der Umsetzung. Und was die vereinbarte Unterstützung der Kommunen betrifft: Ja, die ist absolut richtig – aber eben nicht ausreichend. Eine Altschuldenlösung gibt es leider immer noch nicht, obwohl die wirklich wichtig wäre.
Einer der größten Batzen ist die befristete Senkung der Mehrwertsteuer, die Ihr Linkspartei-Pendant Dietmar Bartsch als „ökonomisch widersinnig“ bezeichnet hat. Wie ist Ihre Bewertung?
Die Koalition hat sich für ein ökonomisches Experiment entschieden. Ich halte es auch für denkbar, dass es zumindest in Teilen etwas zur Belebung der Nachfrage beitragen kann. Entscheidend wird aber sein, ob es gelingt, genügend Druck insbesondere auf die großen Supermarktketten zu machen, dass die Mehrwertsteuersenkung auch wirklich weitergegeben wird. In Großbritannien ist ein solches Experiment übrigens schon einmal gemacht worden. Da sind ungefähr 75 Prozent des Volumens an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben worden, 25 Prozent haben die Unternehmen einbehalten. Mal sehen, wie das jetzt bei uns wird.
Die Mehrwertsteuersenkung gilt allerdings nicht nur für Produkte des Alltagskonsums, sondern auch beispielsweise für Verbrennerautos. Ihren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wird's freuen.
Das Problem einer allgemeinen Mehrwertsteuersenkung ist, dass sie nach dem Gießkannenprinzip wirkt, also auch falsche Kaufanreize setzt. Es stimmt, dass sie auch Benzin- und Dieselautos billiger macht. Von daher ist sie schon eine Art Verbrennerprämie durch die Hintertür. Unser Vorschlag war deshalb ein anderer. In unseren Augen wäre es besser, wenn es stattdessen Kauf-Vor-Ort-Gutscheine geben würde, weil die sowohl zielgerichteter als auch sozial gerechter gewesen wären.
Die Bahn soll mit fünf Milliarden Euro gestützt werden, der ÖPNV mit 2,5 Milliarden Euro. Reicht das aus?
Es ist wichtig, dass sie das Geld bekommen, aber gerade bei Bus und Bahnen ist ganz entscheidend, dass man eine langfristige Ausbauinvestitionsoffensive hat. Da braucht es deutlich mehr.
Die Bundesregierung verweist auf die Länder, die jetzt in der Pflicht wären, ebenfalls kräftig in den ÖPNV zu investieren. Liegt sie damit nicht richtig?
Das eine ersetzt nicht das andere. Selbstverständlich müssen die Länder mehr in den Öffentlichen Nahverkehr stecken. Aber ich halte nicht so viel davon, wenn der Bund auf die Länderebene verweist und die Länderebene auf den Bund. Der Bund muss erstmal selbst tun, was bei ihm notwendig ist. Bis auf wenige Ausnahmen abgesehen ist das Streckennetz der Bahn im Besitz des Bundes. Das muss verbessert und ausgebaut werden.
Ein vernünftiges Bahnhofsprogramm wäre übrigens auch dringend angesagt. Aber das ist ohnehin die große Schwachstelle des Regierungspakets. Es enthält zwar einige kurzfristige Investitionen, aber was fehlt ist die längerfristige Perspektive. Unser Zukunftspakt bestand aus gutem Grund nicht nur aus einem Konjunkturprogramm, sondern enthielt außerdem noch ein mittel- und langfristiges Investitionspaket in Höhe von 500 Milliarden Euro. Das ist etwas, was jetzt noch dringend kommen muss.
Aber insgesamt sind Sie trotzdem ganz zufrieden, oder?
Das trifft es nicht. Tatsache ist, dass das jetzige Konjunkturpaket weitaus besser ist als die Konjunkturpakete der Großen Koalition bei der Banken- und Finanzkrise 2008 und 2009. Das ist erstmal erfreulich. Und noch etwas ist bemerkenswert: Beim Klimapaket im vergangenen Herbst, wo es um moderne Zukunftspolitik ging, da hat die Bundesregierung weitgehend versagt. Jetzt beim Konjunkturpaket, wo es stärker um klassische Politik geht, kriegt sie das ganz vernünftig hin. Mit Lücken und Leerstellen, aber immerhin.
Haben Union und SPD also dazugelernt?
Vor allem zeigt sich für mich, dass politischer Druck etwas bewirken kann. Das ist doch eine positive Botschaft, insbesondere an die jungen Leute von Fridays for Future: Eure Proteste waren und sind nicht umsonst! Wir sind zwar noch längst nicht da, wo wir sein müssten, um die großen Menschheitsaufgaben zu bewältigen. Es fehlt noch viel, um den menschengemachten Klimawandel in den Griff zu bekommen. Aber wir haben trotzdem schon jetzt einen Schwung gemeinsam erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass