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Antisemitismus in Kunst und KulturDie Wut macht sich Luft

Gastkommentar von Hanna Veiler

Über Claudia Roth entlud sich der Zorn junger Juden, die nicht bereit sind, Antisemitismus schweigend hinzunehmen. Überraschend kam das nicht.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) Foto: Hendrik Schmidt/dpa

B ei der größten jüdischen Jugendveranstaltung Deutschlands, der Jewrovision, letzte Woche in Frankfurt am Main war die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, unerwünscht. Wer sich mit Roths Umgang mit Antisemitismus über die letzten Jahre auseinandergesetzt hat, sollte dies nicht überraschend finden.

Die Staatsministerin steht seitens weiter Teile der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland seit Jahren in der Kritik, weil sie 2019 nicht dafür stimmte, die BDS Bewegung zu verurteilen und ihre Veranstaltungen nicht zu unterstützen, weil sie mehrfach keine klare Position zum Mullah-Regime in Teheran erkennen ließ und schließlich, weil sie ihre Verantwortung bei der Antisemitismus-Eskalation auf der documenta 15 erst sehr spät eingestand.

In dieser Debatte geht es nicht darum, ob Claudia Roth antisemitische Ansichten vertritt oder wie viele jüdische Freunde sie hat. Vielmehr ist diese Diskussion stellvertretend für das systematische Versagen eines Staates im Kampf gegen Antisemitismus auch im Kunst- und Kulturbereich. Die Stimmung wird nicht erst seit der documenta zunehmend unaushaltbar für jüdische Kunst- und Kulturschaffende, sei es im Bereich der bildenden Kunst, der Musik- oder Theaterszene.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die BDS-Bewegung, die an Einfluss gewinnt. Mitten in Berlin wurden jüngst auf einer Kundgebung zum Nakba-Tag Aufrufe zur dritten Intifada laut. Wer zur bewaffneten Intifada aufruft, steht nicht für Menschenrechte ein, sondern verherrlicht den Mord an Juden.

Hanna Veiler

kam 1998 in Belarus zur Welt und lebt seit 2005 in Deutschland. Sie ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands.

Natürliche Reaktion auf Ungerechtigkeit

Dass sich junge Juden gegen diese Zustände wehren, ist weder eine Inszenierung seitens des Zentralrats der Juden noch eine Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen. Es ist eine natürliche Reaktion auf Ungerechtigkeit und die Missstände in Deutschland.

Die junge jüdische Generation jedoch fordert ihre Rechte ein. Juden in Deutschland müssen Antisemitismus und das Hofieren von jenen, die ihn verbreiten, nicht schweigend hinnehmen. Denn ja, in einer Demokratie dürfen auch Juden wütend sein.

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26 Kommentare

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  • Ein Doppel-ROFL für den Zentralrats der Juden und deren documenta-like Einladung einer Person, die den Beschluss des Bundestages zur BDS nicht unterstützte.

    Alle Forderungen zu Frau Roth unterstütze ich daher auch in Bezug auf den ZdJ Deutschland 🤪

  • "Die junge jüdische Generation jedoch fordert ihre Rechte ein. "

    Sicherlich nicht "die Juden" , auch nicht als "junge Generation.".

    Das Judentum in DE ist auch unter Jugendliche vielfältiger und mehr als es das Niederschreien von Menschen, die man auf die eigene Veranstaltung eingeladen hat, zeigt. Das zeigt auch der offene Brief „Nicht in unserem Namen“ von 50 jüdischen Kulturvertretern, die sich hinter Frau Roth stellen. www.berliner-zeitu...dia-roth-li.352465

    Von daher bitte ich doch darum, in der taz nicht von "den Juden" zu sprechen. Den gibt es nicht! Ich hätte mir eine differenzierte Berichterstattung gewünscht und gerne mehr zu den politischen Strömungen gehört, die da am Buhen waren.

  • Hoffentlich höre wir Stimmen wie die Ihre Frau Veiler immer öfter!

  • hier www.facebook.com/1...6i6oAU9UMUoa6ddcol die antwort von Lili Sommerfeldan Hanna Veiler.

  • Herr Trittin, der auf Twitter anlässlich dieses Ausbuhens bei der Jewrovision von einer "Inszenierung" gesprochen hat, hat damit eine alte antisemitische Verschwörungstheorie zu Besten gegeben. Jüdische Kabale, am besten noch Hand in Hand mit Kindesmissbrauch. Ob es auch eine Verschwörung war, dass anderen dort zugejubelt wurde, sagte er nicht.



    Die politischen Parteien in Deutschland haben alle ein Antisemitismusproblem, manche mehr, manche weniger. Die Grünen sind so oberes Mittelfeld, schätze ich. Und ich finde es schade, dass jene, die *kein* Antisemitismusproblem in dieser Partei haben - zB herr Özdemir - hier schamhaft still bleiben.

  • Wer zur bewaffneten Intifada aufruft, verherrlicht nicht den Mord an Juden. Es handelt sich um Widerstand gegen ein rechtswidriges Besatzungsregime.

    Ich halte die Gleichsetzung jeder Kritik an der israelischen Besatzungspolitik mit Antisemitismus für ein grosses Problem. Das trägt zur Unglaubwürdigkeit des Westens bei und lässt sich nicht durchhalten.

    Ganz abgesehen davon, dass Israel aktuell eine rechtsextreme Regierung hat und man der Opposition mit ihrer bedingungslosen Unterstützung in den Rücken fällt.

    Deutschlands historische Schuld besteht weiter, rechtfertigt aber nicht, die Verletzung von Menschenrechten durch die israelische Regierung pauschal zu ignorieren.

    Ich frage mich auch, wie man sich die Lösung des Konflikts und damit die (nicht nur auf militärischer Überlegenheit beruhende) Gewährleistung der Sicherheit Israels vorstellt, wenn man die Palästinenser für alles verantwortlich macht und ihre Interessen völlig ignoriert.



    Auch das gehört zu Deutschlands Verantwortung: durch den Holocaust die Grundlage für den Konflikt in Palästina geschaffen zu haben.

    • @moonwatcher:

      "Wer zur bewaffneten Intifada aufruft, verherrlicht nicht den Mord an Juden."

      Die bewaffnete Intifada richtet sich in der Vergangenheit - wie leicht zu recherchieren ist - wahllos auch gegen unbewaffnete israelische Zivilisten, schloss also reine Terrorakte immer mit ein.

      Bemerkenswert, aber auch nicht weiter verwunderlich für die vielfach üblichen doppelten Standards, dass Ihnen zwar die aktuelle "rechtsextremistische" Regierung und Menschenrechtsverletzungen durch die israelischen Sicherheitsbehörden auffällt, nicht aber die Diktatur der islamistisch-extremistischen Hamas-Regierung und ihre systematischen Menschenrechtsverletzungen.

      • @Schalamow:

        "... , nicht aber die Diktatur der islamistisch-extremistischen Hamas-Regierung und ihre systematischen Menschenrechtsverletzungen."

        Ich finde das verwunderlich und kann es nicht nachvollziehen; so ideologiegetrieben kann man als westlich sozialisierter, deutscher Bürger doch wirklich nicht sein, den in der Region lebenden Menschen eine Hamas-Regierung statt der israelischen Regierung zu wünschen.

        Ich denke oft darüber nach, was würde passieren, wenn die Palästinenser die Waffen niederlegen würden. Und was würde passieren, wenn Israel die Waffen niederlegen würde. In letzterem Fall, davon bin ich überzeugt, würde erneut versucht werden, jüdisches Leben in Gänze auszulöschen.

  • WANN schmeißt man endlich die Roth wegen erwiesener INKOMPETENZ endlich raus?



    Schon seit Jahren geht sie einer breiten Mehrheit innerhalb der schwul- lesbischen Community mächtig auf den Zeiger!



    Meiner Ansicht nach ist sie nur in EINEM perfekt: als Schwätzerin!



    Ihr Versagen bei der Documenta ist derart offensichtlich, dass es echt ein Skandal ist, dass diese Frau noch immer in ihrem Amt ist!

  • Claudia Rot sollte zurücktreten oder die Grünen sollten sich von ihr trennen. Sonst müssen wir noch 2,5 Jahre mit ihr auskommen, in der nächsten Wahlperiode wird sie wohl nicht mehr wieder gewählt werden.

  • unabhängig von der inhaltlichen Debatte frage ich mich, warum wird sie eingeladen wenn sie unerwünscht ist?

    • @Jutta Kodrzynski:

      Weil genau das passieren sollte, was passiert ist.

    • @Jutta Kodrzynski:

      Sie hat eine Chance bekommen, sich klar zu positionieren. Ein Versäumnis war vielleicht , dass man seitens der Jüdischen Gemeinde annahm, sie *wüsste*, was die richtigen Worte wären. Sie hat die Chance verstreichen lassen und damit bewiesen, dass sie in der Tat inkompetent ist.

      • @Fitzli Putzli:

        Ach. Man lädt also neuerdings Leute zu einer Veranstaltung ein, damit sie sich zu Dingen äußern, die mit der Veranstaltung NULL zu tun haben.



        LOL, wer das glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.

  • "weil sie 2019 nicht dafür stimmte, die BDS Bewegung zu verurteilen und ihre Veranstaltungen nicht zu unterstützen, ... weil sie ihre Verantwortung bei der Antisemitismus-Eskalation auf der documenta 15 erst sehr spät eingestand."



    Der BDS genauso wird von vielen jüdischen Menschen nicht als antisemintisch, genauso wie die documenta 15 von vielen jüdisch-isreaelischen Künstlern. Solche die wahrscheinlich gegen Netanjahu´s rechtsradikale Regierung auf die Straße gehen.

  • Danke für diesen Artikel. Auch ich finde es nahezu unerträglich, dass jüdische Menschen in Deutschland wieder Beschimpfungen, Schmähungen, körperlichen Angriffen etc. ausgesetzt sind.



    ---



    Da sich Frau Roth bei dem damaligen Antrag des Bundestags auf die Seite des BDS gestellt hat, finde ich, war sie auf dieser Veranstaltung deplatziert, die Veranstalter hätten ihr keine Bühne bieten sollen.

    Aus meiner Sicht sollte es für die BDS-"Kauft nicht bei Juden"-Bewegung besonders und gerade in Deutschland keinen Platz geben.

  • Guter Artikel.

    Fand ich auch super, dass sich die Jugend auf der Jewrovision mal ordentlich gemeldet haben. Hat mir besser gefallen als die reguläre diplomatische Schiene, die letztendlich dazu führt, dass immer mehr Juden, genau wie in Frankreich, das Land verlassen.

    Na endlich kommt mal etwas Bewegung in die Sache.

    Die Buhrufe gegenüber Roth waren genauso fällig wie deren Rücktritt.

    Roth machte sich als lokale Schutzheilige des BDS - die documenta hatte ein hohes Konzentrat an BDS-Leuten aufzuweisen - einen Namen.

    Was ist der BDS?

    Die Bundeszenntrale für politische Bildung hat sich diese Organisation mal genauer angeschaut. Fazit:

    "Eine programmatisch und methodisch antisemitische Kampagne". Die kontinuierlich eine "dämonisierende Rhetorik" benutzt.



    www.bpb.de/themen/...-der-bds-kampagne/

    "Claudia Roth go home!"

    Dem kann man nur anschließen.

    Die Antizionismus-Kampagnen der Rechtsextremen, gewisser Teile der Linken und Islamisten sind im Grunde nichts weiter als reiner Antisemitismus.

    Sehr informativ und heilsam der Artikel von Prof. Grigat vor einigen Tagen in der taz, mit das beste, was ich zu dem Thema gelesen habe:

    taz.de/Israels-Una...von-1948/!5929931/

    Tja, und Frau Roth?

    Wundert mich, dass sie immer noch im Sattel sitzt. Nun, die Grünen halten leider ihre schützende Hand über sie.

    Könnte sich für die Grünen jedoch als Bumerang erweisen.

  • "Denn ja, in einer Demokratie dürfen auch Juden wütend sein."

    Absolut richtig und sehr begrüßenswert.

    Das Traurige ist, dass zu wenig Nicht-Juden wütend sind.

    Dass es im Kulturbetrieb ein Ausweis von "radical chic" ist, sich mit den Antisemiten vom BDS gemein zu machen und so zu tun, als wäre ohne diese schreckliche Truppe keine Kulturproduktion und keine Debatte möglich.

    Das genaue Gegenteil ist ja der Fall.

    Kunstgewerblich-völkische Kunst auf der Documenta mit antisemitischem Hautgout und komplette Diskussionsverweigerung, die die Macher genauso wie den BDS auszeichnet.

    In Deutschland ist man im Regelfall lieber mit denen solidarisch, denen Antisemitismus vorgeworfen wird, als mit Jüdinnen und Juden.

    • @Jim Hawkins:

      Ersetzen Sie in Ihrem Text "Deutschland" bitte durch "Teilen der deutschen Linken". Dann passt es besser zum Thema.

  • Endlich mal ein guter Artikel in der Taz! Keine Links-grüne Soße, sondern eine klare demokratische Stellungnahme.

  • Das ist ein typisches Problem, seit Generationen, vieler linker Kreise, diese leicht trottelige, weil jenseits jeglicher intellektuellen und kritischen Hinterfragung, Verbrüderung mit antizionistischen Ideen.



    Die Grenzen zwischen Antizionismus und einer Anti-Israel-Haltung als Staat und Antisemitismus sind mehr als fließend.

    Das merkt man vor allem bei jungen BDS-Fans, wenn man die fragt, was sie da eigentlich machen und weshalb, wird nur rumgedruckst. „Ist halt Folklore!“, klar, aber gegen richtige Unrechtsstaaten wie China oder Iran, haben die „mutigen BDS-Unterstützer“ komischerweise nicht ein einziges Mal öffentlich demonstriert… Traurig…



    Zum Glück gibt es die Antideutschen, diese sind für erzieherische Maßnahmen für fehlgeleitete und hilflose Linke der beste pädagogische Ansatz.

  • Hoffentlich liest Claudia Roth diesen Artikel und ist zur Selbstreflexion fähig.

    • @Puky:

      Das sehe ich wie sie!