Antirassismus im Fußball: Immer wenn es passt
TSG Hoffenheim schließt sich dem antirassistischen Social-Media-Boykott englischer Fußballklubs an. Wie glaubwürdig ist die Aktion?
Die letzten Wochen haben dem Fußballgeschäft und seinem Image ordentlich zugesetzt: Berichte über 6.500 tote Arbeitsmigranten auf WM-Baustellen in Katar, Scheitern des Goldesels Super Leauge und die ganze Zeit schon Spiele in coronabedingt leeren Stadien, womit die Geschäftemacher den Fußballfans etwas mitteilen, was die meisten von denen ohnehin schon wissen: Es geht auch ohne euch! Aber das Geld kommt eben auch nur solange zu den Klubs, solange Fans den Fußball konsumieren. Deshalb haben diese ihr Image noch nicht völlig aufgegeben und stellen einmal mehr ihre Fähigkeit unter Beweis, immerzu Tugend aus der Not machen zu können. Aktuell machen sie Werbung aus Rassismus.
So haben Englands Fußballklubs einen kollektiven Social-Media-Boykott vom 30. April bis zum 3. Mai angekündigt, um gegen rassistische Beleidigungen in den sozialen Netzwerken zu protestieren, wie die Premier League und der englische Fußballverband FA am Wochenende mitgeteilt haben. Boykottieren werden sie Facebook, Twitter und Instagram. Man wolle die Plattformen dazu bewegen, mehr gegen den Hass im Netz zu unternehmen und zeigen, wie wichtig der Kampf gegen Diskriminierung sei, heißt es in einer Stellungnahme.
Rassismus ist nach wie vor auch ein großes Problem im Fußball. Das zeigt der laufende Spielbetrieb immer wieder und das illustrierte auch die vor Kurzem veröffentlichte Doku „Schwarze Adler“ eindrücklich. Nachdem dieser Rassismus sich international schon seit Jahren in entsprechenden Fangesängen und Rufen in Stadien äußert, zeigt er sich zuletzt auch immer mehr auf Social Media: In England sind zuletzt immer wieder Spieler auf rassistische Weise angegriffen worden, darunter Marcus Rashford von Manchester United, der auch durch sein Engagement gegen Kinderarmut auf sich aufmerksam gemacht hat. Auch der englische Nationalspieler Jude Bellingham von Borussia Dortmund war betroffen.
Der Anlass für antirassistisches Engagement ist also gegeben. Und er ist real. Das ändert nichts daran, dass Antirassismus im Profifußball gerne als Marketingtool genutzt wird. Und dass zugleich entschiedenes Vorgehen gegen Rassismus immer wieder dort fehlt, wo es möglich wäre. So hat der DFB 2008 einen rührenden Werbespot für „Integration“ mit migrantischen Spielereltern gedreht, sich aber Jahre später nicht entschieden genug hinter einen Spieler mit Migrationsgeschichte gestellt – als berechtigte Kritik an Mesut Özil, der sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan fotografieren ließ, immer mehr in Rassismus umkippte und schließlich zu Özils Austritt aus der Nationalmannschaft führte.
Zwischen Marketing und Aufrichtigkeit
Dass sich nun ausgerechnet die TSG Hoffenheim, wie am Montag angekündigt, als erster deutscher Fußballklub der englischen Aktion anschließt, hat bezüglich dieser Kluft zwischen kalkuliertem Marketing und aufrichtiger Absicht eine ironische Note. Zwar klagt der Verein über Rassismus gegen eigene Spieler wie Ryan Sessegnon und Diadie Samassékou. Gleichzeitig stand er im vergangenen Jahr im Fokus, als der sogenannte Dreistufenplan in der Bundesliga zum ersten Mal konsequent umgesetzt wurde. Die Regel, die sich eigentlich ausdrücklich gegen Rassismus richtet, sieht in solchen Fällen ein Eingreifen des Schiedsrichters vor, das bis zu einem Spielabbruch führen kann.
Seine Premiere feierte der Plan aber nicht wegen Rassismus, sondern weil FC-Bayern-Fans Ende Februar 2020 beim Auswärtsspiel in Hoffenheim den Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp als „Hurensohn“ beleidigt hatten. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel zwei Mal, am Ende kam es zu keinem Spielabbruch, aber die Spieler beider Mannschaften schoben sich den Ball aus Protest nur noch hin und her. Die Inszenierung fand ihren Höhepunkt als nach Abpfiff Hopp und Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge gemeinsam mit den Spielern auf dem Spielfeld standen und bei dramatisch strömendem Regen sich selbst applaudierten.
Irritierend war diese Aktion damals nicht nur deshalb, weil Hertha-Spieler Jordan Torunarigha ein ähnlich entschlossenes Vorgehen des Schiedsrichters, Funktionären und Spielern vermisst hatte, als er nur wenige Wochen vorher bei einem Spiel gegen Schalke rassistisch beleidigt worden war. Verstörend war dabei auch, dass der DFB den Beleidigungen gegen Milliardär Hopp, der auf narzisstische Weise und mit rechtlichen Mitteln eine persönliche Fehde gegen Ultras führt, diskriminierenden Charakter zusprach – und diese sogar in einen Zusammenhang mit den rassistischen Morden von Hanau stellte.
Eine kürzlich erschienene Doku über den Konflikt zwischen den Ultras und Hopp hat schließlich gezeigt, dass alle damals beteiligten Antidiskriminierungsaktivisten von Hoffenheim über die geplanten Beleidigungen Bescheid wussten, und dass die große Inszenierung sicher nicht so spontan war, wie sie den Eindruck erweckte. So viel zur Glaubwürdigkeit, die man im Kampf gegen Rassismus schon braucht.
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