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Anschlag in MünchenWas soll man da noch sagen?

Ein 24-Jähriger lenkt in München sein Auto in eine Demo und verletzt 36 Menschen schwer. Betroffene wehren sich gegen politische Instrumentalisierung.

München, 13. Februar: Das Fahrzeug des mutmaßlichen Attentäters wird nach dem Anschlag abtransportiert Foto: Wolfgang Rattay/reuters

München taz | Es ist gegen 10 Uhr, als die von der Polizei eskortierte Wagenkolonne kurz vor der Kreuzung Karlstraße/Seidlstraße in München anhält. Die letzten Meter geht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Fuß, begleitet von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Es ist wieder kalt geworden in München. Es fallen schwere, dichte Schneeflocken.

An einer Ecke der Kreuzung sind ein paar Kerzen aufgestellt. Sonst erinnern nur noch die Absperrungen der Polizei an den Anschlag, der hier am Donnerstag stattgefunden hat, an den beigen Mini-Cooper, den ein 24-jähriger Mann aus Afghanistan in einen Gewerkschaftszug gesteuert hat, der sich gerade auf den Weg zu einer Verdi-Kundgebung auf dem Königsplatz gemacht hatte, an das Verbrechen, bei dem 36 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Mindestens zwei von ihnen sollen zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Tod ringen.

Die Politiker haben je eine weiße Rose mitgebracht, gleichzeitig beugen sie sich, legen sie nieder. Auch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof Christian Kopp sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann legen Rosen ab. „Allmächtiger Gott“, sagt Marx, „vor Erschrecken schauen wir auf das, was geschehen ist.“ Rundherum stehen Menschen in Verdi-Westen, manche von ihnen haben Tränen im Gesicht.

Eine Stunde später berichtet die Polizei auf einer Pressekonferenz über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Man gehe von einem islamistischen Motiv des Täters aus, heißt es. So habe der 24-Jährige nach der Tat „Allahu Akbar“ gerufen und bei der Vernehmung gestanden, das Auto absichtlich in die Menschenmenge gesteuert zu haben. Auch Chats auf dem Smartphone deuteten wohl auf ein entsprechendes Motiv hin.

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Keine offensichtlichen Hinweise

Hinweise darauf, dass der Mann in ein Netzwerk eingebunden gewesen sei oder es beispielsweise Kontakte zu Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat gegeben habe, habe man allerdings nicht gefunden.

Über die Social-Media-Aktivitäten des Täters gab es zunächst unterschiedliche Angaben. Der Spiegel etwa hatte über islamistische Aktivitäten im Netz berichtet. taz-Recherchen konnten dies jedoch nicht erhärten. Demnach hatte der begeisterte Bodybuilder auf Tiktok zwar auffallend viele Follower, sonst allerdings ein ziemlich unauffälliges, für junge afghanische Flüchtlinge typisches Profil. Offensichtliche Hinweise auf Ex­tre­mis­mus- oder Gewaltverherrlichung sind dort nicht zu finden. In einem Video zu Neujahr meint er sogar, dass 2024 ein gutes Jahr gewesen sei. Er hoffe dasselbe für 2025 und wünsche sich, dass die Taliban in seinem Heimatland wieder Schulen für Mädchen eröffneten.

Die Generalstaatsanwaltschaft will nun Haftbefehl beantragen, wirft dem Mann versuchten Mord in 36 Fällen vor. Selbst wurde er nicht verletzt. Die Polizei schoss zwar einmal auf das Fahrzeug, ohne aber den Fahrer zu treffen. Danach konnte sie ihn allerdings aus dem Fahrzeug ziehen, obwohl er noch mal versucht habe, aufs Gas zu treten.

Der Afghane soll 2016 als unbegleiteter jugendlicher Flüchtling nach Deutschland gekommen sein. Ein Asylantrag wurde abgelehnt, eine Klage dagegen ebenfalls abgewiesen, wie das Bayerische Verwaltungsgericht mitteilte. Es sei nicht von einer Gefährdung des Mannes in Afghanistan auszugehen, hieß es in dem Urteil. Als arbeitsfähiger junger Mann mit einem deutschen Mittelschulabschluss könne er sich zudem in Afghanistan eine Existenz aufbauen.

Auch der Innenminister streut Falschnachrichten

Als auch die Bischöfe der Opfern gedacht haben, verlassen die hochrangigen Trauergäste die Szene wieder. Keiner von ihnen sagt etwas, nicht einmal Markus Söder. Was auch? Es scheint ja schon alles gesagt zu sein. Der Anschlag war am Donnerstag noch keine zwei Stunden her, da stand Bayerns Ministerpräsident am Tatort und hatte ihn schon hergestellt: den Zusammenhang zwischen dem furchtbaren Verbrechen und der Migrationspolitik. „Wir reagieren bei jedem solchen Anschlag besonnen, aber ich sage Ihnen auch, dass unsere Entschlossenheit wächst. Es ist nicht der erste Fall, und wer weiß, was noch passiert.“

Der Vorfall müsse nun Konsequenzen haben. „Wir können nicht von Anschlag zu Anschlag gehen und Betroffenheit zeigen, sondern müssen auch tatsächlich etwas ändern.“ Die geknüpfte Kausalkette war unmissverständlich: Anschlag – Afghane – falsche Migrationspolitik.

Überhaupt ging an diesem Tag sehr viel sehr schnell. So gab auch Innenminister Joachim Herrmann, der als einer der besonders besonnenen und seriösen Mitglieder des bayerischen Kabinetts gilt, zu diesem Zeitpunkt schon Details über das vermeintliche Vorstrafenregister des Mannes sowie seinen Aufenthaltsstatus bekannt, die er später revidieren musste. Wie sich herausstellte, war der Mann keineswegs wegen Ladendiebstahl vorbestraft, sondern arbeitete als Ladendetektiv.

Es waren Äußerungen wie die Söders, gepaart mit ultrarechter Hetze im Netz unmittelbar nach dem Anschlag, die zahlreiche Menschen, darunter Betroffene des Anschlags und deren Freunde, am selben Abend gleich noch einmal auf die Straße gehen ließen. „Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, weil wir angewidert sind von den Reaktionen der Politik, die diesen Angriff auf uns und unsere Freun­d:in­nen zu einem Angriff auf unsere migrantischen und geflüchteten Kol­le­g:in­nen machen wollen“, hieß es in einem Aufruf zur Demonstration.

Scharfe Kritik an Stimmungsmache

Die „rassistische Stimmungsmache“ sei ein weiterer „Angriff auf uns“. Auf der Demo selbst, zu der nach Veranstalterangaben rund 5.000 Menschen zum Odeonsplatz kamen, zeigten die Demonstrierenden Schilder wie „Kein Wahlkampf auf dem Rücken der Opfer“.

Harald Pürzel, der Vorsitzende von Verdi München, war ebenfalls da. Die Reaktionen von Söder und Herrmann habe er „völlig unpassend“ gefunden, sagte er im Gespräch mit der taz. Unter den Opfern des Anschlags befänden sich auch Menschen mit Migrationshintergrund. Und man lasse sich jetzt ganz bestimmt nicht auseinanderdividieren. „Jetzt ist alles andere als Wahlkampf angesagt.“ Die Politik sei sehr gut beraten, jetzt nicht zu verallgemeinern und einfache Lösungen anzubieten. Das Thema Migrationspolitik sei viel zu kompliziert, um es in direkte Verbindung mit Anschlägen wie diesem oder dem von Aschaffenburg zu bringen.

Eine Dreiviertelstunde nach Steinmeier und Co. kommen noch einmal vier Politiker an den Tatort. Es ist eine Abordnung der Grünen: Parteichef Felix Banaszak, die bayerische Spitzenkandidatin Jamila Schäfer, die bayerische Fraktionschefin Katharina Schulze und Münchens Zweiter Bürgermeister Dominik Krause. Die Polizei hat den Verkehr längst wieder freigegeben, der Lärm der vorbeifahrenden Autos nimmt dem Auftritt ein wenig die Würde. Auch die Grünen legen Blumen nieder.

Am Tag zuvor sei er noch in Aschaffenburg gewesen, erzählt Bana­szak danach. Auch in Hanau, wo vor fünf Jahren bei einem Anschlag neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet worden sind. Es sei unvorstellbar, was solche Taten für all die Opfer bedeuteten. Angesprochen auf Söders wachsende Entschlossenheit, sagt der Grünen-Chef: „Mir fällt es schwer, in diese Tonlage einzusteigen.“ Man müsse erst einmal genau die Hintergründe der Tat aufklären. Mit „Schnellschüssen“ sollte man sich derzeit lieber zurückhalten. Allein der Hinweis auf die Nationalität des Täters genüge nicht, um daraus Schlüsse zu ziehen.

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8 Kommentare

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  • "Solche Menschen gehören nicht nach Deutschland. Die sind eine Gefahr für ganz Deutschland und auch für die afghanische Community."

    Sprecher des afghanischen Kulturvereins München.

  • Es gibt einfach durchgedrehte Menschen, die keine Achtung vor dem Leben haben. Die findet man in jedem Land, in jeder Altersgruppe, jeder Religionsgemeinschaft …



    Und dann gibt es Menschen, die das Schicksal des „falschen Zeitpunkts am falschen Ort“ ereilt, weil sie diesen Mördern begegnen.



    Ich empfinde tiefstes Mitgefühl mit den aus ihrem normalen Leben Gerissenen. Das beginnt bei Familienexzessen, geht weiter mit den Schüleranschlägen auf Bildungseinrichtungen, Anschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen, besinnungslose Autoraser in Städten, Opfer von erweitertem Selbstmord und endet bei den Schlimmsten, den Staatsmännern, die ganze Völker auszuradieren versuchen.



    Aber es gibt gegen diese „Ungeheuer“ nur begrenzte Mittel, das „Ausflltern“ bestimmter Gruppen ist keines davon.

  • Überhaupt ging an diesem Tag sehr viel sehr schnell. So gab auch Innenminister Joachim Herrmann, der als einer der besonders besonnenen und seriösen Mitglieder des bayerischen Kabinetts gilt, zu diesem Zeitpunkt schon Details über das vermeintliche Vorstrafenregister des Mannes sowie seinen Aufenthaltsstatus bekannt, die er später revidieren musste. Wie sich herausstellte, war der Mann keineswegs wegen Ladendiebstahl vorbestraft, sondern arbeitete als Ladendetektiv.

    Das ist ausgesprochen gravierend. Ein Innenminister , Vorgesetzter aller Polizeibehörden und Volljurist ist unzutreffend informiert und äußert sich in unwahrer, ehrverletzender Weise. Die Amokfahrt, oder was immer es war, ist eine entsetzliche Tat. Niemand aber in unserem Land darf unwahre und ehrverletzende Äußerungen über eine Person verbreiten. Das ist in unserem Land verboten und es ist wichtig, dass besonders die Regierungsmitglieder sich vorbildlich daran halten.



    Man kann froh sein, dass hier darüber berichtet wird und der Minister sich schnell korrigiert hat. Man kann aber nicht umhin , dass das Informationssystem der Polizei diesen Lapsus verursacht haben muss.

  • Es ist die primäre Aufgabe der linken Parteien diese Thema abzuräumen. Wenn wir das nicht tun, werden wir keine Mehrheiten mehr bekommen, um die wirklich wichtigen Themen voranzutreiben.

  • Ich will nichts relativieren und schon gar keine Täter/Opfer umkehr machen. Aber möglicherweise sind wir mit unserer Vorgehensweise der letzten 10 Jahre auch nicht ganz unschuldig daran das immer mehr ausrasten.

    Wir sind seit einem Jahrzehnt überfordert damit die Menschen vernünftig unter zu bringen, es kann kaum noch Integration statt finden und niemand hat mal dran gedacht das die Herangehensweise auch für die betroffenen Menschen ziemlich negativ sein könnte.

    Sie haben ziemlich ähnliche Sorgen wie die Rest Bevölkerung, Wohnungsmarkt extrem angespannt, Wirtschaftslage unsicher, politische Lage unsicher, und dann kommt noch dazu das man gezwungen ist in einer Massenunterkunft zu wohnen, die Sprache nicht gut versteht, andere Lebenserfahrungen hat als Flüchtling und zu letzt ist die dann auch oft noch Verboten arbeiten zu gehen um aus dieser Lage heraus zu kommen.



    Das erzeugt Verzweiflung und daraus wiederum ergibt sich dann leider häufiger mal Gewalt, Amokläufe usw.

    Mir zeigen solche Vorfälle daher deutlich das wir Regeln brauchen, durchaus auch harte, aber eben auch mit Goodwill bei denen mit den wir können. Das System ist einfach unfair und fördert solche Vorfälle geradezu.

    • @Rikard Dobos:

      Der Täter von gestern war berufstätig und anerkannter Fitnessinfluenzer ,sowie Fitnessmodel

      Der Täter von Mannheim ist mit einer Deutschen verheiratet, hat zwei Kinder, war berufstätig und hat hier einen Realschulabschluss gemacht.

      Und der Dritte war Arzt und hat in einem Klinikum gearbeitet.

      Alle hatten eigene Wohnungen. Was soll man da noch machen.

      Und es gibt nicht nur für Flüchtlinge zu wenig psychatrische Hilfe, nein auch für Deutsche.

      Und Flüchtlinge dürfen laut Bundesarbeitsministerium nach 3 - 6 Monaten arbeiten.

      www.bmas.de/DE/Arb...-gefluechtete.html

      Asylbewerbende haben einen Arbeitsmarktzugang..



      nach drei Monaten, wenn sie nicht zum Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind,



      nach sechs Monaten, wenn sie zum Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind

  • // Auch der Innenminister streut Falschnachrichten

    Er sagte das was zu dieser Zeit angeblich bekannt war und was Stand der Polizei war. Der Sprecher der Polizei sagte ähnliches (der war nämlich als Erster an der Reihe, dann kam Söder und dann Herrmann.

  • Tatsächlich ging gestern alles viel zu schnell. In der Tagesschau berichtete zum Beispiel eine Augenzeugin, das Fahrzeug wäre in Schlangenlinien an den Polizeifahrzeugen am Ende der Demo vorbeigefahren. Darüber hört und liest man nichts mehr.



    Falls es so war wie die Frau sagte, wieso wurde das nicht unterbunden?