Anschlag in München: Was soll man da noch sagen?
Ein 24-Jähriger lenkt in München sein Auto in eine Demo und verletzt 36 Menschen schwer. Betroffene wehren sich gegen politische Instrumentalisierung.
![Ein zerstörtes Fahrzeug wird abgeschleppt. Ein zerstörtes Fahrzeug wird abgeschleppt.](https://taz.de/picture/7531254/14/37670433-1.jpeg)
An einer Ecke der Kreuzung sind ein paar Kerzen aufgestellt. Sonst erinnern nur noch die Absperrungen der Polizei an den Anschlag, der hier am Donnerstag stattgefunden hat, an den beigen Mini-Cooper, den ein 24-jähriger Mann aus Afghanistan in einen Gewerkschaftszug gesteuert hat, der sich gerade auf den Weg zu einer Verdi-Kundgebung auf dem Königsplatz gemacht hatte, an das Verbrechen, bei dem 36 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Mindestens zwei von ihnen sollen zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Tod ringen.
Die Politiker haben je eine weiße Rose mitgebracht, gleichzeitig beugen sie sich, legen sie nieder. Auch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof Christian Kopp sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann legen Rosen ab. „Allmächtiger Gott“, sagt Marx, „vor Erschrecken schauen wir auf das, was geschehen ist.“ Rundherum stehen Menschen in Verdi-Westen, manche von ihnen haben Tränen im Gesicht.
Eine Stunde später berichtet die Polizei auf einer Pressekonferenz über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Man gehe von einem islamistischen Motiv des Täters aus, heißt es. So habe der 24-Jährige nach der Tat „Allahu Akbar“ gerufen und bei der Vernehmung gestanden, das Auto absichtlich in die Menschenmenge gesteuert zu haben. Auch Chats auf dem Smartphone deuteten wohl auf ein entsprechendes Motiv hin.
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Keine offensichtlichen Hinweise
Hinweise darauf, dass der Mann in ein Netzwerk eingebunden gewesen sei oder es beispielsweise Kontakte zu Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat gegeben habe, habe man allerdings nicht gefunden.
Über die Social-Media-Aktivitäten des Täters gab es zunächst unterschiedliche Angaben. Der Spiegel etwa hatte über islamistische Aktivitäten im Netz berichtet. taz-Recherchen konnten dies jedoch nicht erhärten. Demnach hatte der begeisterte Bodybuilder auf Tiktok zwar auffallend viele Follower, sonst allerdings ein ziemlich unauffälliges, für junge afghanische Flüchtlinge typisches Profil. Offensichtliche Hinweise auf Extremismus- oder Gewaltverherrlichung sind dort nicht zu finden. In einem Video zu Neujahr meint er sogar, dass 2024 ein gutes Jahr gewesen sei. Er hoffe dasselbe für 2025 und wünsche sich, dass die Taliban in seinem Heimatland wieder Schulen für Mädchen eröffneten.
Die Generalstaatsanwaltschaft will nun Haftbefehl beantragen, wirft dem Mann versuchten Mord in 36 Fällen vor. Selbst wurde er nicht verletzt. Die Polizei schoss zwar einmal auf das Fahrzeug, ohne aber den Fahrer zu treffen. Danach konnte sie ihn allerdings aus dem Fahrzeug ziehen, obwohl er noch mal versucht habe, aufs Gas zu treten.
Der Afghane soll 2016 als unbegleiteter jugendlicher Flüchtling nach Deutschland gekommen sein. Ein Asylantrag wurde abgelehnt, eine Klage dagegen ebenfalls abgewiesen, wie das Bayerische Verwaltungsgericht mitteilte. Es sei nicht von einer Gefährdung des Mannes in Afghanistan auszugehen, hieß es in dem Urteil. Als arbeitsfähiger junger Mann mit einem deutschen Mittelschulabschluss könne er sich zudem in Afghanistan eine Existenz aufbauen.
Auch der Innenminister streut Falschnachrichten
Als auch die Bischöfe der Opfern gedacht haben, verlassen die hochrangigen Trauergäste die Szene wieder. Keiner von ihnen sagt etwas, nicht einmal Markus Söder. Was auch? Es scheint ja schon alles gesagt zu sein. Der Anschlag war am Donnerstag noch keine zwei Stunden her, da stand Bayerns Ministerpräsident am Tatort und hatte ihn schon hergestellt: den Zusammenhang zwischen dem furchtbaren Verbrechen und der Migrationspolitik. „Wir reagieren bei jedem solchen Anschlag besonnen, aber ich sage Ihnen auch, dass unsere Entschlossenheit wächst. Es ist nicht der erste Fall, und wer weiß, was noch passiert.“
Der Vorfall müsse nun Konsequenzen haben. „Wir können nicht von Anschlag zu Anschlag gehen und Betroffenheit zeigen, sondern müssen auch tatsächlich etwas ändern.“ Die geknüpfte Kausalkette war unmissverständlich: Anschlag – Afghane – falsche Migrationspolitik.
Überhaupt ging an diesem Tag sehr viel sehr schnell. So gab auch Innenminister Joachim Herrmann, der als einer der besonders besonnenen und seriösen Mitglieder des bayerischen Kabinetts gilt, zu diesem Zeitpunkt schon Details über das vermeintliche Vorstrafenregister des Mannes sowie seinen Aufenthaltsstatus bekannt, die er später revidieren musste. Wie sich herausstellte, war der Mann keineswegs wegen Ladendiebstahl vorbestraft, sondern arbeitete als Ladendetektiv.
Es waren Äußerungen wie die Söders, gepaart mit ultrarechter Hetze im Netz unmittelbar nach dem Anschlag, die zahlreiche Menschen, darunter Betroffene des Anschlags und deren Freunde, am selben Abend gleich noch einmal auf die Straße gehen ließen. „Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, weil wir angewidert sind von den Reaktionen der Politik, die diesen Angriff auf uns und unsere Freund:innen zu einem Angriff auf unsere migrantischen und geflüchteten Kolleg:innen machen wollen“, hieß es in einem Aufruf zur Demonstration.
Scharfe Kritik an Stimmungsmache
Die „rassistische Stimmungsmache“ sei ein weiterer „Angriff auf uns“. Auf der Demo selbst, zu der nach Veranstalterangaben rund 5.000 Menschen zum Odeonsplatz kamen, zeigten die Demonstrierenden Schilder wie „Kein Wahlkampf auf dem Rücken der Opfer“.
Harald Pürzel, der Vorsitzende von Verdi München, war ebenfalls da. Die Reaktionen von Söder und Herrmann habe er „völlig unpassend“ gefunden, sagte er im Gespräch mit der taz. Unter den Opfern des Anschlags befänden sich auch Menschen mit Migrationshintergrund. Und man lasse sich jetzt ganz bestimmt nicht auseinanderdividieren. „Jetzt ist alles andere als Wahlkampf angesagt.“ Die Politik sei sehr gut beraten, jetzt nicht zu verallgemeinern und einfache Lösungen anzubieten. Das Thema Migrationspolitik sei viel zu kompliziert, um es in direkte Verbindung mit Anschlägen wie diesem oder dem von Aschaffenburg zu bringen.
Eine Dreiviertelstunde nach Steinmeier und Co. kommen noch einmal vier Politiker an den Tatort. Es ist eine Abordnung der Grünen: Parteichef Felix Banaszak, die bayerische Spitzenkandidatin Jamila Schäfer, die bayerische Fraktionschefin Katharina Schulze und Münchens Zweiter Bürgermeister Dominik Krause. Die Polizei hat den Verkehr längst wieder freigegeben, der Lärm der vorbeifahrenden Autos nimmt dem Auftritt ein wenig die Würde. Auch die Grünen legen Blumen nieder.
Am Tag zuvor sei er noch in Aschaffenburg gewesen, erzählt Banaszak danach. Auch in Hanau, wo vor fünf Jahren bei einem Anschlag neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet worden sind. Es sei unvorstellbar, was solche Taten für all die Opfer bedeuteten. Angesprochen auf Söders wachsende Entschlossenheit, sagt der Grünen-Chef: „Mir fällt es schwer, in diese Tonlage einzusteigen.“ Man müsse erst einmal genau die Hintergründe der Tat aufklären. Mit „Schnellschüssen“ sollte man sich derzeit lieber zurückhalten. Allein der Hinweis auf die Nationalität des Täters genüge nicht, um daraus Schlüsse zu ziehen.
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